//Zitate-Blog//

Zitat des Tages

Es wird viel gesagt, wenn der Tag lang ist. Und es gibt viele lange Tage »

 

//Kochblog//

Rezeptor

Unser Topf soll schöner werden? Das Zuender-Kochblog hilft »

 

//Spielen//

Wir wollen Spaß

Kommt ins Bälleparadies – alle Spiele vom Zuender gibt es hier »

 

//Newsletter//

Post von Zuenders

Was gibt es neues aus der Redaktion? Unser Newsletter informiert Dich an jedem ersten Donnerstag im Monat. Hier anmelden »

 
////

Sucht

"Wer Pech hat, gewinnt am Anfang"

Frank hatte eine gute Familie, annehmbare Noten, eine Freundin und einen netten Job. Dann fing er an zu spielen. Aus Langeweile. Nun sitzt er im Gefängnis

Die Landstraße dehnt sich still in den Tag, nur wenige Autos fahren auf ihr. Die nächsten Wohnhäuser sind Kilometer entfernt, der Bus kommt einmal die Stunde vorbei. Mitten im freien Feld stehen blockartige Bauten mit Mauern aus grauem Waschbeton. Normalerweise kein Ort für junge Menschen. Für die ist hier die Welt zu Ende. Für Frank* könnte hier eine neue beginnen.

Frank ist 21 Jahre alt. Seit sechs Monaten lebt er in der „Justizvollzugsanstalt für Jugendliche“ im dörflichen Umkreis der Stadt Iserlohn. Insgesamt 292 Straftäter zwischen 14 und 24 Jahren sitzen hier ein, wenn die Anstalt voll belegt ist. Frank kam wegen Raub und Betrug hierher. Zuerst in den geschlossenen Vollzug im Haus 1, wo die Inhaftierten ihre Zellen nicht verlassen können, die Türen verriegelt, die Fenster vergittert sind. Nach ein paar Wochen konnte Frank ins Nebenhaus, in den offenen Vollzug. Hier haben die zehn Quadratmeter großen Zimmer wieder Türklinken, die man jederzeit runterdrücken darf. Für einen Spaziergang über den Flur oder zum Rauchen in den Aufenthaltsraum mit Bücherregalen und Couchgarnitur. Da sitzt er jetzt.

Frank kommt gerade von der Arbeit. Er macht eine Ausbildung zum Industriemechaniker in einem anstaltseigenen Betrieb. Ein schlaksiger Typ mit großen Augen, einem offenen Blick und halblangen Haaren. „Die Geschichte“, sagt Frank, „die Geschichte, die Du über mich schreiben wirst – sie wird klingen, als würde sie nicht stimmen.“ Zu unwirklich erscheint ihm seine Vergangenheit. Wie ein schlechter Film. „Ich bin Spieler, das muss ich vorweg sagen“, sagt er mit einer Dringlichkeit, die klar werden lässt, dass er nach keiner Ausrede sucht.

Dabei war es ein Abend wie jeder andere, als Frank gerade aus der Pizzeria kam. Dort jobbte der damals 16-Jährige neben der Gesamtschule. Nach Feierabend sah er noch in einer Videothek vorbei. Hier war es voll, an der Ausgabe dauerte es, Frank musste warten. In einer Ecke stand ein Spielautomat, seine Augen blieben daran hängen, „der blinkte mich so an“. Frank warf fünf Mark ein, zockte, der Automat spuckte: 230 Münzen, begleitet von dem Signal für Sieg, einem hellen „Klingelingeling“. Frank schaute ungläubig. 230 Mark. „Und mir war grad nur langweilig gewesen...“

Damit hatte Frank ein Erlebnis, das die Tür zur Sucht am schnellsten aufstößt. „Wer Pech hat, der gewinnt am Anfang“ – ist der Leitsatz des Fachverbandes Glücksspielsucht in Herford. Frank weiß, was damit gemeint ist. Heute weiß er, „wenn man anfällig ist für diese Abhängigkeit, funkt das sofort“. Damals glaubte er, nur mit dem Kick zu kokettieren. „In der Pizzeria habe ich super verdient – ich hatte einfach zuviel Geld in zu jungen Jahren. Und glaubte plötzlich, ich könne ganz leicht noch mehr Geld machen.“ Nach dem Abend in der Videothek spielte er am nächsten Morgen noch mal. „Und abends noch mal. Dann täglich.“ Frank zieht an seiner Zigarette, stößt geräuschvoll den Rauch in die Luft. „Ein Jahr ging das so. Dann haben mir die Automaten in der Videothek nicht mehr gereicht.“ Das nächste halbe Jahr zog es ihn in Spielhallen, das darauffolgende in Casinos. „Mal hab ich 260.000 Euro gewonnen - und am gleichen Abend wieder verspielt. Dann hab ich mal 75.000 Euro gewonnen - und am gleichen Abend wieder verspielt. Ich dachte, es könne immer noch mehr sein.“ Frank kaut auf seiner Unterlippe.

