Unsigned
Der erkältete Melancholiker
Jacob Brass ist jung und macht die Musik, mit der in Deutschland nur Engländer und Amerikaner Erfolg haben. Er ist Singer/Songwriter und schreibt Lieder über das, was zwischen zwei Menschen passieren kann. Manchmal muss er auch Geld verdienen.
Von Sebastian Dalkowski
Eine Erfolgsgeschichte geht so: Jacob Brass (sprich: Jäcob Bräss) wächst in einem öden Arbeiterviertel von Liverpool auf. Aus lauter Langeweile kauft, besser klaut, er sich eine Gitarre, schreibt Songs über sein ödes Leben in einem öden Arbeiterviertel, wird von einem Label unter Vertrag genommen und ist plötzlich berühmt. Überall schreiben die Journalisten vom Jungen, der aus dem öden Arbeiterviertel kam.
Die echte Geschichte geht so: Jacob Brass (sprich: Jacob Brass) wächst in Fürstenfeldbruck auf, eine Kleinstadt bei München. Sein Vater leitet die Musikschule im Ort, also lernt Brass Blockflöte und ab der dritten Klasse Gitarre. Er tritt der Band seines Bruders bei, schreibt mit 14 sein erstes Lied und macht alleine weiter, als Singer/Songwriter. Ich hatte Bock zu singen, erklärt er. 2003 gewinnt er die Vorausscheidung des Akustik-Emergenza in München, 2004 spielt er zum ersten Mal im Atomic Café, 2005 bei den Bavarian Open, eben das, was Künstler später gerne in ihre Presse-Infos schreiben, wenn die spektakulären Erfolge ausbleiben. Als Nova International die Tour zu ihrem neuen Album machen, nehmen sie ihn mit. Jetzt ist er 20, wohnt in Berlin und stellt sich gerade eine Live-Band zusammen. Aber weil er mit der Musik kein Vermögen verdient, muss er auch manchmal Jobs übernehmen, die ihm gar nicht gefallen, für Handyfirmen und so. Jeder muss sich irgendwie Geld verdienen, sagt er.
Und das alles, weil er nicht in England oder den USA geboren wurde?
Wenn MTV News melden würde, ich hätte mich in Liverpool hochgearbeitet, dann habe ich Morgen 1000 CD-Bestellungen, meint er. Es sehe keiner, dass es in Deutschland gleichwertige englisch singende Bands gebe, vor allem nicht, wenn sie melancholische Musik spielen. Aber die Musikmagazine machen da komplett mit. Da kommen dreimal im Jahr die Kaiser Chiefs aufs Cover und Mando Diao und viermal Maximo Park. Brass spricht ruhig, wenn er über die Probleme seiner Zunft nachdenkt, und sollte er wütend sein, versteckt er das gut.
Brass ist keiner, der ständig jammert. Wenn er begeistert ist, greift er gerne zur Vokabel Wahnsinn. Wahnsinn sind zum Beispiel seine ersten Helden, die Beatles (Hat mir mein Vater vorgespielt), und Oasis. Die haben ihn geprägt, seine Musik klingt aber wie
nun ja, die Leute sagen oft wie Keane und Coldplay, meint er und wirkt nicht mal genervt, jeder inspiriere sich irgendwo. Aber die Menschen sagen auch nette Sachen. Im Gästebuch seiner Homepage schreibt jemand: Der Junge hat Talent. Ehrlich gesagt, mir hats das Herz zerrissen. Und eine Sophie kündigt an: Ich freu mich tierisch auf dein Konzert im Atomic, du kennst mich zwar net, aber du wirst mich erkennen. Ich werde nackt erscheinen! Am häufigsten hört er Schöne Stimme, weil sie älter klingt als 20, viel älter, meist sagen das Frauen, und dann fügen sie hinzu, er solle nicht so viel rauchen bei seiner Stimme. Vielleicht sind es ja gerade die Zigaretten, vielleicht aber auch seine Anfälligkeit für Erkältungen im Winter. Einmal spielte er ein Konzert in Heidelberg. Beim ersten Lied riss eine Saite, beim zweiten bekam er einen Hustenanfall und beim dritten wurde er krank. Auch jetzt klingt er verschnupft.
Eine EP hat Brass bereits veröffentlicht, fünf melancholische Songs mit Melodien, die erst im zweiten Moment zünden. Im Herbst möchte er sein erstes Album einspielen. Aber es hat keinen Sinn so keane-mäßig weiterzumachen. Deshalb will er bald mit Michael Kamm, Sänger von Nova International, was ausprobieren, mit Beats und so weiter. Ich muss noch viel versuchen, dann wird sich was Eigenes entwickeln. Klingt so, als könne er es auch ohne Liverpool schaffen.
www.jacobbrass.de