Der Kölner House-DJ Hans Nieswandt tourte im Auftrag des Goethe-Instituts durch den Nahen Osten. In seinem literarischen Reiseroman "Disko Ramallah" erzählt er davon.
Fragen von Katja Peglow
Du hast in Kairo und im Nahen Osten elektronische Musik aus Deutschland aufgelegt. Fühlt man sich nicht in einer verkehrten Welt, wenn verschleierte Frauen zu "Sexy Girl" von 2Raumwohnung tanzen?
Vielleicht ist das gerade nicht die verkehrte Welt. Das sah cool aus und hatte seine eigene Sexyness. In Gegenden, in denen es den Menschen verboten wird sich zu amüsieren, hat so was eine vollkommen andere Bedeutung, als wenn hier in Deutschland ein leicht bekleidetes Mädchen mit dem Arsch wackelt. Das Verhalten der arabischen Mädchen hatte fast schon einen revolutionären Gestus.
Funktioniert diese Art von Musik überhaupt in der arabischen Welt? In Palästina gibt es ja zum Beispiel noch nicht einmal Plattenspieler.
Ich bin mir todsicher, dass es selbst in Bagdad Leute gibt, die hin und wieder die Seite unseres Kölner
"Kompakt"-Labels
besuchen und sich auf den Tag freuen, an dem sie mal wieder ungestört ihren Interessen nachgehen können. Durch die Globalisierung ist der Informationsaustausch extrem schnell geworden. Die Leute kannten sich zum Teil sehr gut aus und waren sehr aufgeschlossen.
Du warst sowohl längere Zeit in Israel als auch im Libanon. Hast du dort heute noch Kontakte?
Ich fühle mich Beirut recht stark verbunden, weil dort DJ-Kumpels von mir leben. Als ich in den Nachrichten gesehen habe, dass Beirut regelrecht zu Klump gebombt wurde, habe ich die sofort kontaktiert.
Und wie haben die auf die Bombardierung reagiert?
Sie haben sich entweder in die Berge abgesetzt oder sind nach Amerika oder Australien abgehauen, sofern die im Besitz einer doppelten Staatsbürgerschaft waren. Das Goethe-Institut hat dort alle Sprachkurse und Kulturprogramme gestoppt und fungiert momentan als Außenstelle der Deutschen Botschaft.
Und die aktuelle Gemütslage?
Bedauerlicherweise fielen die E-Mails meiner Freunde von Mal zu Mal krasser und israelfeindlicher aus. Dadurch wurde mir klar, dass die Hisbollah es geschafft hat, auch diejenigen Bevölkerungskreise zu erreichen, die bislang nichts mit ihr zu tun haben wollten. Mein Freund Caesar ist zum Beispiel Christ, wie die meisten meiner Bekannten dort. Die leben so wie du und ich, sitzen auch vor ihrem Apple und bauen Tracks, rauchen, gehen aus, trinken, kiffen...
...und jetzt droht die Stimmung auch in diesen toleranteren und aufgeklärteren Kreisen zu kippen?
In der letzten E-Mail Caesars stand zum Beispiel, dass er nichts dagegen hätte, wenn der Libanon im Gegenzug zu den israelischen Angriffen jedes israelische Dorf platt machen würde. Das ist schon harter Stoff. Dabei ist die Club-Szene in Beirut und Tel Aviv nahezu austauschbar. Dass die sich jetzt gegenseitig bekriegen, obwohl sie doch auf die gleichen Sachen stehen, ist absurd.
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Hast du auch was von deinen israelischen Bekanntschaften mitbekommen?
Von der Leiterin des Goethe-Instituts in Jerusalem habe ich mir sagen lassen, dass die Gegenbewegung im Land immer stärker wird. Erstmals tauchen Antikriegsgraffitis auf und im Radio läuft "Give Peace A Chance".
In deinem Buch beschreibst du, wie du im Hotelzimmer CNN schaust und die Bilder "fast wie Nachrichten aus einer anderen Welt" auf dich wirken. Wie empfindest du denn jetzt, von Deutschland aus, die Berichterstattung über den Krieg?
