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Literatur

Verhängnisvoll verbrüdert

Schreiben kann zur Sucht werden. Alkohol auch. Die Kombination aus beidem ist nichts Neues, aber trotzdem noch nicht ausreichend ergründet, findet Gunter Gerlach. Deswegen veranstaltet er mit Hamburger Nachwuchsautoren die Lesung „Dichter an der Flasche“. Eva Achinger war dabei.


Die Stühle sind klassisches Vereinsmobiliar, mit diesen mütterlich umarmenden Rückenlehnen – guter Halt auch nach dem zehnten Bier. Jacken und Taschen halten die besten Plätze rund um die Bühne frei. Ihre Besitzer sammeln sich währenddessen an der Bar. Im Vereinsheim FC St.Pauli 1910 ist es stickig, jeder Schritt hört sich auf dem klebrigen Boden an wie das Öffnen und Schließen eines Klettverschlusses. Der Fernseher neben der Bar überträgt ein Fußballspiel.

„Solange wir alle noch bei Verstand sind“, eröffnet der Veranstalter Gunter Gerlach, „möchte ich die Gelegenheit nutzen und Danke sagen.“ Die letzten Besucher stelzen mit Bierflaschen zu ihren Plätzen. Die Türen des Vereinsheims werden geschlossen. „Der Prozentsatz an Alkoholikern unter den Schriftstellern ist höher als bei jeder anderen Berufsgruppe“, fährt Gerlach fort. „ Sven Amtsberg , Lars Dahrms, Wiebke Lorenz , Jan Deichner werden diesen Zusammenhang heute Abend aufzeigen. Sie lesen ihre Texte und betrinken sich dabei.“

Die Autoren sitzen in einer Zeile an der Wand vis-á-vis dem Publikum. Über ihnen eine große Tafel. Sie wird im Laufe des Abends den steigenden Promillegehalt der Autoren festhalten. Sven Amtsberg schält sich aus der Reihe und sucht zwischen all den Besuchern einen Weg hinauf zum Podium. Seine kräftige Hände umfassen das Pult. „Ich spüre noch nichts“, leitet der 29-Jährige mit tiefer Stimme ein. Das Publikum lacht, Flaschen klirren beim Prosten. „Ist das eine Flatrate-Party?“, fragt ein Zuschauer. Amtsberg liest eine Kurzgeschichte und schließt mit den Worten „Bier stiftet Zusammenhänge“. Dann verlässt er unter Beifall das Podium.

„Schwester“ Tanja, im weißen Kittel mit einem roten Kreuz auf der Brust, fängt ihn ab und lässt ihn ins Röhrchen blasen, bis das Alkoholmessgerät piept. Auf der Tafel notiert sie 0,54.

“Das hier ist kein Komasaufen,“ beschwichtigt Gerlach. Die Veranstaltung sei zunächst eine „Schnapsidee“ gewesen, doch verbirgt sich hinter der unterhaltsamen Aufmachung auch ein ernsthaftes Anliegen. „Ich beobachte, dass die Dichte an Alkoholikern unter Dichtern sehr hoch ist. Ich habe aber keine fundierte Erklärung dafür.“

Ob literarisches Talent und Alkoholismus dieselben Wurzeln haben, untersuchte der amerikanische Psychiater Donald W. Goodwin in der Studie alcohol and the writer . „Schnaps“, so schreibt er, „hat in den Lebensläufen der modernen amerikanischen Autoren eine mindestens so zentrale Rolle gespielt wie Begabung, Geld oder Frauen.“ Nur unter Barkeepern gäbe es eine höhere Suchtanfälligkeit als bei den Literaten. Goodwins These ist antik. Schon Platon fand, die berauschten Dichter seien die besseren.

