Schön gedacht
Gewonnen
Schön war’s! Dennis Kazooba erinnert sich an eine WM mit viel Bier und netten Polizisten und uns daran, dass die Party noch nicht vorbei ist. Und wenn doch – vielleicht ist’s ja auch genug
Es ist fast still. Wirklich still kann es bei 1 Millionen Leuten natürlich nicht sein. Aber abgesehen vom Hintergrundmurmeln könnte man meinen, ein gigantischer Trauerzug bahne sich seinen Weg durch den Tiergarten, zu den Bahnhöfen rund um die Fanmeile.
Soeben hat Italien mitten in der Vorbereitung auf’s Elferschießen zwei Tore geschossen. In der 119. Minute. Man kann noch nicht recht begreifen, was gerade passiert ist. Es ist nur ein Fußballspiel und du bist angetrunken.
Ein paar Menschen rufen trotzig "Deutschland, Deutschland" und schwingen ihre Fahne. Keiner stimmt mit ein und das erste Mal seit Wochen stört mich das schwarz-rot-goldene Gegröle. Die Suche nach einem gemeinsamen Nenner inmitten von Leuten, die wahrscheinlich keinen Ball geradeaus schießen können.
So eine WM ist allerdings mehr als Fußball. Es ist ihr Sinn, Gemeinsamkeiten zu entdecken. Das meint auch die FIFA und scheint Erfolg zu haben: Zumindest in unserer Generation ist bei einigen der Ansatz einer Horizonterweiterung zu beobachten - von der Anschauung des eigenen Bauchnabels zur Betrachtung des Landes. Wenn es jetzt noch einen die gesamte Menschheit integrierenden Wettkampf geben würde. Einen Krieg gegen Außerirdische beispielsweise.
Okay, ein Bier zu viel getrunken. Mit dieser Feststellung erreiche ich Schloß Bellevue und treffe tatsächlich den Bundespolizisten aus Mecklenburg-Vorpommern, der uns vor einigen Tagen noch so nett geholfen hat, als Philipp den Ball über die Mauer des Schloßgartens geschossen hatte. Freilich war er auf mein freundliches "Hallo" hin etwas zugeknöpft, was einerseits an der Niederlage liegen mag, andererseits daran, dass man den Ball trotz intensiver halbstündiger Suche nicht finden konnte, so dass Philipp auf dem Rückweg beschloß, es selbst einmal zu versuchen. Er kam den Zaun zur Hälfte rauf, da blickte er direkt in eine Kamera, hampelte ein wenig vor ihr rum und stieg wieder runter.
Zwei Minuten später kamen besagter Polizist und ein untersetzter Kollege volle Kanne angerannt, was an sich schon ein Bild für die Götter war, und Philipp und mich wie angewurzelt, aber lächelnd, stehen bleiben ließ. Ungläubig fragten sie uns, ob wir das jetzt waren, die versucht hatten, in das gesicherte Gebiet einzudringen. Wir sprachen die Zauberworte "Unser Fußball" und durften gehen, ohne dass unsere Personalien aufgenommen wurden.
Die U-Bahn ist überfüllt. Die Laune der Leute hebt sich jedoch ein wenig. Jetzt fühlt es sich nicht mehr nach Friedhof an, sondern nach dem unweigerlichen Ende einer jeden Party. Wobei die ja für wahre Fußballliebhaber noch nicht vorbei ist. Es stehen noch einige hochklassige Partien an. Der glühende Fan hingegen kann sich an der Tatsache aufrichten, dass es im Fußball immer weiter geht. Für 2008 hoffen wir nur, dass Klinsmann bleibt.
Gute Stimmung wars, vielleicht ist jetzt auch genug. Am U-Bahnhof Spichernstraße laufen zwei Jungs an der überfüllten Bahn vorbei. Sie sind ganz in blau gkleidet, vielleicht 11-12 Jahre alt und ganz süß möchte man meinen. Sie rufen in das leise Gemurmel ein lautes "Schade Deutschland, alles ist vorbei!" Die meisten Leute lachen erlöst. Drei Twens entblöden sich nicht, den Kindern ein aggressiv berlinertes "Schnauze" hinterher zu schreien, um danach "Steht auf wenn ihr Deutsche seid" zu intonieren.
Der Rest des Waggons schaut mehrheitlich betroffen. Zu viel Deutschland ist nicht gut, schön in einem aufgeklärten Land zu leben.