Es wirkt jetzt nicht mehr so, als wären dies Bilder aus einer anderen Welt. Ich schaue in den Fernseher und denke: "Da warst du doch schon mal". Speziell Beirut habe ich bei meinen beiden Besuchen als extremes Bild der Hoffnung erlebt. Die Stadt hatte meiner Meinung nach angefangen, Zukunftsfragen für ein toleranteres Miteinander zu lösen. Ich hatte das Gefühl, dass sich die Region auf dem Weg nach vorne befindet. Der Tourismus befand sich auf einem Höhepunkt. Das Land erwartete einen wirtschaftlichen Aufschwung. Alle haben sich auf einen tollen Sommer gefreut. Dass das alles jetzt innerhalb weniger Tage auf einem Schlag zerstört wurde, ist niederschmetternd.
Du scheinst das Vorgehen Israels zu missbilligen.
Ich stehe schon auf der Seite derjenigen, die meinen, dass die ganze Angelegenheit vollkommen aus dem Ruder gelaufen ist. Als Stärkerer zu sagen, der Schwächere habe angefangen und deswegen in ganzer Stärke zurückzuschlagen, das halte ich für unmoralisch. Allerdings argumentiert Israel auch zu Recht, dass die Hisbollah nicht mit der ETA im Baskenland zu vergleichen ist. Die Hisbollah sitzt im Parlament und genießt zumindest in nicht-schiitischen Kreisen sogar Respekt. Da entsteht bei Israel vermutlich zu Recht der Eindruck, dass der Libanon Hisbollah toleriert.
Die Situation zwischen Israel und der Hisbollah hätte theoretisch auch eskalieren können, als du noch im Libanon warst.
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Ich habe mich eigentlich nie gefährdet gefühlt. In so mancher Hinsicht habe ich mich dort sicherer gefühlt als samstags auf dem Kölner Ring. Wenn dort Deutschlehrer in Goethe-Instituten unterrichten, kann ich da auch Platten auflegen. Natürlich habe ich mich vorher beraten lassen. Mir sagen lassen, dass man mit einem israelischen Stempel im Pass in kein anderes arabisches Land mehr hinein gelassen wird.
Würdest du jetzt noch einmal so eine Nahost-Tournee machen?
Auf jeden Fall. Wenn ich als bescheidener Musikmacher meinen Teil dazu beitragen kann, dass sich die Verhältnisse zumindest im kleinen Rahmen bessern, wäre ich jederzeit wieder dazu bereit.
Gibt es einen Ort auf der Welt, an den du nicht fahren würdest?
(überlegt) Bagdad. Zumindest zur Zeit nicht. Das wäre schon zynisch, denen jetzt mit DJ-Kultur zu kommen. In Jerusalem soll in einem Monat ein großes elektronisches Festival mit DJ Koze und Ada stattfinden. Auch dort wissen die Beteiligten jetzt natürlich nicht, wie sie mit der Situation umgehen sollen. Die Gefahr schätze ich eher gering ein. Die Hisbollah wird es sich schon zweimal überlegen, ob sie es bei einem Angriff auf Jerusalem riskiert, die Al-Aksa-Moschee zu treffen. Da geht es eher um die Frage, ob man gerade dort jetzt unbedingt Party machen sollte.
Findest du es generell problematisch, in Zeiten des Krieges Partys zu feiern?
Ich finde es nicht grundsätzlich verwerflich, in Krisengebieten Discomusik zu spielen. Als ich damals meine Workshops in Palästina abgehalten habe, wollte ich mir zum Beispiel die Beschwerden und Sorgen der Teilnehmer anhören. Die wollten das aber gar nicht, sonders waren saufroh, dass endlich ein DJ da war und nicht schon wieder jemand vom Roten Kreuz. Die wollten auch mal Disco, um den ganzen Alltag auszublenden. Man darf nie vergessen: Wenn die Zeiten extrem schlecht sind, wird auch immer extrem hart gefeiert.
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Buch:
Hans Nieswandts literarischer Reiseroman "Disko Ramallah. Und andere merkwürdige Orte zum Plattenauflegen" ist 2006 bei Kiepenheuer & Witsch erschienen, EUR 8,95.