Homosexuell zu sein ist immer noch ein Problem. Vor allem dann, wenn man Kinder hat
Von Tina Bremer
Vergangenes Jahr haben Hannes
(Name geändert)
und seine Frau Silberhochzeit gefeiert - ein großes Fest, mit vielen Verwandten und Freunden. Dass Hannes schwul ist, wissen nur die wenigsten von ihnen.
In Deutschland gibt es nach Schätzungen etwa 600.000 homosexuelle Väter. Den meisten von ihnen war bereits vor der Eheschließung bewusst, dass sie schwul sind. Trotzdem heirateten sie. Zu groß ist die Angst, aus dem sozialen Gefüge heraus zu fallen. Besonders in kleinen Städten ist der gesellschaftliche Druck enorm, auch heute noch. Auch Hannes war klar, dass er auf Männer steht, als er seiner Frau vor 25 Jahren das Ja-Wort gab, und ihr ewige Treue schwor. Treu ist er ihr auch heute noch. Aber eben nur im Geiste.
Einen festen Freund will er ihr nicht antun.
Hannes schläft gerne mit seiner Frau, sagt er. Er genießt die Wärme und Vertrautheit, die zwischen ihnen ist. Trotzdem lebt er seine Sexualität auch mit Männern aus, hat immer mal wieder One-Night-Stands und kurze Affären. Nur einen festen Freund will er nicht. Das könnte er seiner Frau nicht antun.
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Im Gegensatz zu vielen anderen schwulen Ehemännern hat Hannes seiner Frau reinen Wein eingeschenkt, bevor er um ihre Hand angehalten hat. Sie wollte sich trotzdem auf diese Ehe einlassen, weil sie ihn liebte. Genau wie er sie. Als Menschen, wie auch als Frau. Trotzdem würde er sich nicht als bisexuell bezeichnen. "Ich bin schwul", sagt Hannes. Leicht ist das für seine Frau nicht. Aber sie haben sich arrangiert, auf ihre Art.
Drei Kinder haben die beiden im Laufe der Jahre bekommen, zwei Jungen und ein Mädchen. Der Jüngste wohnt immer noch bei ihnen. Von der Homosexualität ihres Vaters wissen die Kinder nichts, zumindest hat Hannes nicht mit ihnen darüber geredet. Warum auch? "Kein Kind interessiert sich für das Sexleben der Eltern", sagt Hannes. Dennoch glaubt er, dass sie etwas ahnen. In Hannes Bücherregal stapelt sich schwule Literatur. Selbst im gemeinsamen Schlafzimmer hängen homo-erotische Fotografien. Aufnahmen in schwarz-weiß, leicht verschwommen. Erst beim näheren Hinsehen erkennt man, dass es sich um nackte Männer handelt.
Früher hat Hannes sich gewünscht, dass seine Kinder ihn auf sein Schwulsein ansprechen. Haben sie aber nicht. Das muss er akzeptieren.
"Neben meiner Frau zu schlafen war ein Alptraum."
Rainer aus der Hamburger Selbsthilfegruppe "Schwule Väter" weiß, dass viele homosexuelle Ehemänner nur bei ihrer Familie bleiben, weil sie Angst vor den möglichen Konsequenzen haben. Aus der gewohnten Umgebung gerissen zu werden, Freunde und Verwandte zu verlieren, die Kinder nicht mehr sehen zu dürfen. "Dabei geschieht es so gut wie nie, dass der Kontakt zu den Kindern abbricht", sagt Rainer. Und selbst wenn einige Menschen sich nach dem Coming-Out distanzieren würden, "hinterlässt das weniger seelischen Schaden, als wenn man sich ein Leben lang versteckt."
Rainer weiß, wovon er spricht. Jahrelang hat er selbst ein Doppelleben geführt. Dass er schwul ist, hat Rainer erst gemerkt, nachdem er verheiratet war. Einmal lief etwas mit einem Mann. Als schön hat Rainer das Erlebnis nicht empfunden. Vielmehr als verstörend. Dass er schwul sein könnte, hat er zu diesem Zeitpunkt nicht geglaubt. Den One-Night-Stand hat er als "Ausrutscher" verbucht. 1982 wurde der erste Sohn geboren, 1988 dann der zweite. Rainer war glücklich als Vater, nur mit seiner Frau schlief er immer widerwilliger. Dann kam das Angebot, beruflich nach Amerika zu gehen. "Ich sagte sofort zu, ohne zu zögern." Dort verliebte er sich schon nach kurzer Zeit in einen Mann. Nach einem dreiviertel Jahr zogen sie zusammen. Zum ersten Mal seit langer Zeit fühlte sich Rainer glücklich, frei und ohne Druck. Es fiel ihm immer schwerer, nach Hause zu Besuch zu kommen. Mit seiner Frau schlief er schon lange nicht mehr. "Neben ihr im Bett zu schlafen, war ein Alptraum für mich." Ihren Fragen wich er aus. Irgendwann kamen keine Fragen mehr.
