Billig, schlecht, einfallslos: Die Kopie hat einen schlechten Ruf. Ein Festival in Zürich sieht das anders. Mitveranstalter Mario Purkathofer über das Kopieren als Kultur
Fragen von Chris Köver
Euer Festival heißt copy!. Das klingt wie eine Aufforderung.
Unser Publikum soll nicht nur konsumieren und einen schönen Abend haben, sondern selbst aktiv werden. Alle Künstler, die bei unserem Festival auftreten, veröffentlichen ihre Arbeiten unter einer freien Lizenz im Netz oder vermitteln eigene Kopiertechniken. Lad ihre Stücke runter, führ ihre Performances selbst auf oder verändere sie. Arbeite mit ihren Werkzeugen oder schneide ein Konzert mit und verteile es übers Netz.
Wer das bei einem Beastie Boys-Konzert versucht, fliegt schnell raus. Darf man auf eurem Festival wirklich alles aufnehmen und weiter verteilen?
Es steht jedem frei, das unter einer
freien Lizenz
zu tun. Man muss allerdings beachten, unter welcher Lizenz der jeweilige Künstler seine Musik zur Verfügung stellt. Wenn wir sagen: copy, dann meinen wir auch die Künstler: Sie müssen erst erlauben, dass ihre Werke kopiert werden. Man kann die Künstler auch einfach um Erlaubnis bitten, sie sind ja anwesend.
Was soll im Laufe des Festivals sonst noch alles kopiert werden?
Es sollen auch Maschinen und Techniken kopiert werden, mit denen man kopieren kann. Die
Schweizer Gesellschaft für Mechatronik
zeigt zum Beispiel, wie man einen Sampler baut. Die Gruppe
Projektionsareal
stellt einen Kopierer auf, mit dem Besucher sich selbst in Ton und Bild kopieren können. Die Initiative FreieComputer stellt einen Server vor, mit dem Daten von veralteten Datenträgern auf neue kopieren werden können. Und der Künstler
Frederik Post
bietet einen Workshop an, in dem Vinylplatten mit Hilfe von Klebstoff kopiert werden. Uns ist wichtig, nicht nur künstlerische Arbeiten zu zeigen, sondern alle möglichen Formen des Kopierens als kulturelle Praxis.
Das hört sich sehr analog an. War es euch wichtig, sowohl analoge als auch digitale Projekte zu zeigen?
Wir finden es wichtig, die Werkzeuge selbst zu produzieren, mit denen man kopiert. Auf der Ebene des Inhalts ist alles schon da: eine unglaubliche Masse an Klängen und Bildern. Jetzt geht es darum, Werkzeuge zu schaffen, mit denen wir diese Daten kreativ bearbeiten können. Die Frage, ob digital oder analog, ist dabei nicht wichtig. Diese Welten sind längst zusammengewachsen.
Ihr versteht das Kopieren selbst als kreativen Prozess.Aber was ist denn kreativ daran, wenn ich mir zu Hause Stücke aus
einer Tauschbörse runterlade oder eine kopiergeschützte CD brenne?
Um etwas zu kopieren, muss man sehr viel wissen: Man muss Software installieren oder selbst programmieren, man muss auswählen, was man kopiert. Dieses Auswählen ist selbst schon kreativ: Wenn man sich zum Beispiel die Playlisten oder Filmbibliotheken anschaut, die jemand aus dem Netz geladen hat, sagt das sehr viel über sie oder ihn aus. Auch ein DJ, der Stücke aus dem Netz runter lädt und daraus ein eigenes Set mischt, kopiert kreativ.
Ich gehe von der idealen Vorstellung aus, dass niemand etwas kopiert, um es unbearbeitet abzuspielen und zu konsumieren. Ich spreche auch nicht von der
Privatkopie
.
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Wo fängt das Kopieren an, kreativ zu werden?
Sobald es über den passiven Konsum hinausgeht. Die
Mediengruppe Bitnik
hat zum Beispiel auf dem Festival ein herkömmliches Filesharing-System installiert, mit dem sie Filme runterladen. Die schicken sie dann durch einen
Filter
. Man sieht also den Film, aber in einer veränderten Form.