Dass er ein Problem hatte, merkte er, als er die Ausbildung schmiss. 2001 hatte er schon mal eine Lehre begonnen als Industriemechaniker. Mitte 2003 konnte er sich nicht mehr auf die Arbeit konzentrieren. „Da wusste ich, ich bin süchtig.“ In diesem Sommer starb auch sein Vater an Multiple Sklerose. Frank spürte, wie es ihn veränderte, wenn er keine Kohle mehr hatte. „Mit 18 habe ich meine damalige Freundin gewürgt, als sie mir nichts zum Spielen geben wollte. Das war so heftig...“, Frank schließt die Augen, reibt sich mit dem Daumen die Stirn, zwischen Zeige- und Mittelfinger zittert die Zigarette. Nachdem er die Ausbildung gekickt hatte, lebte er arbeitslos in den Tag oder jobbte irgendwo, um Geld ranzuschaffen. All seine Hoffnungen auf Sieg zu setzen. Das Klingelingeling zu hören. Das war wie ein Schuss.

Ende 2004 kippte er in die Kriminalität. Schnappte sich den Schlüssel zur Wohnung einer Freundin seiner Mutter, den diese bei sich aufbewahrte. „Ich wusste, wann sie arbeitet. Da bin ich bei ihr eingebrochen, habe ihre Kreditkarte geklaut.“ Frank zog Bares für das nächste Glücksspiel. Pech für ihn: Die Überwachungskamera schnitt ihn voll mit. „Heute schüttele ich den Kopf über soviel Dummheit, ich habe überhaupt nicht darüber nachgedacht, was ich der Frau antue...“ Nach jedem Diebstahl brachte er ihre Kreditkarte in die Wohnung zurück. Als die Anzeige kam, hatte Frank die Frau um 18.000 Euro erleichtert. Vor Gericht bekam er eine Bewährungsstrafe. „Aber kaum war eine Woche vergangen, überfiel ich nach einem Kinobesuch einen Jugendlichen, schrie ihn an: ‚Gib mir Geld, sonst brech ich dir die Nase!’“ Mitte 2005 wurde Frank zu zweieinhalb Jahren verurteilt und kam nach Iserlohn.

Am ersten Tag saß er 23 Stunden in der Zelle. Ohne Ablenkung, den Blick zur Wand. „Da bin ich mir selbst begegnet“. Eine Begegnung die Frank nicht vertrug, die ihn auf seinem Bett zusammensacken ließ. „Ich hab nur noch geheult...“

Zehn Wochen war Frank im geschlossenen Vollzug, dann durfte er wegen guter Führung in den offenen. Rund 80 Neuzugänge hat der im Jahr. Dass junge Menschen hier landen, hat weniger mit psychischer Labilität zu tun, glaubt Abteilungsleiter Andreas Bassendowski (48), „eher mit einem nicht erlernten Rhythmus.“ Den sollen die Jugendlichen hier erstmals bekommen, indem sie Ausbildung, Schule, Verpflichtungen nachgehen, Putzen, Kochen, Wäsche waschen. Sie sollen den Halt verspüren, den sie nie hatten. „Etwa durch Arbeitslosigkeit, innerfamiliäre Gewalt, Alkohol- und Drogenprobleme oder Trennung der Eltern“, vermutet Jochen Goerdeler von der Deutschen Vereinigung für Jugendgerichte und Jugendgerichtshilfen. Zerrüttete Familienverhältnisse weist Frank von sich. „Ich liebe meine Familie!“ Auf seine Mutter, seine beiden Brüder, 18 und 25 Jahre, lässt er nichts kommen. Aber allein Spielsucht als Auslöser für Jugendkriminalität? Das findet Jochen Goerdeler „eher untypisch bei jungen Menschen“.

Frank weiß nicht, was typisch ist und was nicht. Er weiß nur, dass er raus will aus dem Sog, der ihn zum Verbrecher machte. Seit er in Iserlohn ist, geht er in eine Selbsthilfegruppe für Spielsüchtige und versucht seine Krankheit zu verstehen. Die wiederum typisch ist für sein Geschlecht. „90 bis 95 Prozent der Spielsüchtigen sind Männer. Ein Teil von ihnen spielt, um Selbstwertstörungen zu kompensieren“, weiß Ilona Füchtenschnieder, Vorsitzende des Herforder Fachverbandes Glücksspielsucht. „Der Automat gewinnt immer“, sagt Frank inzwischen.

Frank will nicht nur seine Sucht loswerden. Er hat noch andere Ziele: In vier Wochen wird er Vater, seine Freundin, mit der er seit elf Monaten zusammen ist, erwartet von ihm ein Kind. Was es wird? Frank hebt die Schultern. Hauptsache, es ist gesund. Darauf setzt er all seine Hoffnungen.

*Name von der Redaktion geändert


 
 



 

//  Startseite //  // Politik // Kultur // Leben // Schwerpunkte // Bildergalerien //  // Adam Green // Redaktionsblog // Rezeptor // Markus Kavka // Selim Oezdogan // Sonntagstexte //  // Zitat des Tages // Spiele //  //
//  IMPRESSUM //

 

ZUM SEITENANFANG