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FEMINISMUS DEBATTE

Zwischen Club und Kita

Andrea Wolf ist alleinerziehende Mutter und Szenemädchen. Wenn andere über die Vereinbarkeit von Kind und Karriere streiten, dann meinen sie damit nicht Andrea. Ihr geht es gar nicht um Karriere. Sondern ums Überleben.

"Manchmal ist alles so scheiße, dass ich einfach nur noch die Tür knallen und schreien will", sagt Andrea Wolf und zieht die Augenbrauen zusammen. Die 31-jährige Mutter und ausgebildete Kosmetikerin sitzt mit angezogenen Knien auf dem Balkon ihrer Altbauwohnung im Karolinenviertel, einem Hamburger Szenestadtteil. Es ist sieben Uhr abends, die Abendsonne immer noch stark und ihr dreijähriger Sohn Jona bald im Bett. Erst jetzt spricht sie zum ersten Mal darüber, wie sehr sie ihre Situation als alleinerziehende Mutter mitunter aufreibt und frustriert.

Zehn Stunden zuvor, beim Frühstück in einem portugiesi¬schen Café ein paar Straßen weiter, hatte sie noch müde, aber sehr zufrieden ausgesehen. "Jona hat die Nacht spontan bei einer befreundeten Kita-Mutter verbracht. Das musste ich natürlich ausnutzen", erzählt sie grinsend und entblößt dabei eine mädchenhafte Zahnlücke. Für Andrea die erste Gelegenheit seit über drei Wochen, um auszugehen. Bis drei Uhr morgens war sie noch mit Freunden im Club. "Diese Zeit für mich und vor allem das Ausgehen brauche ich, um nicht durchzudrehen. Das reine Mutterdasein ist nichts für mich", sagt sie offen. Nichts zu spüren vom stereotypen schlechten Gewissen, das Müttern hierzulande so gerne eingeredet wird, wenn sie eigene Bedürfnisse anmelden.

Das reine Mutterdasein ist für Andrea keine Option. Nicht, weil sie sich selbst verwirklichen will oder nicht bereit ist, eine aussichtsreiche Karriere aufzugeben. Sondern weil sie es sich finanziell gar nicht erlauben kann. Um sich und Jona zu versorgen, bewältigt sie zwei verschiedene Teilzeitjobs: dienstags und donnerstags arbeitet sie im Büro einer Multimedia-Agentur, montags und mittwochs behandelt sie in einem Naturkosmetikladen die Gesichter, Augenbrauen und Füße von bis zu vier Kunden am Tag. Der zweite Job läuft schwarz. Ihre Chefin möchte keine Sozialabgaben für sie zahlen. Eine Karriere kann man das nicht wirklich nennen, höchstens Lohnarbeit. "An eine berufliche Zukunft denke ich gar nicht erst. Im Moment bin ich froh, wenn ich mit Jona von Tag zu Tag komme", sagt sie nüchtern.

Die Debatte ums Kinderkriegen dreht sich derzeit vor allem darum, wie und ob junge Frauen in Deutschland Kinder und Karriere miteinander vereinbaren können. Dass es dabei für viele berufstätige Mütter gar nicht um eine Karriere, sondern um pure Existenzsicherung geht, wird eher übersehen. Dabei muss man gar keine Topmanagerin oder Anwältin sein, jede arbeitenden Mutter in Deutschland hat es schwer. Selbst dann, wenn sie wie Andrea einen der seltenen Krippenplätze für ihren Nachwuchs ergattert.

Fünf Stunden später ist Andrea unterwegs zur Kindertagesstätte, um Jona abzuholen. Im Laufen kramt sie ihr Handy aus der Tasche und ruft einen Freund an. Er kommt heute Abend zum Grillen, das Wetter ist bereits den ganzen Tag blendend. Sie trägt Clogs und ein blaues H&M-Sommerkleid, die langen, aschblonden Haare sind nach hinten gebunden. In diesem Moment, während sie die vor Leben brummende Straße überquert und am Telefon darüber verhandelt, wer was einkaufen soll, wirkt sie ebenso jung und frei wie die anderen Szenemädchen, die hier flanieren oder an ihren Milchkaffees nippen.

In die berüchtigte Isolation junger Mütter, die nach der Geburt den Großteil ihres Tages alleine in der Gegenwart eines Säuglings verbringen, ist Andrea nie hineingeraten – auch nicht in den ersten zwei Jahren, als sie noch nicht gearbeitet hat. Das Viertel ist ein wahrer Standortvorteil, seit sieben Jahren wohnt sie hier und wird von fast allen auf der Straße gegrüßt, egal ob mit Kind oder ohne. Ihr Sozialleben floriert, ebenso wie das ihres sehr kontaktfreudigen Sohnes. "Natürlich kann ich als alleinerziehende Mutter nicht mehr so oft ausgehen, aber stattdessen lade ich jetzt häufiger Freunde zum Kochen ein", erklärt sie ihr Rezept gegen die Einsamkeit.

Mittlerweile ist es fast fünf. Jona, der mit seinen etwas zu langen, blonden Haaren und dem beschmierten T-Shirt nach einem 8-Stunden-Tag in der Kita aussieht wie Michel aus Lönneberga, rollert auf einem kleinen, gelben Laufrad vor Andrea über den Bürgersteig Richtung Zuhause. An der Ecke zieht er das Tempo an, vor einem Eisladen wird das Rad beiseite geworfen. Bis Andrea aufholt, steht er schon vor der Theke. Sie drückt ihm Geld in die Hand und setzt sich auf die Bank vor dem Fenster. "Klammern ist nicht mein Ding. Was mir in Beziehungen so schwer fällt, das Loslassen, kann ich komischerweise bei meinem Kind ganz hervorragend", erzählt sie und lacht.

Ein schlechtes Gewissen, weil sie Jona in einer Einrichtung betreuen lässt, hat sie nicht. Höchstens die Länge seines Aufenthaltes dort würde sie gerne reduzieren, auf sechs oder sieben Stunden am Tag. "Jona lechzt nach anderen Kindern. Dass er in der Kita ist, tut uns beiden gut." Das klingt nicht nach Schönreden, sondern kommt voller Überzeugung. Und wenn man das Leben der beiden beobachtet, an diesem warmen Sommertag, dann neigt man dazu, ihr zu glauben.

Ein schlechtes Gewissen, weil sie Jona in einer Einrichtung betreuen lässt, hat sie nicht. Höchstens die Länge seines Aufenthaltes dort würde sie gerne reduzieren, auf sechs oder sieben Stunden am Tag. "Jona lechzt nach anderen Kindern. Dass er in der Kita ist, tut uns beiden gut." Das klingt nicht nach Schönreden, sondern kommt voller Überzeugung. Und wenn man das Leben der beiden beobachtet, an diesem warmen Sommertag, dann neigt man dazu, ihr zu glauben.

Namen von der Redaktion geändert

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