Trotzdem hat es noch drei Jahre gedauert, bis er sich von seiner Frau getrennt hat. In dieser Zeit hat Rainer zahllose Affären gehabt. "Ich habe mich mies dabei gefühlt. Man weiß ganz genau, dass man einen Menschen hintergeht, den man mag und der es nicht verdient hat." Es war die schlimmste Zeit seines Lebens. Immer diese Fragen: "Ist es das wert? Kannst du nicht auf Männer verzichten? Was wird jetzt?" Nachdem er sich mit seiner Frau ausgesprochen hatte, ist dann alles ganz schnell gegangen. Schon am nächsten Tag ging sie zum Scheidungsanwalt. Geweint hat sie nicht. "Sie war nur wahnsinnig wütend, dass ich ihr so viele Jahre gestohlen habe", erzählt Rainer.
Die meiste Angst hatte Rainer davor, seine Kinder zu verlieren. Angst davor, wie sie auf den schwulen Vater reagieren würden. Dabei haben sie es ganz gelassen aufgenommen, zumindest nach außen hin. Nur einmal ist der Kleine nach der Schule nach Hause gekommen und hat ihn gefragt: "Papa, bist Du eine schwule Sau?" "Er hat gar nicht gewusst, was das bedeutet", sagt Rainer. Sein ältester Sohn ist nach der Trennung sogar zu ihm gezogen. Einzige Bedingung: "Ich will nicht jeden Morgen ein neues Gesicht am Frühstückstisch sehen." Diesen Wunsch hat Rainer ihm erfüllt. Er lebt seit sieben Jahren glücklich mit seinem Partner zusammen.
"Irgendwann bricht es aus einem heraus"
Auch der 42-jährige Michael hat sich vorgenommen, mit seinem Sohn über seine Sexualität zu reden, sobald dieser alt genug dafür ist. Er will offen mit seiner Homosexualität umgehen. "Wenn man es verschweigt, dann verliert man das Kind", davon ist Michael überzeugt. Als er sich vor vier Jahren gegenüber seiner Frau geoutet hat, ist eine ungeheure Last von ihm gefallen. Seitdem hat er sich geschworen, nicht mehr mit der Lüge zu leben. "Ich binde es nicht jedem auf die Nase, aber wer fragt, der erhält auch eine ehrliche Antwort von mir." Zu lange hat Michael sich und seiner Umwelt etwas vorgemacht. Seine Homosexualität so lange verdrängt, bis er selbst nicht mehr an sie geglaubt hat. "Aber irgendwann kannst du es nicht mehr unterdrücken. Dann bricht es aus dir heraus."
Für ihn kam dieser Zeitpunkt vor fünf Jahren, nach einem schönen Urlaubstag mit seiner Frau. Der Sohn war gerade ein halbes Jahr alt. "Wir saßen in unseren Liegestühlen und auf einmal hatte ich so ein komisches Gefühl. Ohne nachzudenken habe ich zu ihr gesagt: "Du, ich bin schwul." Erst herrschte eisige Stille. Dann brach seine Frau in Tränen aus, Michael auch. Und dann haben sie geredet, nächtelang. Es war der schönste Urlaub seines Lebens. Die beiden haben beschlossen, zusammenzubleiben. Nicht nur wegen des Kindes. "Es ist wahre Liebe", sagt Michael. "Diese Sache hat uns noch näher zusammen gebracht." Er will die Beziehung nicht aufgeben. "Ich muss eben akzeptieren, dass ein gewisser Teil in der Beziehung fehlt. Wenn ich mit einem Mann zusammen wäre, würde ich garantiert auch Kompromisse machen müssen." Seine Frau weiß, dass er an Männer denkt, wenn er mit ihr schläft. Ihm ist bewusst, dass es sie verletzt. In der letzten Zeit sagt sie immer öfter, dass sie so gerne begehrenswert für ihn wäre. Anlügen will er sie aber nicht. Nicht mehr. Deshalb hat Michael ihr auch ehrlich geantwortet, als sie ihn neulich gefragt hat, ob er sich noch einmal für dieses Leben entscheiden würde, wenn er vor der Wahl stünde. "Nein", hat er geantwortet.
