In Lady Vengeance stellt der südkoreanische Regisseur Park Chan-Wook wieder die Frage nach der Schuld - allerdings weniger blutig als zuvor.
Von Jasmin Klofta
Am Anfang steht bereits ein scheinbares Happy-End: Der Wind pfeift durch die Straßen, Schneeflocken wirbeln herunter. Voller Hoffnung harrt ein Priester (Byeong-Ok Kim) vor dem Gefängnis aus. Er wartet auf Lee Geum-ja (Lee Young-Ae), die vermeintliche Kindermörderin, die nach 13 Jahren Haft entlassen wird. Er hat sie im Gefängnis bekehrt, einen richtigen Engel aus ihr gemacht. Hinter Gittern war sie die hilfsbereite und „herzensgute Geum-ja“.
Das ist jetzt erst mal vorbei: Den Tofu, den ihr der Priester als Zeichen ihrer sündenfreien Zukunft reicht, kippt sie auf den Asphalt. „Why don´t you screw yourself?“, fragt sie, setzt sich die Sonnenbrille auf und beginnt als Racheengel den Feldzug gegen den wahren Kindermörder.
Mit der unversöhnlichen Geum-ja vollendet der südkoreanische Regisseur
Park Chan-Wook
eine Film-Trilogie zum Thema Rache. In den ersten beiden Filmen
Sympathy for Mr. Vengeance
(2002) und
Oldboy
(2003) schockierte Park mit exzessiver Gewalt, Filmemacher wie
Quentin Tarantino
waren begeistert.
Oldboy
zeigte Bilder, die wir bis dato im westlichen Mainstream-Kino nicht kannten: Hier wurden Zähne mit Werkzeugzangen herausgerissen, Zungen herausgeschnitten und Tintenfische lebendig verspeist. Die Handlung ähnelt der von
Lady Vengeance
: Ein Mann wird 15 Jahre lang ohne erkenntlichen Grund in einer Wohnung festgehalten. Kontakt zur Außenwelt hat er nur übers Fernsehen. Von dort erfährt er, dass er als Mörder seiner Familie gesucht wird. Als er plötzlich frei kommt, hinterlässt er auf der Suche nach dem Verantwortlichen eine lange Blutspur.
Der große Knall, der krönende blutige Abschluss, den man für die Trilogie erwartet hätte, ist
Lady Vengeance
nicht geworden. „Ich wollte, dass meine Wut anmutiger, mein Hass nobler und meine Gewalt zärtlicher wird“, erklärt Park. Doch ist die Blutspur wirklich weggewischt? Folter und Gemetzel werden zwar nicht frontal gezeigt, sind aber immer zu spüren. Sie sind bereits passiert oder werden bald folgen. Denn was bleibt, ist eine düstere Atmosphäre, eine surreale Umgebung, die die seelischen Abgründe der Rachesuchenden widerspiegelt.
Lady Vengeance
ist dadurch nicht weniger intensiv als seine Vorgänger. Ganz im Gegenteil, Park dringt hier tiefer in die Psyche seines Racheengels ein.
In vielen ineinander verwobenen Rückblenden wird der Beginn von Geum-jas Misere erzählt: Mit 18 Jahren wird sie von ihren Eltern verstoßen, weil sie schwanger ist. Aus Verzweiflung wendet sie sich an ihren Lehrer Mr. Baek (Choi Min-Sik), der sie zwar aufnimmt, die Situation aber skrupellos ausnutzt und sich an ihr vergeht. Während in den ersten zwei Filmen die Gründe für den Rachefeldzug schnell erzählt waren, bleibt Geum-ja eine undurchsichtige Figur. Erst nach und nach wird klar, dass Mr. Beak der Entführer und Mörder des fünfjährigen Jungen ist, den Geum-ja getötet haben soll. Weil er ihr drohte, ihre neugeborene Tochter zu töten, gestand sie die Tat.
Ihre Rache malt sich Geum-ja in ihren Träumen aus: In schwarzen Stiefeln, mit Lederjacke und rotem Lidschatten richtet sie den eigentlichen Mörder mit einer selbst angefertigten Waffe hin. Das erinnert an die von
Uma Thurman
gespielte Figur aus Quentin Tarantinos
Kill Bill
. Hat Park da etwa abgeschrieben? Ja und Nein. Ja, weil Geum-ja eindeutig zu der Art schönen Killerin werden will, die sie und wir aus den westlichen Medien kennen. Nein, weil Park im Gegensatz zu Tarantino zeigt, woher dieser Wunsch nach Verwandlung kommt. Geum-jas Racheengel ist einer zweiten Grades: Eine Vorstellung, die sie sich selbst aus
Kill Bill,Nikita
und anderen Bildern eiskalter weiblicher Killer aus Film und Fernsehen zusammengebaut hat.
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Medienbilder spielen bei
Lady Vengeance
auch sonst eine zentrale Rolle. Die Öffentlichkeit ist nach Geum-jas Verhaftung schockiert und gleichzeitig fasziniert davon, dass eine so naive, junge Frau mit so großer Brutalität ein Kind umbringen konnte. Die Menschen gieren nach Einzelheiten der Ermordung, Geum-jas Lebensgeschichte soll verfilmt werden. Das Kleid, das sie am Tag ihrer Verhaftung trug, wird zum Modetrend des folgenden Herbstes. Bei Park wird der Gewaltakt zur Popkultur stilisiert.
Zunächst scheinen die Sympathien klar verteilt zu sein, doch das Bild hängt nie ganz gerade. Aus Sympathien entstehen Antipathien, aus erhofften Antworten neue Fragen. Ist Geum-ja ein wirklich guter Mensch oder eine Bestie? Ist die Herzlichkeit, die sie im Gefängnis über 13 Jahre auszeichnete, ehrliche Hilfsbereitschaft oder nur reine Berechnung? Der Zuschauer blickt in den Zwiespalt der Figur selbst, die versucht sich den Kategorien „Gut“ oder „Böse“ zuzuordnen, zwischen den Optionen „Rache“ oder „Vergebung“ zu wählen. .
Auch wenn Geum-ja vorgibt nicht mehr zu glauben, empfindet sie ihre Handlungen als „Sünden“ und will sich an demjenigen rächen, der sie zur „Sünderin“ gemacht hat. Als sie erfährt, dass Mr. Beak nach ihrer Verhaftung noch weitere Kinder ermordet hat, muss sie sich entscheiden: Ist sie die einzige, die ein Recht auf Rache hat? Haben die Eltern der anderen ermordeten Kinder nicht ebenso dieses Recht? Muss sie die anderen vor Sünden schützen oder selbst sündigen lassen? Das ist eine der Schlüsselfragen von
Lady Vengeance
. Der Film gibt darauf, wie erwartet, keine einfache Antwort.