Pornos sind schmutzig und dumm? Von wegen. Eine Berliner Konferenz will das Genre aus der Schmuddelecke holen.
Von Chris Köver und Julia Reinecke
Auf der Bühne sitzt ein splitternackter Mann. Links von ihm schließt gerade der Moderator: "Thank you very much for your wonderful presentation, Todd." Das Publikum, in mehreren Reihen halbkreisförmig um die beiden angeordnet, klatscht begeistert. Einige erheben sich von ihren Plastikklappstühlen. Der Mann nickt ein paar Mal zum Dank, beugt sich dann nach seiner hellblauen Unterhose, die er hinter den Stuhl gelegt hat, und streift sie sich wieder über.
Wir befinden uns im marmorgetäfelten Foyer der
Berliner Volksbühne
. Es ist gut gefüllt und schon jetzt am Mittag hängen dicke Rauchschwaden unter der Decke. Aber was hier gespielt wird, ist kein Theaterstück. Der Mann auf der Bühne ist Todd Verow, ein bekannter Filmemacher der Untergrund-Szene. Er ist Porno-Produzent, aber einer, dessen Filme auf Festivals gefeiert werden. Sein Vortrag mit dem Titel "Wie man Sexszenen filmt und ein Pornostar wird" ist Teil des Programms einer Konferenz zu Pornografie –
"Post Porn Politics"
heißt sie.
Im Publikum sitzen vor allem Künstler, Aktivisten und Akademiker. Sie tragen Anzüge oder Trainingsjacken und Turnschuhe, einige sind als glamouröse Drag-Queens herausgeputzt, eine Frau so nackt wie der Redner. Männer sind ebenso zahlreich wie Frauen, obwohl man das bei vielen hier nicht so genau sagen kann – und das soll wohl auch so sein. Während im Hintergrund acht Meter hohe Bilder von Penissen in Aktion und lustverzerrten Gesichtern projiziert werden, machen sie sich interessiert Notizen, rauchen oder plaudern miteinander. Nur vereinzelt sieht man ein unterdrücktes Lachen.
Zwei Tage und Nächte lang wird es darum gehen, wie man Pornografie aus der Schmuddelecke holen und welche Alternativen es jenseits des gängigen RTL2-Materials geben könnte. "Post Porno" nennen sie das. Das Programm ist darauf angelegt, Theorie und Praxis zusammenzubringen: tagsüber Vorträge zu Voyeurismus, feministischen und linken Positionen, männlicher Ejakulation, Pornos im Internet und der Darstellung von Homosexualität. Zwischendrin und besonders nachts viel handfestes Anschauungsmaterial: Drag-Shows, Konzerte und Berichte von Menschen, die mit Sex ihr Geld verdienen.
Eine von ihnen ist
Annie Sprinkle
. Die 52-jährige Amerikanerin gilt als Mutter des "Post-Porno". In Opernkleid, mit hochgesteckten Haaren und viel Make-up steht sie am Abend auf der großen Bühne und spricht über ihr Leben als Pornostar und Prostituierte. Dann lädt sie ein, ihren Gebärmutterhals zu betrachten. Auf einem Sessel macht sie es sich bequem und eröffnet mit Hilfe eines eingeführten Spekulums die Sicht auf "das Tor zur Welt", wie sie es nennt. Die Besucher stehen Schlange, um einen Blick zwischen ihre Beine zu werfen und das für die Übrigen zu kommentieren: "Big", "This is where I am from?", "beautiful" hört man und ärgert sich, diese Chance verpasst zu haben. Später führt Annie Sprinkle noch ihr weltbekanntes Brust-Ballett vor: rechts, links, mittig, hoch bewegt sie ihre Schwergewichte im Takt der klassischen Musik.
Das Publikum tobt. Erst als sie bei der Verbeugung ihre Perücke abnimmt, wird es still. Zu sehen ist nicht mehr die erotische Pornodarstellerin Sprinkle, sondern Ellen Steinberg, eine Frau, die Liebe propagiert und sich als sexuelle Aufklärerin versteht.
Eine Konferenz zu Pornografie? Seit Mitte der neunziger Jahre wird auch an den Universitäten über Sexualität und Pornografie debattiert.
