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AIDS

"Das ist nicht bäh, was die machen"

Schwule sind keine Karnickel, aber es gibt eine große Vielfalt des möglichen Beisammenseins. Sagt Stefan Mielchen, Chefredakteur des Schwulenmagazins hinnerk, im Zuender-Interview. Und wenn es um HIV geht, ist die Moralkeule nicht angebracht

Seit es AIDS gibt, sind Schwule die am stärksten betroffene Gruppe. Und auch von den Neuinfizierten ist die Mehrzahl der Betroffenen männlich und homosexuell. Doch neben dem Virus leidet die Szene auch unter Schuldzuweisungen – vom ausschweifenden Lebenswandel bis hin zum Vorwurf, sich aus Leichtsinn beim ungeschützten Sex mit HIV zu infizieren. Grundtenor: Selber schuld. Stefan Mielchen, Chefredakteur des Hamburger Schwulenmagazins Hinnerk will das nicht mehr. Denn Zahlen sind eben nicht alles.

Im vergangenen Jahr war die Zahl der HIV-Neuinfektionen so hoch wie seit Beginn der neunziger Jahre nicht mehr - vor allem bei Homosexuellen. Sind die zu unvorsichtig?

Es gibt Zahlen, die belegen, dass 70 Prozent der schwulen Männer geschützten Sex haben - sonst hätten wir auch ganz andere Neuinfektionsraten. Aber es ist nach wie vor so, dass wir die am meisten betroffene Gruppe sind und entsprechend haben wir uns auch zu verhalten. Ob wir das immer tun oder nicht, ist eine spannende Frage.

Was mich aber nervt, sind pauschale Behauptungen: „Die Schwulen treiben’s eh wie die Karnickel, kein Wunder, dass die Zahlen hochgehen.“ So wird ja gern argumentiert. Aber wenn Franz Beckenbauer auf einer Weihnachtsfeier ein Kind zeugt, dann ist er für die Öffentlichkeit irgendwie ein toller Kerl, und kein Mensch fragt danach, warum er eigentlich kein Kondom benutzt hat.

Trotzdem: 1078 Schwule haben sich im letzten Jahr mit dem HI-Virus infiziert – im Gegensatz zu 344 Heterosexuellen. Wie gehen die Schwulen heute mit der Gefahr um, die durch AIDS droht?

Ich hatte neulich so eine Situation: Einer meiner Freunde war in hellster Aufregung, weil der Mann, mit dem er seit geraumer Zeit ein Verhältnis hat, infiziert ist, und große Angst hatte, dass er es auch sein könnte. Ich bin im ersten Moment fast geplatzt. Aber es gibt Situationen, da achtet man nicht mehr auf sich selbst und denkt zwei Etagen tiefer. Weil ich nicht ausschließen kann, dass ich auch selbst in so eine Situation hineingerate, möchte ich mir nicht anmaßen zu sagen, „selber schuld“.

Aber das zu sagen liegt doch nahe: Wer sich heutzutage infiziert, ist zumindest unvorsichtig.

Schuldzuweisungen sind eine ganz schwierige Geschichte. Ich habe kein Verständnis dafür, wenn Leute bewusst auf Kondome verzichten, aber andererseits gibt es eben genügend Situationen, in denen der Verstand ausgeschaltet wird. Das gilt aber nicht nur für Schwule. Man ist in einer Kneipe oder Disko, dann wird was getrunken und dann kommt es zum Sex und keiner denkt mehr an irgendwas. Da kann man sich immer fragen, ob das sein muss, aber es passiert halt, so wie ungewollte Schwangerschaften auch.

Warum soll ich da noch mit der Moralkeule obendrauf hauen? Wenn man die Panik mitbekommt, die jemanden befällt, der einen Test machen muss und wenn man das heulende Elend mitbekommt, das Leute haben, die ein positives Testergebnis kriegen, dann hört man irgendwann auch auf, mit dem Finger zu zeigen. Jeder, den es betrifft, hat damit zu kämpfen. Da kommt man mit Moral überhaupt nicht weiter.

