Finale
Kein Held sein wollen
Der Mythos Zinedine Zidane war bereits fertig. Aber Zizou hatte einen
anderen Plan.
Von Stefan Petermann
Mit den Nachrufen geht das so: Man schreibt sie einfach vor - obwohl die
betreffenden Menschen noch gar nicht tot sind. Sondern eben nur fast tot.
Hinterher sieht es dann so aus, als hätten die Redaktionen innerhalb
kürzester Zeit eine 1A-Recherche hingelegt. In Wahrheit verstauben selbst
die sentimentalen Loblieder auf Rudi Carell schon seit Monaten in den
Schubladen.
Auch die Hudeleien auf Zinedine Zidane wurden selbstredend schon vor dem
Finale geschrieben, manche sogar gedruckt. Denn nichts fehlte dieser WM so
so sehr wie ein echter Held: Ronaldinho langweilig, Ballack mit kaputter
Wade, Beckham kotzend - und Italien wollte ja unbedingt als Team auftreten.
Zum Glück entdeckte Zidane, dass ihm diese WM richtig Spaß machen könnte.
Und was ist schöner als ein Held, der aus dem Nichts kommt? Ein alter Held,
der sie, kurz vor dem endgültigen Abpfiff, alle über den Haufen spielt.
Die Huldigungen also: Zidane lupft den Ball spektakulär vom Elfmeterpunkt ins Netz. Dann spielt Frankreich die disziplinierteste Mannschaft des Turniers schwindlig. Dann verpasst Zidanes Kopfball nur knapp das Tor. Und Frankreich wird entgegen aller Erwartungen Weltmeister. Zidane, der wertvollste Spieler des Turniers, beschließt sein letztes, sein hundertachtes, Länderspiel mit dem Pokal in der Hand.
Diese Geschichte hätte passieren können. Müssen. Es wäre der perfekte Beweis gewesen, dass Fußball ein bisschen wie Kino ist. Wäre diese 110. Minute nicht gewesen: Zidane legt die Zeigerfinger an seine Stirn, verwandelt sich in einen Stier, nimmt Anlauf und rammt seinen Kopf in einem tollkühnen Akt der Selbstentäußerung in Marco Materazzis Brust. In diesem Moment wird klar: Fußball ist genau wie das Leben. Und der einzige, der mächtiger als Zidane ist, ist Zidane selbst.
Er hat die französische Mannschaft ins Finale geführt. Nachdem sie in der Qualifikation fast gescheitert wäre, kehrte er in die Nationalelf zurück und überzeugte alte Wegfährten und Leistungsträger, mit ihm zu kommen. Nachdem die Franzosen sich gerade so durch die Vorrunde gequält hatten, gaben seine Tore und Vorlagen der Mannschaft das Selbstbewusstsein zurück. Zidane hat diesen Erfolg geschaffen, also besaß er auch das Recht, ihn zu zerstören.
Egal, ob und mit welchen Worten Materazzi ihn an diesem 9. Juli beleidigte – Zidanes Kopfstoß war eine wohlüberlegte Aktion. Ein Stinkefinger in Richtung aller Heldenschreiber. Der einzige mögliche Weg, der Mythologisierung zu entkommen, die meist ja so geht: Aus Fußballern mit goldenen Momenten werden Weichspüler, die nirgendwo anecken wollen. Wie Oliver Bierhoff oder, schlimmer, Franz Beckenbauer. Zidane hatte nach seinem Rücktritt angekündigt, sich zurückziehen zu wollen, weil ihm der Rummel in Frankreich kein normales Leben mehr ermöglichte.
Vielleicht war dieser Kopfstoß die Chance dazu. Moderator Reinhold Beckmann ("Ich steh auf Rock") nannte es den "unrühmlichen Abgang" von einem der "ganz Großen". Unrühmlich. Ohne Ruhm. Zidane wird von nun an immer der Zidane von 1998 sein, der im Finale zwei Tor schießt. Und Zidane wird immer sein Kopfstoß sein. Wer die WM 2006 gewonnen hat, welcher Franzose den Elfmeter verschoss, und wer damalseigentlich den dritten Platz belegte, wird angesichts dieses eindringlichen Bildes verblassen.
Zidanes Kopfstoß war ein Stinkefinger für all die Taktikzungenschnalzer, die Italien-Deutschland für das beste Spiel aller Zeiten hielten, weil jeder Spieler die Aktion seines Gegenübers erahnte. Dabei ist Fußball ein Kontaktsportart, die von ihrer Unberechenbarkeit und ihrer Körperlichkeit lebt. Der man eben nicht gelangweilt von der VIP Lounge aus zusehen kann wie beim Tennis, sondern die nach Schweiß riechen und Blut schmecken muss.
Zidanes Kopfstoß ist auch ein Stinkefinger für all jene, die behaupten, dass die Zeit der Einzelspieler vorbei ist. Kein Trainer, kein Schiedsrichter, keine Mannschaft hat die 18. Weltmeisterschaft entschieden. Es war ein Mann allein. Zidane.