„Im Rauschzustand hast du Einblick in eine andere Welt“, sagt die Autorin Wiebke Lorenz. Schreiben und trinken gleichzeitig könne sie nicht. „Die Idee zu meinem letzten Roman ist mir allerdings im Suff gekommen,“ gesteht sie. Lorenz nimmt noch einen großen Schluck Bier, bevor sie zum Podium hinaufgeht. Ihr Status quo: 0,68 Promille. Sei kaut auf der Unterlippe und lehnt das Manuskript an ein Bier. Soeben hat Lars Dahrms das Mikro freigemacht. Mit seiner Beschreibung eines Alkoholikers, der sich zum Bierkaufen Mut antrinken muss, sorgt der hagere Mann für Amüsement im Publikum. „Aus dem Teufelskreis komm´ mal raus,“ schließt er.

Die wechselseitige Abhängigkeit von Schöpferkraft und Zerstörung hat Timothy Rivinus erforscht. In einer Tabelle hat der Wissenschaftler Pulitzerpreisträger unter anderem nach dem Ausmaß ihres Alkoholmissbrauchs aufgelistet. Seine Auswertung zeigt: Die maßgebliche Lyrik verdanken wir „menschlichen Wracks“.

„Es hat schon was von gescheiterten Existenzen“, findet Jim, 29, aus dem Publikum im Vereinsheim. Vor ihm steht ein typisches „Herrengedeck“ aus Schnaps und Bier. „Ich glaube wirklich, Schriftsteller trinken so viel, weil sie am nächsten Tag auch ausschlafen können“.

„Guckt mal, wer da fickt!“ liest Wiebke Lorenz währenddessen und hält sich den Parka vor der Brust zusammen - so als wolle sie sich schützen. Mit fortschreitender Stunde werden Kraftausdrücke zu Selbstläufern. Ein dumpfer Aufprall schneidet ihr plötzlich das Wort ab. Rücklings landet einer der Autoren am Fuße des Podiums. Das einzige, was an seiner Erscheinung noch gerade ist, sind die Streifen auf seinem Hemd: 2,46 Promille, diagnostiziert Tanja.

Literaten wie Edgar Allen Poe haben mit Alkohol die bürgerlichen Konventionen abgestreift, mit dem Rausch die Pforten der Wahrnehmung geöffnet. „Klar, manchmal kommst du vom Feiern nach Hause und denkst, du hast im Suff die tollsten Ideen. Das ist aber meistens die größte Grütze“, erzählt Amtsberg. Er zählt sich nicht zu den „poet maudit“ , die ihre Genialität mit dem frühen Dahinscheiden bezahlt haben. Überhaupt hat Amtsberg wenig von einem Trunkenbold. Er wirkt auch in der 4. Runde mit 1,55 Promille hoch konzentriert. Auch die Sorgenfalte zwischen seinen Brauen will sich nicht legen.

Wiebke Lorenz dagegen wankt in Richtung Toilette. Ihre vormals akkurat gescheitelten Haare sind verwuschelt. Die Autorenzeile an der Wand ist inzwischen durchbrochen. Sie sitzen jetzt überall verstreut, am Boden oder an der Bar. Der Kampf um die Gunst des Publikums ist beigelegt. Sie, die vor wenigen Stunden noch Konkurrenten waren, umarmen sich jetzt.

Zuhören möchte ohnehin niemand mehr. Und lesen kann keiner mehr. Gunter Gerlachs Liste der Autoren, die sich mit ausuferndem Alkoholkonsum vernichtet haben, interessiert auch niemanden mehr. „Ich frage mich jedes Jahr wieder, ob ich es noch mal machen soll“, gesteht er. Es sei für einen guten Zweck, denn die Einnahmen gehen an die Kurverwaltung St. Pauli. Aber bei all dem Spaß wolle niemand die reale Problematik sehen. „Alkohol und Literatur werden bisher nur wie eine Fußnote behandelt. Ich wünsche mir einen ehrgeizigen Doktoranten, der das Thema wissenschaftlich aufrollt.“

Um drei Uhr sind auch die letzten gegangen. Nur der gefallene Autor erdenkt sich in mütterlicher Umarmung seines hölzernen Stuhls seine nächste Geschichte.

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