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Konsumverweigerung

Die Schwarzleser

Kunden, die keine sind: In französischen Buchläden lesen die Menschen oft stundenlang, ohne je etwas zu erwerben. Was sie am häufigsten nicht kaufen? Comics.

Nachmittags ist die Comicabteilung der Fnac-Filiale in Paris-Châtelet voll. Auf fünf mal zwölf Metern liegen, sitzen oder stehen Menschen, so verschieden, wie sie in einer Großstadt nur sein können. Doch eines hat die stille Menge gemeinsam: Sie ist völlig in Comics versunken.

Zwischen den Köpfen zweier Teenager, die sich von ihrer Lektüre nicht ablenken lassen, schiebt eine Verkäuferin ein paar Kleinformate ins Regal. Sie ist schlecht gelaunt: Dass die Leute hier Comics lesen, ohne sie zu dann zu kaufen, sei ganz normal – doch oft muss sie über Menschen klettern, ihnen drei Mal auf die Schulter klopfen, bis sie aufwachen, in die Realität zurückkehren und die Regale freigeben.

Paul, ein Gymnasiast, sitzt am liebsten auf dem Teppichboden. Er liest gerade die Ausgabe Nr. 26 der Mangaserie Kyo . Paul gehört nicht zu den Besessenen, die schon um 10 Uhr morgens auftauchen, sich einen Stapel Comics holen und erst um 19 Uhr den Laden wieder verlassen.

"Die gibt's wirklich", versichert die Verkäuferin mit weit aufgerissenen Augen, "und immer lassen sie die Bücher herumliegen." Da helfen auch die vielen Hinweisschilder nicht. Sie schimpft weiter, während sie weggeht: "Manchmal finde ich verfügbare Bände nicht im Regal und wenn jemand unbedingt ein Buch kaufen will, muss ich nach demjenigen suchen, der es gerade liest." Die Frau verdient eine Medaille.

Paul gehört zu den Normalen: Er kommt ungefähr jede zweite Woche und bleibt zwei Stunden. Dabei verschlingt er in der Regel drei bis vier Mangas. Das tut er seit einem Jahr – damals hat er seine Liebe für die japanischen Comics entdeckt. Wie viele hier. Roger, 37 Jahre alt, hat die Mangas während einer Geschäftsreise in Japan entdeckt. Obwohl er, anders als Paul, genug Geld hätte, um die Bücher zu kaufen, tut er das nie: "Es wäre mir unangenehm, wenn mich Kollegen damit erwischen würden. Und meine Frau fände es albern, dass ich sowas mag."

Seltsam, dass er die viel besuchte Buchhandlung für einen geeigneten Ort hält, sein geheimes Pläsier auszuleben. Roger erklärt es so: Die Masse der Leser hier ist anonym, so lange ihn die Verkäufer nicht persönlich grüssen, ist doch alles in Ordnung. Und Ausreden gibt es sowieso viele. Robert, 54, zum Beispiel steckt verlegen das neu aufgelegte Le triangle bleu von Albert Weinberg ins Regal zurück: "Ein Gewitter drohte loszubrechen, also bin ich reingegangen."

"Manchmal habe ich den Eindruck, für einen Volltrottel gehalten zu werden, weil ich vom letzten Band von Larcenet begeistert bin." sagt Lucie, eine 34jährige Filmassistentin. "Hier dagegen empfinde ich eine Art Gemeinschaftsgefühl. Wir reden nicht miteinander, gucken uns nicht mal an, aber es ist so, als ob wir zusammen lesen."

Eigentlich gibt es keinen Grund, sich zu schämen. Schon 1971 hat der Journalist Francis Lacassin Comics zur neunten Kunst erhoben. Die Bildgeschichten sind hier keine Kinderbücher mehr. Ein kultivierter Franzose ist stolz darauf, Alben von Pratt , Bilal oder Trondheim in seiner privaten Bibliothek zu haben.

"Dass die Leute bei uns lesen, ohne jemals etwas zu kaufen, gehört zu unserem Geschäftsalltag", sagt Nadja Krovnikoff, Produktmanagerin für Comics und Jugendliteratur bei Fnac. Das Phänomen inspirierte schon 1998 einen Werbespot, der einen Comicfanatiker namens Jean-Luc in flagranti zeigte. O-Ton damals: "Er besucht die Fnac, seit er ganz klein ist. Dank uns hat er seine Leidenschaft für Comics, Science-Fiction und Krimis entdeckt. Jean-Luc kommt sehr oft in die Fnac. All unsere Verkäufer kennen ihn und beraten ihn seit Jahren. Er weiß als erster über Neuheiten Bescheid. Aber heute würden wir uns, hier in der Fnac, darüber freuen, wenn er endlich mal etwas kaufen würde."

In den neu eingerichteten Fnac-Geschäften wird mittlerweile darauf geachtet, die Comicabteilung leserfreundlich zu gestalten: "Für die Filiale in Montparnasse, die gerade im Umbau ist, sind Sofas und Sitzkissen vorgesehen", verkündet Nadja Krovnikoff. Das hat nicht nur mit sympathischem Laisser-faire zu tun. Vielmehr hat sich das Unternehmen an ein Phänomen angepasst, das sich sowieso kaum unterdrücken lässt. Und weil es sich lohnt. 2005 hielt Fnac 22 Prozent des französischen Comicmarktes. Im Jahr zuvor wurden in Frankreich 43,3 Millionen Comics verkauft, damals 13 Prozent des gesamten Buchmarktes. Die Zahl dürfte inzwischen weiter gestiegen sein.

Vielen Schwarzlesern geht es wie Sophie: "Wenn ich kein Geld habe, vermeide ich die Comicabteilung", erzählt die bebrillte Musikstudentin. "Dort bekomme ich Lust herumzuwühlen, fange an, in dem einen oder anderen Comic zu schmökern und noch im Laden entwickle ich eine persönliche Beziehung dazu: Ich muss es unbedingt haben – auch wenn ich die neue Errungenschaft dann meistens schon in der Métro zu Ende lese. Oft bin ich nur in der Nähe der Fnac und plötzlich giere ich zwanghaft nach Comics." Sophie findet das ungerecht, ihr Freund Mathieu sieht seine Lesenachmittage eher als kleine Racheakte: "Hier konsumiert man vor Ort. Dann geht man mit den Händen in den Taschen, ohne diesen Deppen einen Cent zu geben. Das finde ich toll."

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