Wer seinen Job liebt und hofft, im Traumberuf weiterzukommen, ackert sich durch das fünfte unbezahlte Praktikum. Rene Pollesch hat daraus ein Theaterstück gemacht
Von Elise Graton
Seit dem Sommer war im Leuchtkasten für die Programmankündigung nur noch der Spruch „Komme gleich wieder – Pollesch“ zu lesen. Das Berliner Prater-Theater war zur Sanierung geschlossen. Seit einer Woche prangt eine neue Meldung im Kasten: „Tod eines Praktikanten“. Es ist das neue Stück von René Pollesch, dem künstlerischen Leiter und Hausregisseur des Prater.
Tod eines Praktikanten
, das klingt nach
Tod eines Handlungsreisenden
, dem Theaterstück, das seinem Autor Arthur Miller 1949 den Pulitzerpreis einbrachte. Mit der Darstellung des 63jährigen arbeitslosen Handlungsreisenden Willy Loman kritisierte Miller den damals schon angekratzten Mythos des „American Dream“, die Vorstellung, dass harte Arbeit und Mut jeden Tellerwäscher zum Millionär machen können. Der berufliche Aufstieg in den USA hängt heute wieder mehr denn je vom Einkommen und der Hautfarbe der Eltern ab. Trotzdem halten viele weiter am Traum fest – und scheitern daran.
In Europa wurde 2006 für diesen Mythos der Begriff "Generation Praktikum" geprägt. Gemeint sind die Lebensumstände der jüngeren Generation, die vermehrt in unbezahlten Jobs und unsicheren Verhältnissen arbeitet. Paradoxerweise wird selbst das Praktikantendasein als Luxus betrachtet, denn für lau arbeiten kann nur, wer von wohlhabenden Eltern unterstützt wird. Dass man durch ein Praktikum dem gewünschten Beruf näher kommt, ist zwar meist illusorisch und die meisten wissen das mittlerweile auch. Trotzdem laufen sie mit und scheuen keine Mühe, sich ausbeuten zu lassen.
Wieso mutet man sich das zu? Wegen der Liebe, lässt Pollesch seine Figuren antworten. „Das ist das Abgeschmackteste am Kapitalismus: Plötzlich wollen alle nur noch Liebe und keiner will mehr Geld. Die wollen alle für die Liebe arbeiten, auch ich, und warum ist das so?“ fragt die Schauspielerin Inga Busch, die im Brautkleid vorm Publikum steht. Damit spricht sie den Kern des Problems aus: Weil wir den Job lieben und hoffen im Traumberuf weiterzukommen, ackern wir uns durch das fünfte unbezahlte Praktikum. Geld ist doch nicht das, wofür wir leben! Aber wie wollen wir dann leben? „Ich will das hier nicht aus Liebe machen! Und wenn ich mich so umsehe, dann wird mir klar, ich kann das auch nicht wegen Geld machen. Also weshalb mach ich das dann?“ fragt sich die ebenfalls als Braut verkleidete Nina Kronjäger. Die Lage ist schizophren.
Die Schauspielerinnen auf der Bühne spielen sich selbst, sie sind Inga Busch, Nina Kronjäger und Christine Groß. Wo aber steckt der eigentliche Hauptdarsteller, der Praktikant? Bereits mehrmals haben die drei Protagonistinnen das von Bert Neumann entworfene Bühnenbild, fünf mit Planen bedeckte Holzgerüste, auseinander genommen – keine Spur vom Praktikanten. Mal sprechen sie ihn an, als würde er in der Luft schweben. Mal sprechen sie das Publikum an, als würde er unter ihnen sitzen. Mal sprechen sie das Bild eines jungen Mannes mit Kapuzenjacke an, der an der Kasse eines Gemüseladens steht und treuherzig hinaus guckt. Die Planen sind mit Ladenfassaden bedruckt. Es sind Läden aus dem Prenzlauer Berg, dem Viertel, das so exemplarisch für die Generation Praktikum steht und in dem auch dieses Theater zu Hause ist. Realität und Repräsentation, Wirklichkeit und Fiktion verschwimmen.
