Wenn mir schon beim Aufstehen der Teppich unter den Füßen wegrutscht, kann der Tag nur noch schlimmer werden. Dann ist ein "Heute-ist-nicht-mein-Tag"-Tag
Von Almut Steinecke
Ich fliege zur Seite, stolpernd, strauchelnd, ein altes Ehepaar fängt mich auf. Verdutzt schaue ich der jungen Frau hinterher, die mich eben voll gerammt hat. Ich sehe ihren schaukelnden Pferdeschwanz, die Frau marschiert im Schnellschritt durchs Gewühl der Bahnhofshalle. Ich schüttele verwirrt den Kopf, da steuert eine andere Frau auf mich zu, die das Ganze beobachtet hat. "Ist doch Ihre Schuld, wenn Sie nicht auf sich aufpassen können!", zickt sie im Vorbeigehen zu mir rüber. Hallo? Was ist das hier? "Wir machen Almut fertig, Teil I"? Ich bedanke mich bei dem alten Ehepaar, schlängele mich wachsam durch die Bahnhofshalle. Ich weiß es. Dies ist ein klassischer "Heute-ist-nicht-mein-Tag"-Tag. Einer dieser Tage, an denen ich das Gefühl habe, die ganze Welt sei gegen mich. An denen beim Aufstehen der Teppichläufer wegrutscht, sobald man den kleinen Zeh draufsetzt.
Ich setze meinen Weg fort an diesem Morgen, will beim Bäcker ein Brötchen kaufen. Kein Mensch hinter der Theke, ich warte, warte. Warte. Ich habe es eilig, also gehe ich hinter die Theke, linse um die Ecke in die Kombüse und gebe der Frau dort einen kleinen Wink. Die schießt auf mich zu, fuchtelt mich mit beiden Händen aus der Küche: "Sie dürfen hier nicht rein!" Ein anderer Kunde nimmt mich in Schutz: "Sie wollte doch nur, dass es hier weitergeht." Doch die Bäckersfrau baut sich mit blitzendem Blick hinter der Theke auf. "Alle anderen bediene ich jetzt. Die bediene ich nicht!" Ihr Zeigefinger piekt mich auf. Äh, hallo? Ist das "Wir machen Almut fertig, Teil II"?
Kein Steinchen auf der Straße. Oder doch. Eines.
Ich liebe das Leben. Ich bin ein positiver Mensch. Jeder Tag steckt voller Überraschungen, genau darum bleibt es spannend, aber manche sind stur gestrickt nach einem Muster: Irgendwie scheint sich alles verschworen zu haben. Ich erinnere mich an einen Morgen im Winter, der Schnee lag knöchelhoch. Ich war auf dem Weg zur Uni, als mit einem Mal ein Schneerutsch von einem Hausdach nieder ging. Genau auf mich. Wirklich nur auf mich. Ein Augenblick, einige Sekunden nur, und als ich vorbeigegangen war, war auch die Lawine vorbei. Der Schnee kleidete mich ein, ich pudelnass in Eis getaucht. Die Lawine - nur für mich? Nicht doch, das Leben ist schön, ich blieb heiter. Und legte mich lang in den Matsch etwas weiter.
Jenes konnte man noch entschuldigen mit winterlicher Witterung, aber wenn es Sommer ist und man fliegt auf die Schnauze einfach so, ist das schon ganz schön gemein. Ich erinnere mich an ein Date, auch noch ein FIRST DATE! bei dem mir eben dies passierte. Ein superschöner Tag im August, die Vögel piepen, die Blumen blühen und ich und der Typ spazierten auf der Rheinpromenade. Kurz vorm Händchenhalten. Kein Wölkchen am Himmel. Kein Steinchen auf der Straße. Oder doch. Eines. Über genau das stolpere genau ich, mache eine sagenhafte Landung mit doppelter Drehung. Aaaah! Ich wollte verschwinden, mich entmaterialisieren, unsichtbar werden! Mit einer Tarnkappe ausgestattet zu sein, das wünscht man sich an Tagen wie diesen.
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"I’ve been chosen". Warum immer ich?
Die Welt ist gegen mich, ich hab mal drauf geachtet: Dieses Gefühl sitzt kurz unterm Schlüsselbein in der Brust, weit oberhalb des Bauchnabels, in unmittelbarer Nähe zum Herzen. Beim Öffnen der Flasche Mineralwasser, die garantiert explodieren muss, beim Besteigen der S-Bahn, die verlässlich Verspätung hat. Oder bei genannten Begegnungen in der Bahnhofshalle. Die Hektik an Hauptbahnhöfen stimuliert das überhaupt ganz gut: man fühlt sich irgendwie ausgesucht. Wie eines der Kuscheltiere in "Toy Story", die in einem dieser typischen Glaskästen auf der Kirmes hocken, und von Zeit zu Zeit kommt so ein metallisch glänzender Greifarm von oben und angelt sich eins der Tierchen aus der Menge. Mit dem Unterschied, dass die Kirmes-Kuscheltiere in "Toy Story" das klasse fanden, weil sie eine Sekte waren und sich mit den Worten "I’ve been chosen" geehrt fühlten. Ich aber will nicht "chosen" sein.
