Anthony Volodkin kam vor einiger Zeit auf die Idee, dass man Meta-Radio für alle Musikblogs einführen könnte. Mit dieser Idee ist er jetzt auf Welttournee.
von Arno Raffeiner
415 Freunde. Letzte Anmeldung am 12. Juni. Das sind die Zahlen, die
Ende August 2007 beim User
myspace.com/hypemachine
zu finden sind. Eine florierende
Social-Network-Seite sieht eigentlich anders aus. Aber diese Zahlen
zeigen auch, wie irrelevant die Web-2.0-Hauptstädte werden, wenn man
sich im Internet selbst eine funktionierende Plattform mit einer guten
Idee dahinter aufgebaut hat. Denn dieses etwas nachlässig gepflegte
MySpace-Profil gehört Anthony Volodkin, einem 21-jährigen New Yorker
russischer Abstammung, der wegen seiner
Hypemachine
gerade als Web-Wunderkind und Neudenker der Musikindustrie
durch Diskussionen, Panels und Vorträge gereicht wird.
So wie vor einigen Tagen in Köln. Während einer
Musik-Business-Konferenz
sitzt Anthony Volodkin auf einer Bühne zwischen Anzugträgern, die seine
Väter sein könnten. Wie er sich da mit seinen langen Haaren, im
schwarzen T-Shirt und Jeans breitbeinig und leicht gelangweilt ins Sofa
fläzt, sieht er aus wie ein Hardrockfan aus dem Abijahrgang, der sich
in der Tür geirrt hat und nun plötzlich im Lehrerzimmer sitzt. Und doch
ist genau er die Person, von der sich die vielen im Publikum
versammelten Geschäftsleute den entscheidenden Fingerzeig erhoffen, wo
es in Zukunft lang geht.
Denn im Gewirr der zahllosen Musik-Blogs bietet Anthonys Hypemachine
Übersichtlichkeit. Und zwar dadurch, dass die Seite automatisch Links
zu den Inhalten dieser Blogs setzt und aus den geposteten Musikstücken
eine ständig aktualisierte Playlist generiert. Das macht die
Hypemachine zum abwechslungsreichen Meta-Radio der meist extrem
spezialisierten Blogs und bietet dem User die Möglichkeit, immer wieder
neue Musik zu entdecken. Anthony beamt in seiner kurzen Präsentation
der Hypemachine verführerische Worte an die Wand: "Blogs are an
excitement filter." Und die Aufregung in den Rechtsabteilungen der
großen Plattenfirmen beschwichtigt er mit dem Hinweis, dass auf seiner
Webseite neben jedem Musikstück auch ein Link zu iTunes und Amazon
steht. Erst hören - dann sofort kaufen. Das ist eine Sprache, die auch
die Manager der Majors verstehen.
Vielleicht lässt sich Anthonys Erfolg genau daraus erklären: dass er
– der Programmierer, Informatiker und Musikfreak, sich auch in der Welt
der Business-Talks, der "active lunch breaks" und des ständigen
Visitenkartentauschs mit traumwandlerischer Sicherheit bewegt. Seine
Jugend und sein erdiges Erscheinungsbild machen Anthony zwischen all
den grauen Anzügen umso glaubwürdiger.
Das Händeschütteln und die unangekündigten Kurzinterviews nach
seinem Vortrag wickelt er so routiniert wie freundlich ab und setzt
sich dann kurz entschlossen auf den erstbesten Stuhl im Konferenzsaal,
um einmal mehr von sich und seiner Hypemachine zu erzählen. Während er
die erste Frage abwartet, neigt er seinen Kopf mit den langen gewellten
Haaren leicht nach vorne, wie zum Angriff. Eine Charme-Attacke:
Anthonys Augen leuchten vor Begeisterung, und er lächelt auch dann noch
weiter, als er anfängt, wie ein Wasserfall zu sprechen. "Es gibt doch
schon genug Aktivität im Internet, so wie wir es heute kennen. Um den
Leuten zu ermöglichen, all diese Dinge zu entdecken, musst man nicht
unbedingt neue Netzwerke schaffen. Man kann einfach schauen, was
bereits passiert, es auf eine bestimmte Weise aufbereiten und den
Leuten präsentieren. Das ist genau das, was wir mit Hypemachine tun."
Begonnen hatte alles, als Anthony nach sechs Jahren als IT-Techniker
von seinem Job die Nase voll hatte und eine neue Aufgabe für sich
suchte. Die lag direkt vor seiner Nase, denn seit langem war er
unzufrieden mit der Musikpresse. "Das ideale Szenario war für mich
immer gewesen, dass ich irgendetwas Cooles mit Musik machen würde. Aber
ich konnte einfach keine Zeitschrift in die Hand nehmen oder Radio
hören, weil ich mir immer dachte: Mann, das ist doch alles nur
vermarktetes Zeug!" Bald klar, was passieren musste. Anthony setzte auf
die Kompetenz und die Macht der Musik-Blogs und auf seine eigenen
Fähigkeiten als Programmier. Als er 19 Jahre alt war, ging die
Hypemachine online.
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Der Erfolg kam und mit ihm diese Sätze, die sich bei Vorträgen so
schön an Wände projizieren lassen. "Die Idee, die Aktivität von Leuten
im Netz abzubilden und als eine Möglichkeit zu nutzen, um neue Dinge zu
entdecken, ist sehr mächtig." Fragt man nach seiner alten Heimat
Russland, die er im Alter von zwölf Jahren in Richtung New York
verlassen hat, ist er in nur zwei Sätzen bei der Aussage, dass der
Markt dort für ein Projekt wie die Hypemachine einfach nicht groß genug
sei. Kein Zweifel: Anthonys Leben ist die Hypemachine. Es verwundert
nicht weiter, dass er eine Frage wie die, ob es ihm genauso leicht
fällt, den Promoter in eigener Sache zu machen - viel zu reisen,
Meetings und Konferenzen zu besuchen, Interviews zu geben - nicht recht
versteht. Diese Dinge müssen für die Hypemachine eben gemacht werden.
"Ich liebe es, Interviews zu geben, weil die Leute manchmal wirklich
schwierige Fragen stellen. Das hilft mir dabei, größere Klarheit über
unser Tun zu erlangen. Wenn ich also herausgefordert werde, vor vielen
Leuten zu sprechen oder eine Diskussion zu führen, ist das ein guter
Filter, um zu sehen, welche meiner Ideen schon klar sind und wie ich
sie anderen Leuten erklären kann. Es ist wirklich hilfreich. Und es
macht Spaß!" Anthony neigt den Kopf wieder nach vorne und strahlt. Ob
er sich denn auch als Nerd fühle? Aber sicher! "Ich denke, wer von
Nerds spricht, meint einfach Leute, die eine große Leidenschaft für
bestimmte Dinge haben und überdurchschnittlich viel Zeit damit
verbringen, daran zu arbeiten und darüber nachzudenken. Und ich denke
sehr viel über die Musikindustrie und Dinge nach, um die sich andere
nicht besonders kümmern."
Als sich dann im Konferenzsaal in Köln plötzlich ein distinguierter
Herr im Zweireiher vor ihm aufbaut, sich kurz vorstellt und für die
überaus aufschlussreiche Präsentation dieses interessanten Projekts
bedankt, reagiert Anthony in Sekundenbruchteilen - überaus freundlich,
routiniert und fast so automatisiert wie seine Hypemachine: "Cool!
Haben Sie eine Visitenkarte?"