In der Verfilmung von Michel Houellebecqs "Elementarteilchen" erprobt sich Moritz Bleibtreu in der Rolle des Bruno in sexueller Devianz. Im Zuender-Interview spricht der Schauspieler über Sex, Genderhierarchien und die Krise der Männlichkeit
Fragen von Boris Fust
Was hat dich an der Rolle des Bruno gereizt?
Bei Filmen geht es für mich mehr um das Gesamtinhaltliche als um die einzelne Rolle. Elementarteilchen hat mich sehr beeindruckt: Houellebecq erklärt auf 400 Seiten mal eben, warum alles so scheiße ist und das mit derart viel Intelligenz und analytischem Scharfsinn. Das heißt jetzt aber nicht, dass ich alles eins zu eins unterschreiben würde. Ich bin ein optimistischer Mensch. Und obwohl ich Herrn Houellebecq in sehr vielen Dingen Recht geben muss, weigere ich mich, die Welt so zu sehen.
Nun ist die Weltsicht nicht durchgängig. Das Buch hat ja durchaus komödiantische Aspekte.
Richtig. Das satirische Moment, das in allen Houellebecq-Büchern steckt, bekommen sicher die wenigsten mit. Ich fand es jedenfalls sehr interessant, zu versuchen, daraus einen Film zu machen noch dazu einen aus Deutschland. Man muss überlegen, wie weit man dem Buch folgen will und wo man sich vom Text lösen möchte. Das Buch beschäftigt sich hauptsächlich mit der Beschreibung von Innenwelten. Das ist filmisch nicht umsetzbar, es sei denn, man benutzt 120 Minuten Off-Texte. Ich glaube, wir haben da einen ganz guten Mittelweg gefunden. Dadurch, dass sich der Film insbesondere im letzten Drittel ganz stark vom Roman unterscheidet, zeigt sich doch so etwas wie ein kleiner Hoffnungsschimmer. Der Glaube an die Menschen geht nicht ganz verloren.
Wie recherchiert man denn eine Rolle als Sex-Maniac? Muss man dazu einen Vor-Ort-Termin im Swinger-Club abhalten?
Nein. Bei vielen Rollen geht es um technische, faktische Dinge: Wie hält ein Polizist eine Pistole? Wie hält ein Arzt einen Tupfer? So etwas muss man recherchieren. Beim Bruno in Elementarteilchen geht es hingegen um ein Defizit, um ein Problem, das viele Menschen teilen. Die Figur zerbricht im Endeffekt daran, den eigenen Platz zu finden. Bruno kommt mit dem hierarchisch aufgeteilten Verhältnis der Geschlechter nicht klar das zudem immer unklarer wird. Bruno kann sich sexuell in dieser Situation nicht mehr artikulieren. Das hat wahrscheinlich damit zu tun, dass das, was Sexualität ja eigentlich ausmacht Liebe, Intimität und Unschuld für ihn nicht erfahrbar ist.
Nun kann Bruno das aber auch nicht erwarten, wenn er sich als Lehrer seiner Schülerin Johanna derart aufdringlich um es vorsichtig zu formulieren nähert.
Viele Menschen haben kein Gespür dafür, wie weit man gehen kann und Bruno erst recht nicht. Das Allerwichtigste bei zwischenmenschlichen Beziehungen ist der gegenseitige Respekt. Ich mag die Szene aber sehr gerne. Denn eigentlich will Bruno nichts Böses. Er ist keiner, der anderen Leuten weh tun will und Frauen schon mal gar nicht. Bruno hasst zwar die Welt. Aber noch mehr hasst er sich selbst.
Das ist ja stets das Irritierende bei Houellebecq: Alles geht schief, die Ursachen sind aber nie individuelle Verfehlung, die Gesellschaft, die Umstände, die Biologie. Es ist immer alles auf einmal, alles verdichtet sich zu einem Bedrohungsszenario, aus dem es kein Entrinnen gibt. Wie arbeitet man das heraus? Wieso hast du Bruno nicht als eindimensionalen, tollwütigen Wahnsinnigen gespielt?