Ist die Freiheit zu Kopieren auch eine Grundvoraussetzung von Kreativität?
Ja, wobei es mir gar nicht darum geht, Material aus Hollywoodfilmen weiter verwenden zu können. Es ist viel wichtiger, Zugang zu Filmen zu haben, die außerhalb des Hollywood-Mainstream sind, eine größere Vielfalt zu haben. Im Netz ist diese Vielfalt schon da: Dort sieht man viel mehr als das, was letztendlich ins Kino kommt.
Wenn Filme, Musik oder Literatur aber nur noch kommerziell verfügbar sind, dann haben auch nur die Zugang dazu, die es sich leisten können.
Das hat auch etwas mit Gerechtigkeit zu tun: Jeder sollte die Möglichkeit haben, Bücher, Lieder oder Filme dann zu konsumieren, wenn sie erscheinen. Wenn ich einen Film erst ein Jahr nach dem Kinostart sehe, wenn er umsonst im Fernsehen läuft, kann ich gesellschaftlich nicht mitreden.
Wir leben im digitalen Zeitalter: Musik, Filme, Bilder, alle digitalen Daten können heute verlustfrei und so billig kopiert werden wie noch nie. Hat das Original jetzt ausgedient?
Sicher nicht. Das Original ist ja der Künstler. Bei einer Band muss ich immer noch den Live-Auftritt sehen. Auch in der bildenden Kunst ist das Original längst nicht abgeschafft: Ein Gemälde ist immer noch ein Einzelstück, egal wie viele Drucke ich davon mache.
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Aber von Videokunst oder Fotografien könnte man theoretisch beliebig viele Kopien anfertigen. Stattdessen gibt es dann Editionen von fünf Stück. Das ist doch sehr aufgesetzt.
Ich finde das gut. Man muss einen Anreiz schaffen, das Werk zu kaufen.
Das ist aber genau so eine künstliche Verknappung, wie die Musikindustrie sie betreibt, wenn sie Musik für 15 Euro pro Album im Laden verkauft, obwohl man sie frei verteilen könnte.
Dagegen habe ich auch nichts einzuwenden. Der Wert eines Werkes ist immer virtuell. Wer 15 Euro für ein Album zahlt, wird wissen, warum er das macht. Wir stellen keine politischen Forderungen an die Musikindustrie. Wir arbeiten an unserer eigenen Vision: Veröffentlicht über Netlabels, kopiert freie Informationen, nehmt Kontakt zu den Künstlern auf und lernt, wie man Dinge mit eigenen Maschinen weiter bearbeitet. Wir brauchen die Industrie nicht, wir können alles selbst produzieren.
Ihr fordert also nichts von der Industrie oder der Politik?
Viele der Musiker, die bei uns auftreten, haben Verträge mit einer Verwertungsgesellschaft, und finden das gut. Dadurch wird ihnen aber gleichzeitig verboten, andere Stücke unter einer freien Lizenz zu veröffentlichen. In fünf Jahren wird das hoffentlich nicht mehr so sein. Auch
DRM
scheitert derzeit am Markt. Diese Dinge regulieren sich also ohnehin von selbst. Da müssen wir gar keine politischen Forderungen stellen.
Einen Workshop zu alternativen Geschäftsmodellen bietet ihr auf dem Festival nicht an.
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Die Idee einer freien Verwertungsgesellschaft finden wir klasse. Das ist aber nur umzusetzen, wenn die GEMA und andere Verwertungsgesellschaften als Partner mit einsteigen. Um das zu erreichen, müssten wir auf einer politischen Ebene diskutieren und dafür ist das Festival nicht der richtige Ort. Über reine Utopien wollen wir nicht mehr reden, deswegen haben wir das Thema bewusst weggelassen.
Darf eure Festival-Idee kopiert werden?
Das wird sie bereits. Direkt im Anschluss an das Festival in Zürich findet unter demselben Titel ein Festival in Ljubljana statt. Wir können nur dazu ermuntern, unser Festival zu kopieren.