Vor 20 Jahren starb Jörg Fauser. Der Schriftsteller wurde überfahren, als er auf der Autobahn nach Hause laufen wollte. Ein Rückblick auf einen, der nie ankam.
Von Moritz Mertens
"Ich habe eine Mordswut", schreibt Jörg Fauser seinem Vater, als er 11 Jahre alt ist. Eine Mordswut, die der Schriftsteller Fauser sein ganzes Leben lang nicht wirklich loswird. Von der Kindheit bis zu seinem rätselhaften Tod auf der Autobahn war Fauser die meiste Zeit ein Außenseiter und Rebell.
Als Schüler brennt Jörg Fauser mit seiner Freundin nach London durch, lebt in Kommunen und versichert seinen Eltern, er wolle es schaffen, vom Schreiben zu leben. Er schafft es nicht und zieht zurück nach Deutschland. Während des Zivildienstes in einem Krankenhaus stiehlt er Morphium. Später flüchtet er vom Dienst und lebt in den Slums von Istanbul. "Einer goss Sprit auf den Steinfußboden und zündete ihn an, und solange die Flammen etwas Wärme verbreiteten, versuchte der andere eine Vene zu finden", schreibt Fauser später in seinem autobiografischen Roman
Rohstoff
.
Mit Texten experimentiert Jörg Fauser genauso wie er mit Drogen experimentiert. Als er den Beat-Autor William S. Burroughs liest, entdeckt er den Cut-up-Stil. Wirre, scheinbar zerhackte Texte, welche die Realität zu einer losen Folge von Sinneserfahrungen machen. Schon früh orientiert sich Fauser vor allem an englischsprachigen Autoren: Charles Dickens, Raymond Chandler und später Bukowski. Die etablierte deutsche Nachkriegsliteratur, allen voran Günther Grass, ist Jörg Fauser zuwider. Er beklagt, die Sprache sei abgehoben und weltfremd. "Wenn Literatur nicht bei denen bleibt, die unten sind, kann sie gleich als Party-Service anheuern", schreibt er.
Fauser entzieht 1972 mithilfe von
Apomorphin
. Danach beginnt er
exzessiv zu saufen, lebt in Kommunen und besetzten Häusern. "Durst war ja auch nur ein Synonym für Leben", schreibt er. In
Rohstoff
beschreibt Fauser die Zeit der Studentenproteste aus einer distanzierten und ironischen Perspektive. "Ich hatte sie alle satt, die Nietenjacken wie die Rollkragenpullover, das Gesabber der einen wie die Standpunkte der andern, Sodom und Gomorrha oder Marxismus-Leninismus, Jacke wie Hose, aber wenn mich schon alle anstarrten, wo ich mich hinsetzen würde, dann nahm ich doch lieber bei denen Platz, die keinen Bausparvertrag, kein Parteitagsmandat und keine politische Illusion mehr zu verlieren hatten, nur noch ihre Backenzähne."
Jörg Fausers großes Thema sind die Gescheiterten, die Halbseidenen, die Boxer, die Nutten und die Stehausschank-Trinker. Doch es dauert lange, bis Fauser mit seinen Geschichten ein wenig Erfolg hat. Er arbeitet als Wachmann, auf dem Flughafen, als Journalist und später gelegentlich auch als Texter für das Yps-Magazin. Die meisten seiner frühen Manuskripte werden abgelehnt. Ende der siebziger Jahre lässt er Cut up hinter sich und wird zum Klarschreiber. Seine Sprache ist hart, präzise, rasant und witzig. Genau das Richtige für einen guten Krimi.
1981 veröffentlicht Fauser seinen Roman "
Der Schneemann
". Die Geschichte des Kleinkriminellen Blum, der versucht, fünf Pfund reinstes Kokain auf einem paranoiden Trip durch Europa zu verkaufen. Das Buch wird sein größter Erfolg, es verkauft sich bis heute 250.000 Mal.
Von da an ist Fauser raus aus dem Underground. Er ist ein etablierter Schriftsteller. Doch er will nach wie vor eine andere, bessere und direktere Literatur. Auf Drängen seines Verlages liest er beim
Bachmann-Preis in Klagenfurt
vor. Dort kommt es zur Konfrontation. Die Kritiker, allen voran Marcel Reich-Ranicki, verreißen ihn. Ranicki verhöhnt Fauser, vor laufenden Kameras tadelt er ihn mit den Worten: "Er passt nicht hierher." Klagenfurt bestärkt Fauser in der Rolle des Rebellen. Er sagt, er wolle seine Romane einem breiten Publikum zugänglich machen. Am besten solle man seine Texte in Supermärkten kaufen können.
Dort landet er nie. Doch eine Werbekampagne des Magazins
Wiener
bringt ihn direkt in die Straße. Die einzelnen Kapitel seines Fortsetzungsromans "
Kant
" sind 1987 an den Litfasssäulen aller großen Städte zu lesen.
Jörg Fausers 43. Geburtstag war sein letzter. Er feierte mit Familie und Freunden in der Münchner Bar
Schumann's
. Keiner der Gäste kann sich daran erinnern, wann der Schriftsteller ging. Im Morgengrauen des 17. Juli 1987 läuft er auf dem Standstreifen der A94 in Richtung München. Es sind noch etwa 16 Kilometer bis zu seiner Wohnung, als ein LKW ihn erfasst und mitreißt. Er stirbt noch an der Unfallstelle.
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In den Tagen danach entstanden die ersten Gerüchte. Er habe geheime Akten bei sich gelagert, die am Morgen abgeholt worden seinen. Er sei im Puff gewesen und auf die Autobahn getorkelt. Er habe familiäre Probleme gehabt. Die Arbeit zu seinem Roman
Die Tournee
sei nicht gut vorangegangen. Er sei einer großen Verschwörung zum Opfer gefallen. Jemand habe ihn entführt und auf die Fahrbahn gestoßen.
Auch zwanzig Jahre später ist das Rätsel ungelöst. Es gibt Mutmaßungen, Beweise gibt es nicht. Ohne seinen seltsamen Tod wäre der Mythos Jörg Fauser wahrscheinlich nie entstanden. Ein Krimiautor verwandelt sich in einen Krimi. Die Geschichte hätte ihm vielleicht sogar selbst gefallen. Für seine Fans, wie zum Beispiel Benjamin von Stuckrad Barre, war es ein Abgang mit Stil. Ein großer Knall beendet dieses kurze, wütende Leben.