Das war schwierig. Beim ersten Lesen der Rolle bieten sich wahnsinnig einfache Möglichkeiten. Auf die springt man natürlich auch sofort an. Doch bei den Proben merkt man schnell: Je plakativer man die Figur darstellt, desto falscher liegt man. Doch sobald man den Wahnsinn als alltägliche Gegebenheit zulässt und nicht die Figur verantwortlich macht, nähert man sich einer Lösung. Je kleiner man die Gesten gestaltet, desto richtiger wird das. Und plötzlich ist alles noch viel verrückter und wahnsinniger, als wenn man die schauspielerische Keule herausholt.
Wie hat sich das Setting des Wahnsinns denn auf den Dreh der drastischen Sexszenen ausgewirkt?
Gar nicht. Sexszenen sind im Grunde immer gleich. Man muss das mögen. Ich bin allerdings ein Mensch, der sich nicht so wahnsinnig gerne vor der Kamera auszieht. Ich finde das nicht unbedingt angenehm, es macht einfach keinen Spaß. Man hängt da nackig am Set rum, muss sich ständig mal so und mal so drehen, den Kopf dann hierhin und dorthin. Der Dreh im Swinger-Club war einfach ermüdend. Wenn die Szene nicht sitzt, muss man das noch mal machen und noch mal und noch mal. Ob die Szene dann mit Festbinden ist oder ohne, ist dann auch egal. Aber gut da muss man durch. Es gibt Kollegen, die sehen das natürlich ganz anders. Ein gewisses Maß an Exhibitionismus schadet dem Beruf des Schauspielers sicher nicht. Aber ich muss das nicht haben.
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Wieviel gibt man bei einer schauspielerischen Tätigkeit denn von sich preis? Wieviel Bruno steckt in Moritz Bleibtreu?
Nicht viel. Aber Schmerz ist Schmerz, ob es nun eine Mittelohrentzündung oder ein Weisheitszahn ist. So verhält es sich auch mit emotionalem Schmerz. Am Ende des Tages ist es egal, woher der Schmerz oder die Sehnsucht kommt. Das ist der Punkt, wo man eine Figur wie Bruno letztendlich verstehen kann. Er ist einsam und sehnt sich nach allem, wonach man sich sehnen kann in dieser Welt. Er fühlt sich nicht verstanden und wäre am liebsten nicht hier. Das sind Gefühle, die jeder in seinem Leben früher oder später erfährt.
Nun ist Houellebecq ja kein Innerlichkeitsautor. Sein Oeuvre verhandelt neben einer biologistischen Sicht auch immer die Krise der Männlichkeit, wie sie seit den 80ern zu beobachten ist.
Sicher, da ist ja auch was dran. Es wäre jetzt falsch zu sagen, dass Männer sich nicht mehr an Frauen rantrauen, da diese nun Hosen tragen. Doch das Balzverhalten der Männer dreht sich durchaus um Ego und Macht. Dadurch entsteht eine schwierige Situation: Ein Teil des Problems scheint mir zu sein, dass ein gewisses Orang-Utan-Verhalten einerseits erwartet wird und als attraktiv gilt. Andererseits ist das dem neuen Mann aber streng verboten.
Eine Definitionskrise also.
Nicht nur. Der Unsicherheit der Männer steht eine Gewissheit der Frauen gegenüber, die nämlich Gepose gerade nicht als Ausdruck von Unsicherheit verstehen. Das Stereotyp besagt ja: Männer wollen bumsen. Das heißt aber nicht, dass sie in Wirklichkeit keine Angst davor hätten. Haben sie aber. Wenn Frauen wüssten, was Sex überhaupt für ein Act für Männer ist und wieviel von dem Gepose nur gespielt ist, weil man die Hosen voll hat! Mit was für Ängsten, Zweifeln und Selbstvertrauenskrisen Männer da zu tun haben, das ahnen Frauen noch nicht einmal.
Der Film "Elementarteilchen" läuft am 23. Februar in den Kinos an