Link: www.schwule-vaeter.de
Von Tina Bremer
Vergangenes Jahr haben Hannes
(Name geändert)
und seine Frau Silberhochzeit gefeiert - ein großes Fest, mit vielen Verwandten und Freunden. Dass Hannes schwul ist, wissen nur die wenigsten von ihnen.
In Deutschland gibt es nach Schätzungen etwa 600.000 homosexuelle Väter. Den meisten von ihnen war bereits vor der Eheschließung bewusst, dass sie schwul sind. Trotzdem heirateten sie. Zu groß ist die Angst, aus dem sozialen Gefüge heraus zu fallen. Besonders in kleinen Städten ist der gesellschaftliche Druck enorm, auch heute noch. Auch Hannes war klar, dass er auf Männer steht, als er seiner Frau vor 25 Jahren das Ja-Wort gab, und ihr ewige Treue schwor. Treu ist er ihr auch heute noch. Aber eben nur im Geiste.
Einen festen Freund will er ihr nicht antun.
Hannes schläft gerne mit seiner Frau, sagt er. Er genießt die Wärme und Vertrautheit, die zwischen ihnen ist. Trotzdem lebt er seine Sexualität auch mit Männern aus, hat immer mal wieder One-Night-Stands und kurze Affären. Nur einen festen Freund will er nicht. Das könnte er seiner Frau nicht antun.
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Im Gegensatz zu vielen anderen schwulen Ehemännern hat Hannes seiner Frau reinen Wein eingeschenkt, bevor er um ihre Hand angehalten hat. Sie wollte sich trotzdem auf diese Ehe einlassen, weil sie ihn liebte. Genau wie er sie. Als Menschen, wie auch als Frau. Trotzdem würde er sich nicht als bisexuell bezeichnen. "Ich bin schwul", sagt Hannes. Leicht ist das für seine Frau nicht. Aber sie haben sich arrangiert, auf ihre Art.
Drei Kinder haben die beiden im Laufe der Jahre bekommen, zwei Jungen und ein Mädchen. Der Jüngste wohnt immer noch bei ihnen. Von der Homosexualität ihres Vaters wissen die Kinder nichts, zumindest hat Hannes nicht mit ihnen darüber geredet. Warum auch? "Kein Kind interessiert sich für das Sexleben der Eltern", sagt Hannes. Dennoch glaubt er, dass sie etwas ahnen. In Hannes Bücherregal stapelt sich schwule Literatur. Selbst im gemeinsamen Schlafzimmer hängen homo-erotische Fotografien. Aufnahmen in schwarz-weiß, leicht verschwommen. Erst beim näheren Hinsehen erkennt man, dass es sich um nackte Männer handelt.
Früher hat Hannes sich gewünscht, dass seine Kinder ihn auf sein Schwulsein ansprechen. Haben sie aber nicht. Das muss er akzeptieren.
"Neben meiner Frau zu schlafen war ein Alptraum."
Rainer aus der Hamburger Selbsthilfegruppe "Schwule Väter" weiß, dass viele homosexuelle Ehemänner nur bei ihrer Familie bleiben, weil sie Angst vor den möglichen Konsequenzen haben. Aus der gewohnten Umgebung gerissen zu werden, Freunde und Verwandte zu verlieren, die Kinder nicht mehr sehen zu dürfen. "Dabei geschieht es so gut wie nie, dass der Kontakt zu den Kindern abbricht", sagt Rainer. Und selbst wenn einige Menschen sich nach dem Coming-Out distanzieren würden, "hinterlässt das weniger seelischen Schaden, als wenn man sich ein Leben lang versteckt."
Rainer weiß, wovon er spricht. Jahrelang hat er selbst ein Doppelleben geführt. Dass er schwul ist, hat Rainer erst gemerkt, nachdem er verheiratet war. Einmal lief etwas mit einem Mann. Als schön hat Rainer das Erlebnis nicht empfunden. Vielmehr als verstörend. Dass er schwul sein könnte, hat er zu diesem Zeitpunkt nicht geglaubt. Den One-Night-Stand hat er als "Ausrutscher" verbucht. 1982 wurde der erste Sohn geboren, 1988 dann der zweite. Rainer war glücklich als Vater, nur mit seiner Frau schlief er immer widerwilliger. Dann kam das Angebot, beruflich nach Amerika zu gehen. "Ich sagte sofort zu, ohne zu zögern." Dort verliebte er sich schon nach kurzer Zeit in einen Mann. Nach einem dreiviertel Jahr zogen sie zusammen. Zum ersten Mal seit langer Zeit fühlte sich Rainer glücklich, frei und ohne Druck. Es fiel ihm immer schwerer, nach Hause zu Besuch zu kommen. Mit seiner Frau schlief er schon lange nicht mehr. "Neben ihr im Bett zu schlafen, war ein Alptraum für mich." Ihren Fragen wich er aus. Irgendwann kamen keine Fragen mehr.
