Very German
“Ich war in Deutschland”
Amerikaner wollen mit mir immer nur über den zweiten Weltkrieg reden – zum Glück!
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Immer wieder hört man deutsche Reisende Geschichten darüber erzählen, wie früher oder später jedes Gespräch in den USA auf die Nazis hinausläuft. Hier sind meine zwei besten:
Ich bin ungefähr sechzehn, sitze auf einem weißen Plastikstuhl in der Sonne, auf irgendeiner karitativen Gartenparty oder Kirchenveranstaltung und fühle mich ein bisschen unwohl. Meine Gastmutter, bei der ich das Jahr über als Austauschschüler lebe, ist im Haus der Gastgeber verschwunden. Ich bleibe zurück, umringt von älteren Damen und Herren, ebenfalls auf Gartenstühlen. Ich kann mir denken, was jetzt auf mich zukommt: Full Frontal Small Talk. In den USA ist solitäres Schweigen noch weniger eine Option als in Deutschland.
Sehr freundliche ältere Dame 1: “Wo kommst du denn her?” Ich: “Aus Deutschland.” Meine kurz angebundene Antwort trifft den richtigen Nerv, munter plappern die Versammelten los. Sehr freundliche ältere Dame 1: “Oh, Deutschland! Wonderful! Ich war noch nie in Deutschland!” Sehr freundliche ältere Dame 2: “Oh, ich will unbedingt mal nach Deutschland – ich war noch nie da!” Freundliche ältere Dame 3: “Ja, ich war auch noch nie in Deutschland!” Älterer Herr: “Ich war in Deutschland.” Pause. “Es war Krieg.”
Andere Geschichte, knapp fünf Jahre später. Dominik und ich, integrationswillige ausländische Studenten in Washington DC, haben uns zu Halloween als amerikanische Bürgerkriegs-Soldaten verkleidet. Ich gehe als Norden. Dominik ist Bayer, muss also die Südstaaten repräsentieren. Uniformiert marschieren wir durch das örtliche Schicki-Viertel Georgetown, wo sich die halbe Stadt zum morbiden Sehen und Gesehen werden versammelt hat. Zombies verlieren ihre Gliedmaßen, Porno-Krankenschwestern schütteln ihre Miniröcke, aber die meisten skeptischen Blicke zieht Dominik auf sich, als er mit der Fahne der Südstaaten wedelt.
Zurück auf dem Campus sitzen die Erstsemester gelangweilt im Wohnheimflur. Sie sind unter 21, deshalb von allen anderen Formen des Nachtlebens ausgeschlossen, und freuen sich über die Abwechslung, als zwei uniformierte Deutsche den Gang entlang stolpern. Dominik lässt sich auf ein Gespräch ein. Den Umständen entsprechend alkoholisiert, beschwert er sich lallend über die örtliche Ironie-Unwilligkeit – der Bürgerkrieg sei doch immerhin 150 Jahre her. Nüchtern, in nahezu akzentfreiem Deutsch, antwortet sein Gegenüber: “Ist es dann auch okay, wenn ich mich als Hitler verkleide?”
Die Anzahl solcher Geschichtchen ist scheinbar endlos. Als die kleine Schwester einer Kommilitonin an ihrer High School in Indianapolis gefragt wurde, ob Hitler noch lebe, war sie immerhin schlagfertig genug zu antworten, dass sie ab und zu auf seine Kinder aufpasse. Je tiefer man in den Verästelungen des erweiterten Bekanntenkreises nach Anekdoten sucht, desto absurder werden die Geschichten – bis hin zu Legenden, wie die des deutschen Austauschschülers, der von seiner Gastfamilie zum Geburtstag eine Hakenkreuztorte bekommt. Sie meinten es ja nur gut.
Tatsächlich können wir uns glücklich schätzen, dass Amerikaner mit uns nur über die Nazis reden wollen. Wäre es in den Staaten bekannt, dass kaum fünfzig Jahre nach dem Tag der Befreiung 48 Prozent aller Deutschen die USA für gefährlicher halten als den Iran , und 49 Prozent Deutschland für eine Weltmacht , könnte es auf der nächsten amerikanischen Garten- oder Halloween-Party zu weitaus unangenehmeren Gesprächen kommen.
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Der zweite Weltkrieg liegt jetzt schon eine Weile zurück. Und seit 9/11 haben die Araber uns den Rang als Welt-Ober-Bösewichte wieder abgelaufen. Trotzdem machen wir als Deutsche im Ausland immer noch interessante Erfahrungen.
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2007
ZEIT ONLINE