Der türkische Autor Orhan Pamuk erhält am Sonntag in Frankfurt den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels. Für ihn ist das nicht nur ein Grund, sich zu freuen
Tina Bremer
Wenn der türkische Autor Orhan Pamuk am Sonntag den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels erhält, werden die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei über die Aufnahme in die EU seit knapp drei Wochen in Gange sein. Pamuk hat die Verhandlungen lange herbei gesehnt. Schon seit Jahren setzt sich der prominenteste Autor der Türkei für die Annäherung seines Landes an den Westen ein.
Pamuk wird mit dem Friedenspreis ausgezeichnet, weil er ein Werk geschaffen hat, "in dem Europa und die muslimische Türkei zusammenfinden." Die Auszeichnung ist eine Anerkennung seiner Arbeit, dürfte ihn aber auch zwiespalten. Denn er erhält den Preis auch für den Mut, zu den politischen Problemen seines Landes Stellung zu beziehen. Genau dieser Mut, ungesagte Dinge auszusprechen, ist es aber, der die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei gefährdet, die Pamuk seit langem ersehnt.
Im Schweizer Tages-Anzeiger äußerte sich Pamuk offen über den Genozid an den Armeniern und den Staatsnationalismus seines Landes. Dafür wurde er von einem Istanbuler Staatsanwalt der "öffentlichen Herabsetzung des Türkentums" angeklagt. Am 16. Dezember muss er sich für seine Aussagen vor Gericht verantworten, ihm drohen bis zu drei Jahre Haft. Ein untragbarer Eingriff in die Meinungsfreiheit, befand vor kurzem EU- Erweiterungskommissar Olli Rehn. Nach einem Besuch bei Pamuk im Istanbuler Stadtteil Cihangir hat er die Türkei aufgefordert, den Prozess gegen "seinen Freund" einzustellen und die Meinungsfreiheit zu tolerieren. Nur so hätte die Türkei eine Chance, vollständiges Mitglied der EU zu werden.
Pamuk ist in seinem Land ein gefeierter Schriftsteller, hat sämtliche wichtigen türkischen Literaturpreise gewonnen. In den sieben Romanen, die er bislang veröffentlicht hat, behandelt er die gesellschaftlichen Brüche seines Heimatlandes: den Kampf um die Demokratie, die Rolle von Frauen und Kurden in der Gesellschaft und den Konflikt zwischen Moderne und Tradition. Bislang tat er dies jedoch immer unpolitisch. Sein neuester Roman "Schnee" ist der erste, von dem Pamuk selbst sagt, dass er politisch sei. Der Roman beschreibt laut Pamuk sämtliche wichtigen Strömungen des Landes: die Türken, die Kurden, die Nationalisten, die Säkularisten, die Armee, die Gläubigen und die islamistischen Fundamentalisten.
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Dabei hatte Pamuk sich stets geweigert, politische Romane zu schreiben. Er wollte lieber unterhalten und die Verhältnisse dabei beiläufig unterminieren. "Ich musste mit ansehen, wie viele gute Autoren ihr Talent der Politik opferten. Also entschied ich mich zunächst dafür, die Politik zu meiden." Seine Meinung änderte sich aber in den 90er Jahren, als Pamuk die Menschenrechtsverletzungen in der Türkei mit ansehen musste. Er entwickelte das Verlangen, den "guten" Leuten zu helfen, die den demokratischen Prozess des Landes vorantreiben wollten. Seitdem ist er vielen türkischen Offiziellen ein Dorn im Auge. Nach Pamuks öffentlicher Anklage gegen die Türkei ging die Hetze gegen ihn sogar so weit, dass er wegen Morddrohungen für ein paar Monate nach New York flüchten und eine geplante Lesereise in Deutschland absagen musste.
Es scheint, als würde Pamuks geliebte Heimat ihren berühmten Sohn nicht mehr schätzen. Denn obwohl die Türkei die Vorgaben der EU – Demokratie und Herrschaft des Rechts sowie Minderheitenschutz und Meinungsfreiheit – in dem von der Europäischen Gemeinschaft geforderten Maße einhält, ist es offensichtlich, dass ein großer Teil der Bevölkerung und der Justiz sich immer noch vehement gegen jegliche Liberalisierung wehrt. Und jene Liberalisierung, das Nebeneinander von Islam und westlicher Bildung, verkörpert kaum ein türkischer Autor so sehr wie Pamuk. Er absolvierte eine amerikanische Eliteschule, studierte Architektur und Journalistik, lebte einige Jahre in New York und begeistert sich für Malerei und Literatur. Trotzdem sagt Pamuk, dass er sich der "nicht-westlichen" Kultur zugehörig fühlt, sie aber mit "westlichen Augen" betrachtet.
Viele westliche Augen werden sich auch am Sonntag auf Pamuk richten, wenn er mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels ausgezeichnet wird. Und viele Ohren werden ganz genau hinhören, wenn er eine Rede hält, auf die er sich schon seit Wochen vorbereitet. Weil sie ihm am Herzen liegt. Wie auch sein eigenes Land. Trotz allem.
Tina Bremer
Wenn der türkische Autor Orhan Pamuk am Sonntag den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels erhält, werden die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei über die Aufnahme in die EU seit knapp drei Wochen in Gange sein. Pamuk hat die Verhandlungen lange herbei gesehnt. Schon seit Jahren setzt sich der prominenteste Autor der Türkei für die Annäherung seines Landes an den Westen ein.
Pamuk wird mit dem Friedenspreis ausgezeichnet, weil er ein Werk geschaffen hat, "in dem Europa und die muslimische Türkei zusammenfinden." Die Auszeichnung ist eine Anerkennung seiner Arbeit, dürfte ihn aber auch zwiespalten. Denn er erhält den Preis auch für den Mut, zu den politischen Problemen seines Landes Stellung zu beziehen. Genau dieser Mut, ungesagte Dinge auszusprechen, ist es aber, der die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei gefährdet, die Pamuk seit langem ersehnt.
Im Schweizer Tages-Anzeiger äußerte sich Pamuk offen über den Genozid an den Armeniern und den Staatsnationalismus seines Landes. Dafür wurde er von einem Istanbuler Staatsanwalt der "öffentlichen Herabsetzung des Türkentums" angeklagt. Am 16. Dezember muss er sich für seine Aussagen vor Gericht verantworten, ihm drohen bis zu drei Jahre Haft. Ein untragbarer Eingriff in die Meinungsfreiheit, befand vor kurzem EU- Erweiterungskommissar Olli Rehn. Nach einem Besuch bei Pamuk im Istanbuler Stadtteil Cihangir hat er die Türkei aufgefordert, den Prozess gegen "seinen Freund" einzustellen und die Meinungsfreiheit zu tolerieren. Nur so hätte die Türkei eine Chance, vollständiges Mitglied der EU zu werden.