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Leben im Bauwagen

Mein Auto, mein Haus

Till wohnt in einem alten LKW, den er zu einem Wohnwagen umgebaut hat. Für ihn ist das Freiheit – auch wenn sein Domizil mal wieder feststeckt.

Till steigt aus dem Erdloch, in dem die gigantischen Autoreifen stecken. "Die Karre steckt fest", schnauft er und stößt mit beiden Händen eine Schaufel in die saftige Erde. Unter seinem Brillengestell haben sich Schweißtropfen gesammelt. Die "Karre" heißt Pepe und ist Tills zu Hause. Ein Koloss von einem Feuerwehrwagen, Baujahr 1973, rot mit den mächtigen Buchstaben M-A-N auf dem Kühlergrill. Gerade steckt sie tief im bayerischen Dreck.

Der junge Mann streift die Arbeitshandschuhe ab und begrüßt mich. Till ist kein Tuner oder Auto-Freak, sondern Wagenbewohner. Der 25-Jährige gehört zu den wenigen tausend Menschen in Deutschland, deren Heim Räder hat. Seit über zwei Jahren wohnt und reist der gelernte Zimmermann in Pepe.

Ein ganzes Leben auf wenigen Quadratmetern, die Vorstellung ist beklemmend. Als Till jedoch die Wagentür öffnet, entpuppt sich Pepes Inneres als Organisationswunder: alles ist verstaut, hat seinen festen Platz wie in einem Space-Shuttle. Die kleinen Schubladen und Schränkchen sind selbst gezimmert und sorgfältig mit Scharnieren verschlossen. Sogar die Gewürzdöschen im Regal sind nach Farben geordnet.

Galerie: Bauwagen in Hamburg, Berlin und Leipzig

"Man hat täglich mit neuen Herausforderungen zu kämpfen", sagt Till. "Und sei es nur, dass der Wagen festgefahren ist." Dabei wollte er sein mobiles Heim nur wenige Meter weiter parken, um ihn zu reparieren. Manchmal sei das Wagenleben eben das Gegenteil von der Freiheit, die er eigentlich wolle: "Die neun Tonnen können dir am Bein hängen wie ein Klotz!" Er erinnert sich an Spanien. Dort hatte er einem Typen mit Motorschaden geholfen. Sechzig Kilometer Abschleppen haben dann sein eigenes Verteilergetriebe zerfressen. Zwei Wochen saß Till auf einer spanischen Landstraße fest. "Abgesehen davon, dass es gefährlich war", erzählt er, "konnte ich mich nicht bewegen. Ich war alles andere als mobil."

"Freiheit", "Unabhängigkeit" und "Flexibilität" – das waren die Dinge, die Till verlockend fand, als er sich gegen einen festen Wohnsitz und für das Wagenleben entschied. Er will seinen Lebensstil nicht schön reden. Viele fühlten sich dadurch provoziert. "Es macht nicht immer Spaß, sich ständig durchzuboxen zu müssen," sagt er.

Nicht nur gegen gutbürgerliche Skepsis gegenüber ihrem alternativen Lebenswandel müssen sich Wagenbewohner durchsetzen, auch gegen das Gesetz. In Deutschland sind sie nur "geduldet". "Das funktioniert nach dem Prinzip: wo kein Kläger, da auch kein Richter", erklärt Till. Wagenplätze kolonisieren eine Nische zwischen Legalität und Gesetzesbruch : Entweder besetzen sie Grundstücke, die dann irgendwann zwangsgeräumt werden. Oder sie mieten einen Standort. In beiden Fällen sind sie von Gemeinde, Stadt und Anwohnern meist nicht gern gesehen.