Bin ich ja auch nicht. Weiß ich ja. Man darf den Dingen nicht soviel Bedeutung beimessen, sich selbst nicht so wichtig nehmen, sich vor allem nicht reinsteigern, von wegen "Selbsterfüllende Prophezeiung" und so, es gibt nun wahrlich Schlimmeres, und beschissene Tage hat man nun schon mal. Mein Gott. Und hab ich nicht auch schon einem Typen den Kaffeebecher aus der Hand gefegt, weil ich es eilig hatte am Bahnhof? Hab ich es böse gemeint, ihn extra ausgesucht dafür, so dass er sich berechtigterweise die Frage hätte stellen können: Warum immer ich? Nein. Also. Weniger aufregen, solche Momente am besten gleich wieder vergessen, und auch Tage wie diese haben ihre schönen Seiten. Die will ich jetzt auskosten. Es ist spät abends, ich bin wieder zuhause. Ich schließe die Wohnungstür auf, räkele mich aus meiner Jacke, freue mich auf einen Tee und will meinen Gasofen anschmeißen, damit es richtig schön warm wird. Die Zündflamme ist aus. Ich krieg sie nicht mehr an. Der ganze Ofen ist im Arsch. Die Wohnung ist kalt. Handwerker rufen? Haben alle schon Feierabend.
Ich fliege zur Seite, stolpernd, strauchelnd, ein altes Ehepaar fängt mich auf. Verdutzt schaue ich der jungen Frau hinterher, die mich eben voll gerammt hat. Ich sehe ihren schaukelnden Pferdeschwanz, die Frau marschiert im Schnellschritt durchs Gewühl der Bahnhofshalle. Ich schüttele verwirrt den Kopf, da steuert eine andere Frau auf mich zu, die das Ganze beobachtet hat. "Ist doch Ihre Schuld, wenn Sie nicht auf sich aufpassen können!", zickt sie im Vorbeigehen zu mir rüber. Hallo? Was ist das hier? "Wir machen Almut fertig, Teil I"? Ich bedanke mich bei dem alten Ehepaar, schlängele mich wachsam durch die Bahnhofshalle. Ich weiß es. Dies ist ein klassischer "Heute-ist-nicht-mein-Tag"-Tag. Einer dieser Tage, an denen ich das Gefühl habe, die ganze Welt sei gegen mich. An denen beim Aufstehen der Teppichläufer wegrutscht, sobald man den kleinen Zeh draufsetzt.
Ich setze meinen Weg fort an diesem Morgen, will beim Bäcker ein Brötchen kaufen. Kein Mensch hinter der Theke, ich warte, warte. Warte. Ich habe es eilig, also gehe ich hinter die Theke, linse um die Ecke in die Kombüse und gebe der Frau dort einen kleinen Wink. Die schießt auf mich zu, fuchtelt mich mit beiden Händen aus der Küche: "Sie dürfen hier nicht rein!" Ein anderer Kunde nimmt mich in Schutz: "Sie wollte doch nur, dass es hier weitergeht." Doch die Bäckersfrau baut sich mit blitzendem Blick hinter der Theke auf. "Alle anderen bediene ich jetzt. Die bediene ich nicht!" Ihr Zeigefinger piekt mich auf. Äh, hallo? Ist das "Wir machen Almut fertig, Teil II"?
Kein Steinchen auf der Straße. Oder doch. Eines.
Ich liebe das Leben. Ich bin ein positiver Mensch. Jeder Tag steckt voller Überraschungen, genau darum bleibt es spannend, aber manche sind stur gestrickt nach einem Muster: Irgendwie scheint sich alles verschworen zu haben. Ich erinnere mich an einen Morgen im Winter, der Schnee lag knöchelhoch. Ich war auf dem Weg zur Uni, als mit einem Mal ein Schneerutsch von einem Hausdach nieder ging. Genau auf mich. Wirklich nur auf mich. Ein Augenblick, einige Sekunden nur, und als ich vorbeigegangen war, war auch die Lawine vorbei. Der Schnee kleidete mich ein, ich pudelnass in Eis getaucht. Die Lawine - nur für mich? Nicht doch, das Leben ist schön, ich blieb heiter. Und legte mich lang in den Matsch etwas weiter.