Anders als bei Arthur Miller nimmt sich der Hauptdarsteller zum Schluss nicht das Leben. Bei Pollesch ist der stets unsichtbar bleibende Praktikant schon tot. Auf dem schwarzen Boden wurde der Umriss seines Körpers mit weißem Klebeband nachgezeichnet. Ermordet wurde er von Sigourney Weaver, vermutet eine der Schauspielerinnen.
Anzeige
Wieso soll ausgerechnet Sigourney Weaver den Praktikanten ermordet haben? Weil sie als Beispiel für ein Kino dient, das Außenseiter nicht für sich sprechen, sondern sie durch Andere, Privilegierte, eben reiche Schauspieler darstellen lässt. Im vergangenen Jahr spielte Weaver im Film
Snow Cake
eine Autistin. Nun ist Sigourney Weaver im wahren Leben natürlich keine Autistin, sondern eine millionenreiche Schauspielerin, das wird in
Tod eines Praktikanten
immer wieder betont. Ebenso wenig ist Julia Roberts eine allein erziehende Mutter (die sie
Erin Brokovich
spielte) oder Charlize Theron eine Prostituierte und Serienkillerin (die sie in
Monster
spielte). Unterprivilegierte Frauen darzustellen ist im Moment bei Hollywood-Schauspielerinnen sehr beliebt. Pollesch hätte viele aufs Korn nehmen können.
Diese Filme basieren meist auf der Absicht, dem Zuschauer die Welt aus Sicht eines Außenseiters zu zeigen. Nur leider werden die Ausgeschlossenen dadurch nicht mündiger, sondern weiter bevormundet und ausgeschlossen. Wenn privilegierte Menschen die Unterprivilegierten darstellen, dann hat sich für diese nichts verbessert. Alles bleibt, wie es ist. „Es ist diese männliche (gesunde, heterosexuelle, weiße) Mittelstandposition, die diese Millionärin einnimmt. Sie will niemals die Andere sein, deshalb muss sie dauernd von dem Anderen reden und die Differenz performen und zementieren“, sagen die Schauspielerinnen über Weaver.
Das erklärt auch, wieso Pollesch auf einen Praktikantendarsteller verzichtet. Niemand, der nicht Praktikant ist, soll einen spielen und die Schauspielerinnen sind keine Praktikanten. Sie gehören zu den Privilegierten. Also können sie nicht für Unterprivilegierten sprechen, sondern nur für sich. Für diese These steht die amerikanische Wissenschaftlerin
Donna Haraway
. Sie hinterfragt die verbreitete Annahme, Ausgeschlossene und Menschen aus der Unterschicht könnten sich nicht selbst vertreten. Während der Vorführung wird sie mehrfach zitiert: „Auf eine weniger verkehrte Weise erweist sich Objektivität als etwas, das mit partikularer und spezifischer Verkörperung zu tun hat und definitiv nichts mit der falschen Vision eines Versprechens der Transzendenz aller Grenzen und Verantwortlichkeiten.“ Aua.
Überhaupt der Text. Er ist bei Pollesch ein harter, kompakter Brocken. Die Schauspielerinnen leiden. Wenn es mit dem zügellosen Rezitieren hapert, brausen Polleschs Sprachrohre gereizt vor sich hin. Damit signalisieren sie der stets anwesenden Souffleuse, sie solle jetzt bitte aushelfen. Und wie geht es dem von Polleschs Gedankenfluss regelrecht abgeschossenen Publikum? Dem Text in allen Einzelheiten folgen können sie ohnehin nicht. Aber ist das schlimm?
Polleschs Thesen lassen sich nicht auf Anhieb begreifen – auch nicht mit Textvorlage: Er stellt das klassische repräsentative Theater in Frage und will damit die herrschende Denkweise durchbrechen: Diese „männliche, gesunde, heterosexuelle, weiße“, westliche, kapitalistische, neokolonialistische Denkweise, prägt uns alle so tief, dass auch Frauen wie Sigourney Weaver zu ihren unbewussten Vertretern werden und Jugendliche unbezahlte Praktika wohlwollend annehmen. Rene Pollesch hat das verstanden und zeigt es uns auf der Bühne.
Weitere Aufführungen am 2., 3., 10., 15. und 16. Februar und am 2. und 3. März