Trotzdem hat es noch drei Jahre gedauert, bis er sich von seiner Frau getrennt hat. In dieser Zeit hat Rainer zahllose Affären gehabt. "Ich habe mich mies dabei gefühlt. Man weiß ganz genau, dass man einen Menschen hintergeht, den man mag und der es nicht verdient hat." Es war die schlimmste Zeit seines Lebens. Immer diese Fragen: "Ist es das wert? Kannst du nicht auf Männer verzichten? Was wird jetzt?" Nachdem er sich mit seiner Frau ausgesprochen hatte, ist dann alles ganz schnell gegangen. Schon am nächsten Tag ging sie zum Scheidungsanwalt. Geweint hat sie nicht. "Sie war nur wahnsinnig wütend, dass ich ihr so viele Jahre gestohlen habe", erzählt Rainer.
Die meiste Angst hatte Rainer davor, seine Kinder zu verlieren. Angst davor, wie sie auf den schwulen Vater reagieren würden. Dabei haben sie es ganz gelassen aufgenommen, zumindest nach außen hin. Nur einmal ist der Kleine nach der Schule nach Hause gekommen und hat ihn gefragt: "Papa, bist Du eine schwule Sau?" "Er hat gar nicht gewusst, was das bedeutet", sagt Rainer. Sein ältester Sohn ist nach der Trennung sogar zu ihm gezogen. Einzige Bedingung: "Ich will nicht jeden Morgen ein neues Gesicht am Frühstückstisch sehen." Diesen Wunsch hat Rainer ihm erfüllt. Er lebt seit sieben Jahren glücklich mit seinem Partner zusammen.
"Irgendwann bricht es aus einem heraus"
Auch der 42-jährige Michael hat sich vorgenommen, mit seinem Sohn über seine Sexualität zu reden, sobald dieser alt genug dafür ist. Er will offen mit seiner Homosexualität umgehen. "Wenn man es verschweigt, dann verliert man das Kind", davon ist Michael überzeugt. Als er sich vor vier Jahren gegenüber seiner Frau geoutet hat, ist eine ungeheure Last von ihm gefallen. Seitdem hat er sich geschworen, nicht mehr mit der Lüge zu leben. "Ich binde es nicht jedem auf die Nase, aber wer fragt, der erhält auch eine ehrliche Antwort von mir." Zu lange hat Michael sich und seiner Umwelt etwas vorgemacht. Seine Homosexualität so lange verdrängt, bis er selbst nicht mehr an sie geglaubt hat. "Aber irgendwann kannst du es nicht mehr unterdrücken. Dann bricht es aus dir heraus."
Für ihn kam dieser Zeitpunkt vor fünf Jahren, nach einem schönen Urlaubstag mit seiner Frau. Der Sohn war gerade ein halbes Jahr alt. "Wir saßen in unseren Liegestühlen und auf einmal hatte ich so ein komisches Gefühl. Ohne nachzudenken habe ich zu ihr gesagt: "Du, ich bin schwul." Erst herrschte eisige Stille. Dann brach seine Frau in Tränen aus, Michael auch. Und dann haben sie geredet, nächtelang. Es war der schönste Urlaub seines Lebens. Die beiden haben beschlossen, zusammenzubleiben. Nicht nur wegen des Kindes. "Es ist wahre Liebe", sagt Michael. "Diese Sache hat uns noch näher zusammen gebracht." Er will die Beziehung nicht aufgeben. "Ich muss eben akzeptieren, dass ein gewisser Teil in der Beziehung fehlt. Wenn ich mit einem Mann zusammen wäre, würde ich garantiert auch Kompromisse machen müssen." Seine Frau weiß, dass er an Männer denkt, wenn er mit ihr schläft. Ihm ist bewusst, dass es sie verletzt. In der letzten Zeit sagt sie immer öfter, dass sie so gerne begehrenswert für ihn wäre. Anlügen will er sie aber nicht. Nicht mehr. Deshalb hat Michael ihr auch ehrlich geantwortet, als sie ihn neulich gefragt hat, ob er sich noch einmal für dieses Leben entscheiden würde, wenn er vor der Wahl stünde. "Nein", hat er geantwortet.