MTV ist sehr alt. Ich auch. Das macht mich zum Experten.
Von Markus Kavka
Keine Angst, ich werde an dieser Stelle nicht meinem eigenen Arbeitgeber zum 25. Geburtstag gratulieren bzw. schreiben, wie toll ich das alles hier finde.
Ohnehin legt mir meine Wahrnehmung der letzten Tage eher so etwas wie Demut nahe. Oder Bitte um Verzeihung. Oder Versuche der Rechtfertigung. Ich gehe neuerdings auch gebückt.
Weil eben MTV 25 Jahre alt wird, weil ich hier schon seit sechs Jahren moderiere und weil ich auch selbst schon sehr alt bin, wurde ich zum Geburtstagssachbearbeiter auserkoren. Soll heißen: Ich durfte viele Sendungen zum Thema moderieren und nahezu alle Interviews dazu geben. Heute, an jenem 1. August, sind es gefühlte 50, in deren Zuge sich die Partygäste und Gratulanten aus der verehrten Journaille in drei Gruppen einteilen lassen:
1) wohl gesonnen/interessiert (ca. 10 %)
2) neutral/emotionslos (ca. 30 %)
3) nicht wohl gesonnen/beleidigt/polemisch/aggressiv (60 %)
Ihr seht, zwei Drittel meiner Gesprächspartner finden meinen Arbeitgeber nicht mehr so dolle. Sie vermittelten den Eindruck, das MTV-Jubiläum eher als Gelegenheit zur Abrechnung zu nutzen, ganz so, als würde man pflichtgemäß noch bei der Geburtstagsfeier eines alten Freundes vorbei schauen, aber nur um ihm zu sagen, dass er früher eigentlich ganz cool war, sich mittlerweile aber echt zu einem totalen Arschloch entwickelt hat. Das tut mir, der ich jetzt eigentlich nicht ´das MTV´ bin, aber auch weh.
Ich weiß, es ist alles nicht mehr so wie früher. Da saß man stundenlang vor der Glotze, um Shows wie ´120 Minutes´, ´Most Wanted´ oder ´Alternative Nation´ und Moderatoren wie Ray Cokes, Paul King und Steve Blame aufzusaugen. Das war Anfang der 90er Jahre, und da war das alles aufregend und neu und Englisch. Man war privilegiert, und das nicht nur, weil man Kabelfernsehen hatte, sondern weil man auch besser Englisch konnte als die anderen und man mit einem Schlag zu einem offenen, coolen Europa gehörte. Ja, MTV machte Programm für die jungen Leute von heute. Das war damals so, und das ist heute so. Meint: MTV macht 2006 nicht Programm für die Leute, die MTV vor zehn Jahren gut fanden. Wäre ja auch schlimm, muss ja irgendwie weitergehen.
Ich gebe zu, dass mich die immer gleichen Fragen der Journalisten etwas mürbe gemacht haben. "Warum wird keine Musik mehr gespielt?" bzw. "Wo ist das M in MTV hin?", "Wieso kommen nur noch Reality- und Dating-Shows?", "Wieso so viel Klingeltonwerbung?", "Macht das Internet MTV nicht überflüssig?"
All diese Fragen haben grundsätzlich ihre Berechtigung. Daraus aber abzuleiten, dass MTV immer noch so sein müsste, wie Anfang der 90er, ist eine sehr nostalgische und etwas realitätsfremde Denke.
Wer guckt MTV? Im Kern sind das junge Menschen zwischen 14 und 19. Die hören gerne Eminem, Sportfreunde Stiller und Aggro Berlin-Zeugs, laden sich Klingeltöne, Songs und Videos runter, sind überhaupt sehr viel online und erzählen sich auf dem Pausenhof Szenen aus Pimp My Ride, Jackass und Date My Mom nach.
Wer guckt kein MTV mehr? Offenbar jene Journalisten zwischen Mitte zwanzig und Ende dreißig, die mit MTV aufgewachsen sind, und jetzt sehr verächtlich auf die jungen Leute von heute und einen ihrer bevorzugten Fernsehsender herabblicken. Genau so, wie jede Generation es tut, genau so, wie man es auch mit mir machte, als MTV mit Anfang 20 mein Universum war. Da sagten die Älteren, dass das alles doch nichts mit wahrer Musik zu tun hätte, weil die nach Schweiß und Bühne und Vinyl riechen muss und nicht nach polierter Videoclip-Selbstinszenierung, dargeboten von hibbeligen Moderatoren vor wackeligen Kameras.
Klar ist: Musikfernsehen ist per se nicht mehr so neu und aufregend wie vor 15 bis 20 Jahren. Und auch wenn der Blick zurück ein schöner und romantischer und verklärter sein kann, so möchte ich doch diejenigen sehen, die sich in Zeiten von YouTube und MySpace wie damals zum Video gucken stundenlang MTV reinziehen würden, und vor allem möchte ich genug von ihnen sehen, um einen Sender in wirtschaftlicher Hinsicht am Leben zu erhalten. Bei meinem früheren Arbeitgeber Viva Zwei waren es offenbar zu wenige. Da liefen Sachen wie Aphex Twin bzw. Videos von Leuten wie Chris Cunningham, Jonas Akerlund, Michel Gondry und Spike Jonze im Tagesprogramm rauf und runter, und kaum einen hat´s interessiert.
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Ich weiß, MTV gehört längst zum Establishment, ist angedockt an einen der weltgrößten Medienkonzerne, fast alles ist anders. Eines aber hat sich nicht geändert: MTV ist immer noch ein Abbild der jeweiligen Generation. Ob und wieweit man sich mir der noch identifizieren will, muss jeder mit sich selbst verhandeln.
Es ist doch wie in einer Beziehung: Man lebt sich auseinander und trennt sich konsequenterweise. Ohne Nachtreten und ohne den sinnlosen Versuch, dass alles wieder so schön wird wie früher. Zeit für neue Lieben. Vorwärts immer, rückwärts nimmer.