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Fussball-WM 2006

"Europäische Stadien sind wie Theater"

„"Deutschland im Fußballfieber" ist der Medienschlager der Saison. "Hah!" kann da ein Argentinier nur rufen. Anfänger! Deshalb heißt es jetzt: Lernen von den Großen

Bei den Deutschen hat man das Gefühl, das sogenannte Fußballfieber dieses Frühlings wäre ein Auswuchs unseres Pflichtgefühls: „Jetzt haben wir schon die WM, jetzt müssen wir uns auch ein bisschen freuen.“ Wer jedoch aus einem Slum in Lagos oder aus einer Favela in Rio kommt, dessen einzige Aussicht auf sozialen Aufstieg ist oft ein bisschen Talent beim Spiel mit dem Leder. Und wenn’s dazu nicht reicht, dann kann man sich doch wenigstens durch Identifikation mit einer erfolgreichen Mannschaft größer fühlen.

In Argentinien ist der Fußball im täglichen Leben verankert wie in nur wenigen anderen Ländern. Einige Provinzen erlauben ihren Schulen die Ausstrahlung von WM-Spielen während des Unterrichts um die hohe Abwesenheitsquote in den Griff zu bekommen. Und sämtliche Marketingabteilungen haben längst begriffen, dass sich mit Fußball hier so gut wie alles verkaufen lässt (Särge in den Mannschaftsfarben sind der letzte Schrei).

Die Anhängerschaft ist praktisch universell, wenigstens bei der männlichen Bevölkerung. Menschen, die unter der Woche ganz normalen Bürojobs nachgehen, in Anzug und Krawatte, werfen sich am Wochenende in ihr Trikot und ziehen singend durch die Straßen – Fußball hat eine ähnliche Ventilfunktion wie bei uns Karaokenächte oder Junggesellenabschiede.

Familientradition Fußball

Loyalitäten sind geografisch unabhängig und werden über Generationen hinweg vom Vater zum Sohn weitergereicht wie eine goldene Uhr. Die beiden bekanntesten und beliebtesten Teams sind die Boca Juniors und River Plate aus der Hauptstadt Buenos Aires, gefolgt von den Newell’s Old Boys aus Rosario. (Die Namen sind das Vermächtnis britischer Immigranten, die zusammen mit den Italienern den Fußball nach Argentinien brachten.)

Boca und River sind traditionell Todfeinde, und diese Feindschaft wird hier offen ausgelebt. Anhänger beider Teams trifft man sowohl in den abgelegensten Dörfern von Patagonien als auch in Großstädten wie Rosario oder Córdoba an, obwohl diese inzwischen ihre eigenen erfolgreichen Mannschaften haben. Familientradition eben.

Ebenso ist es quasi die Pflicht eines jeden Jungen, Fußball zu spielen und um die Aufnahme in eine Mannschaft zu kämpfen. „Es gibt eigentlich nur zwei Gründe, aufzuhören: wenn du dich verletzt oder wenn du dich verliebst“, erklärt Marcelo aus Buenos Aires. Seine Familie hängt seit jeher Boca an, dem Team, in dem Maradona ganz groß wurde.

Der wird bis heute noch im ganzen Land gottgleich verehrt, trotz Kokain und Übergewicht. „Versteh doch, der kam aus einer superarmen Familie und auf einmal hatte er alles! Außerdem hat er sich das Recht auf dieses Leben verdient – er hat uns alle glücklich gemacht“, fügt Marcelo hinzu. „Wenn ich zum Beispiel nach Saudi Arabien fahre und dort einen Araber treffe, wird seine erste Reaktion sein: ‚Argentinien? Maradona!’“

Sowieso die Besten

Viele Europäer denken bei Fußball ganz schnell an das Land der Caipirinhas und Minibikinis. Doch dort spielt der Fußball nicht die gleiche Rolle wie in Argentinien. „Für Brasilianer ist Fußball ein Fest guter Laune. Für Argentinier ist es eher ein Krieg“, erklärt Sergio Andreo, Sportredakteur der Wochenzeitung Latino . „Deshalb unterstützen die anderen lateinamerikanischen Länder bei großen Spielen lieber Brasilien als uns – wir sind ihnen zu aggressiv.“ Seine Heimatstadt, erzählt er, sei durch zwei sich ebenbürdige Mannschaften quasi in zwei verfeindete Hälften geteilt.

Ein argentinischer Kommentator fasste es einmal so zusammen: Die Deutschen gewinnen durch ihre Disziplin, die Brasilianer durch schönes Spiel, und die Argentinier, weil sie glauben, sie seien sowieso die Besten.

Fußball auch in Argentinien ein Grund zum Feiern. Wenn ein großes Spiel ansteht, zum Beispiel ein Boca - River -Derby, dann wird schon Wochen vorher auf das Wohl der Mannschaft getrunken. Drei Stunden vor Anpfiff ist das Stadion voll, auch wenn Eintrittskarten für inflationsgeplagte Argentinier ein Vermögen kosten. Und wehe dem, der nicht schreit. „Im Stadion herrscht ein wahnsinniger Druck sogar auf die Zuschauer. Alle stehen und singen, und wenn du nicht mitsingst, kriegst du eins auf die Mütze“, sagt Marcelo.

Rein pädagogisch lässt sich die Haltung der Schulen mit WM-Erlaubnis auch vertreten, denn Fußball fördert Kreativität. Fans dichten Lieder auf berühmte Hits, wobei auf Sensibilitäten wenig Rücksicht genommen wird. Als ein Anhänger Bocas im Stadion durch eine von einer Tribüne gefallenen Röhre ums Leben kann, komponierten die Fans von San Lorenzo spontan ein Lied darauf, das sich in Windeseile unter Boca -Gegnern im ganzen Land verbreitete. Am Tag nach großen Spielen ist Buenos Aires regelmässig mit Postern gepflastert, die dem Verlierer ganz herzlich zum zweiten Platz gratulieren. Und Fans verbringen manchmal Nächte lärmend vor dem Hotel der gegnerischen Mannschaft, mit dem Ziel, ihnen den Schlaf zu rauben (was erfahrungsgemäß ganz gut funktioniert).

Jedenfalls müssten wir Deutschen und Europäer noch ein bisschen üben, wollten wir unsere Argentinischen Gäste beeindrucken. Sergio glaubt daran nicht: „Wenn ich in Europa ins Stadion gehe“, sagt er, „fühle ich mich wie im Theater.“


 
 



 

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