In Süddeutschland sind die Möglichkeiten besonders beschränkt. Das Kreisverwaltungsreferat in München, wo auch Tills Wagen steht, weiß angeblich von keinem Wagenplatz. Till kennt hier und da einen. Aber das sei nicht genug. Deshalb hat er mit Freunden das Projekt "Limas" (franz. Nacktschnecke) ins Leben gerufen. Noch ist das Gebiet in der Nähe von München ehemaliges Sumpfland, neben Tills stehen hier nur fünf weitere Wagen. Aber die 1.500 Quadratmeter sollen ein richtiges Wagendorf mit Toiletten, Duschen, Strom- und Wasserversorgung werden. 100 Euro Miete im Monat sind mit dem Verpächter vereinbart. Dafür müssen Till und seine Freunde Herr über das Gerümpel der Vorgänger werden – und über die Nacktschnecken. Das schokobraunen Tiere kriechen hier überall umher. An morschen Brettern entlang, über gelbliche Planen, hoch an lose gezimmerten Schuppen und bemoosten Hütten. Nur in den Gemüsekorb schaffen sie es nicht. Der baumelt an Schnüren von der Decke des Küchenvordachs.

Sein Haus immer im Schlepptau zu haben, birgt für Till große Vorteile. "Das macht uns auch in der Ferne nie wirklich zu Touristen. Ich kann Leute in Spanien zu mir nach Hause auf einen Kaffee einladen", schwärmt er. "Kann Gastgeber sein, weil ich mein Haus dabei habe."

"Essen ist fertig", ruft Jana, eine von Tills Mitstreiterinnen bei Limas. Auf dem Holztisch steht eine dampfende Pfanne mit nacktschneckenfreiem Gemüse an Curry-Sauce. Till gibt sich eine ordentliche Portion auf. "Ich habe schon ewig lang kein Geld mehr für Lebensmittel ausgegeben", erzählt er. Und das einzige, was Jana regelmäßig im Supermarkt kaufe, sei Hundefutter. Eigentlich kaum zu glauben. Die Trödel-Möbel ringsum sind voll mit Nahrungsmitteln. Ganze Paletten Joghurt pflastern den Boden. Neben dem Gasherd stehen mehrere Flaschen natives Olivenöl. Es gibt sogar Geléebananen.

" Wir containern ! Jeder große Supermarkt hat einen Sammelbehälter", sagt Till. "Da wird der Müll reingeschmissen. Oft schon früher als das Verfallsdatum vorsieht. Die machst du auf, und fischst raus, was du gebrauchen kannst. Wäschst das Zeug und fertig." Nudeln zu finden sei besonders beeindruckend. Wie soll ungekochtes Hartweizen auch vergammeln?

"Wir leben in einer Überflussgesellschaft", wirft Jana ein. Man könne alles finden, was man brauche. Till sieht das etwas anders: "Meine Kreissäge habe ich nicht mal eben so gefunden," sagt er. Es ginge auch nicht darum, verbissen anders zu sein – gegen das System. "Ich gehe auch mal eine Pizza essen, und arbeite auch. Aber ich muss nicht viel arbeiten, weil ich nicht viel Geld brauche", sagt Till.

Ohne fließend Wasser, mit Kompostklo und Außenbadewanne zu leben, bedeutet für Till nicht unbedingt, Abstriche zu machen. "Mich macht es zufriedener, einfach zu leben. Ich lebe intensiver, nehme mehr Sachen mit, die ich im Luxus einer Wohnung nicht wahrgenommen habe."

Als sei der Groschen gefallen, hastet Till plötzlich zu seinem Wagen. Er schlingt das Ende der Seilwinde an der Motorhaube um einen dicken Baumstamm. "Das Wagenleben fordert Eigeninitiative", pustet Till und schwingt sich in das Fahrerhäuschen. Mühsam zieht sich Pepe knatternd an dem Seil aus dem Schlamm.

Massentauglich sei so ein Lebensstil nicht, dennoch plädiert Till für Aufklärung. "Viel zu wenige Menschen wissen, dass man wirklich gut in einem Wagen leben kann. Besonders Arme können so mit wenig Geld auskommen", sagt er. Im Wagen lebe es sich besser als im Haus, sagt auch Jana. "Stell dir vor, du wachst auf, öffnest die Tür und bist am Strand. Mehr Luxus gibt es nicht!"

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