Queer
oder Gender Studies heißt dieses Gebiet, das aus der feministischen Theorie entstand und sich mit der Konstruktion von Geschlechterrollen beschäftigt. Viele Dinge, die der Feminismus noch erbittert bekämpfte, sieht man hier gelassener. 1987 lautete der Schlachtruf der
Emma
noch
PorNO
und Alice Schwarzer schimpfte: "Der zentrale Sinn der Pornografie ist die Propagierung und Realisierung von Frauenerniedrigung und Frauenverachtung." Heute glauben die meisten queere Aktivisten nicht mehr, dass Porno zwingend frauenverachtend sein muss.
Alles in Butter ist deswegen aber noch lange nicht. Ein Grund für die Konferenz sind die aktuellen Angebote der großen Pornoindustrie. "Für mich ist das Symposium eine politische Intervention in den Mainstream-Porno und seine ewig gleichen Geschichten, in denen Männer dumm und mächtig, Frauen dumm und devot dargestellt werden", sagt Tim Stüttgen, der die Veranstaltung organisiert. Trotzdem will Stüttgen keine Mauern ziehen: "Auch die Mainstream-Industrie ist willkommen, das ist nicht alles böse."
Post Porno, das ist für ihn Pornografie, "die abweichende Formen von Sexualität nicht zensiert, sondern fragt: Was können wir mit unseren Körpern noch machen?" Meist sind es Filme aus der alternativen Kino-Szene, die der etablierten Porno-Industrie etwas entgegensetzen. Zum Beispiel die des schwulen kanadischen Regisseurs Bruce La Bruce. Schwarz-weiß und in gekörnter Super-8-Ästhetik zeigt La Bruce Männer, die sich leidenschaftlich küssen, mit Händen und Mündern aneinander rummachen. Zum Porno-Regisseur wurde er wider Willen, sagt er. Weil er entsetzt war von der Homophobie der kanadischen Punkszene, zu der er in den achtziger Jahren selbst gehörte. "Für uns war Porno direkte politische Aktion. Wir dachten: Wenn es sogar in dieser vermeintlich linken Szene Schwulenfeindlichkeit gibt, dann müssen wir explizit homosexuelle Filme machen."
Über die "anderen Formen von Sexualität" wird hier nicht bloß geredet. Stüttgen, auf dessen rosa T-Shirt sich schemenhafte nackte Gestalten räkeln, trägt Turnschuhe und weite Hosen, hat eine Carharrt-Kappe schief auf den rasierten Kopf gesetzt. Nachts verwandelt er sich gerne in eine androgyne Diva mit Federboa und langen Wimpern. "Diese Spannung zwischen Körpern und dem Reden darüber interessiert mich", sagt er. "Als Künstler brauche ich beide Richtungen. Das wird zwar nie eins, aber es kann sich annähern."
Am Rande des Foyers, hinter den Stuhlreihen, sind zwei Stände aufgebaut, die wie ein Sinnbild für diese Spannung funktionieren. Rechts hat der linke Berliner Buchladen
b_books
Theoriewälzer zum Thema ausgelegt. Bände mit Titeln wie
"Sex und die Logik des Spätkapitalismus"
oder
"Die Politik queerer Räume"
. Links verkauft die "Sex-Arbeiterin" und -Beraterin Laura Méritt das Sexspielzeug ihrer Marke
"Sexclusivitaeten"
. Ausgefallene Dildos, Porno-Videos, Handbücher, dazwischen, wie exotische Kuscheltiere oder Sofakissen, große Vaginas aus Plüsch.
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Vor dem Stand steht Kathryn Fischer, sie trägt viel schwarzes Leder und einen langen violetten Punkschopf, der ihr seitlich ins Gesicht fällt. Das sieht wild aus, aber Kathryn ist ein nettes Mädchen. "Hey, how are you?", fragt sie und fängt an, ihre Geschichte zu erzählen. In den USA "Women’s Studies" studiert, sogar überlegt, an der Universität zu bleiben. Aha, eine Akademikerin? Seit zwei Jahren lebt sie jetzt in Berlin und strippt regelmäßig in Szenebars wie dem "White Trash". Aha, eine Stripperin? Wer sich hier mit den Menschen unterhält, bekommt seine Vorurteile umgeworfen. Irgendwie ein gutes Gefühl.