Den Schritt vom heulenden Elend zu dem, der dann doch wieder ohne Gummi in den Darkroom spaziert, verstehen wir trotzdem nicht.

Vielen Leuten fehlt der Einblick, was in der Bareback-Szene tatsächlich passiert. Ich denke es hilft nichts, da immer so eine Horrordiskussion aufzubauen und mit dem Holzhammer zu argumentieren. Dafür ist das Thema viel zu komplex und hat mit viel zu vielen Komponenten zu tun. Bei Sex geht es um Menschen und um Gefühle, es werden ganz viele Entscheidungen getroffen, die nicht rational erklärbar sind. Wenn sich jemand entscheidet, Bareback zu machen, dann ist das meistens sowieso ein Fall für den Therapeuten. Da will ich mich nicht einfach hinstellen und sagen: „Das ist bäh, was der macht.“ Natürlich ist es bescheuert, aber da spielt so viel an persönlichen Dingen im Vorfeld eine Rolle, da gibt es keine einfachen Antworten.

Würdest du auch in einer festen Beziehung nicht auf ein Kondom verzichten?

Das sagt sich immer so leicht. Sagen wir so: Ich habe vor einem Monat gerade erst einen HIV-Test machen lassen und ich habe auch keinerlei Veranlassung zu glauben, dass ich mich seitdem angesteckt habe – auch wenn es da ja ein gewisses diagnostisches Fenster gibt, weil eine Infektion immer erst vier Wochen später nachweisbar ist. Ich weiß aber einigermaßen sicher, dass von mir keine Gefahr ausgeht.

Worum es aber im Kern geht, ist die Frage des Vertrauens – und das ist ein ganz heikler Punkt. Gerade in einer Partnerschaft, die ja irgendwann auch einmal angefangen hat, hoffentlich mit Kondomen. Irgendwann kommt man an einen Punkt, wo der eine sagt, er möchte auf den Gummi verzichten und der Partner sagt dann plötzlich: „Nee, ich aber nicht.“ Das ist schwierig, weil in dem Moment, wo ich sage, ich verzichte nicht, sende ich ja ein Signal aus: „Ich vertraue Dir eigentlich gar nicht“, oder aber „Ich habe selbst etwas zu verbergen.“ Und das in einer Partnerschaft auszuhandeln, das muss man hinkriegen. Von daher finde ich es leichter, wenn von vornherein klar ist, dass auf Kondome nicht verzichtet wird. Dann kommt dieser Konflikt erst gar nicht.

Das widerspricht so ziemlich allem, was in der heterosexuellen Welt blumig als Liebe und Fundament einer festen Beziehung bezeichnet wird.

Ich glaube, es gibt sehr viele verquere Bilder vom schwulen Leben. Schwule gelten grundsätzlich als promisk und was weiß ich noch. Was man mit Zahlen belegen kann, ist, dass ungefähr die Hälfte aller Schwulen in Beziehungen leben und nach eigenen Angaben auch durchaus monogam. Und es ist ja auch nicht so, als würden Heteros immer nur Händchen halten oder brav zu Hause dem Familienglück frönen. Das ist gerade in Metropolen, wo man eine irrsinnige Zahl von Singles hat, auch kein Wunder. Die wollen ja sicherlich nicht alle als Mönche und Nonnen ihr Dasein fristen. Also ich glaube, dass sich das so arg nicht unterscheidet.

Was sich unterscheidet, ist, dass die Formen von schwulen Beziehungen vielfältiger sind, also dass es mehr offene Beziehungen oder Dreierkonstellationen gibt. Die Vielfalt des möglichen Beisammenseins – die ist bei Schwulen größer. Aber es ist auch nicht so, als gäbe es nur Unverbindlichkeit, oder nur Bed Hopping und One Night Stands.

Fazit?

Kondome schützen. Das ist eine simple Botschaft, aber die gilt nach wie vor. Ich kenne einfach zu viele Leute, die positiv sind, und den einen oder anderen Friedhof habe ich auch schon gesehen. Ich habe einfach zu viel Schiss, um mal eben zu sagen: „Nö, kein Safersex mehr.“


 
 



 

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