Wenn dir etwas Wichtiges verloren geht, ist das schlimm. Ist das nicht schlimm. Ich weiß es nicht.
Die Kolumne von Selim Özdogan
Es war nach einer Lesung. Manchmal habe ich das Gefühl, mein ganzes Leben findet nach Lesungen statt. Ich mußte den letzten Zug nach Köln kriegen, weil es keine Übernachtung gab und das Taxi war schon bestellt, als eine Frau sich einen bestimmten Text wünschte.
- Hey, sagte ich, die Lesung ist vorbei, Bücher sind signiert, eigentlich bin ich fertig und selbst wenn ich wollte, mein Taxi ist bestellt, ich muß zum Bahnhof.
- Ich bin mit dem Auto hier, wir können dich fahren, sagte eine andere Frau, dann kannst du auf dem Weg lesen.
Mir gefiel die Idee, ich bestellte das Taxi ab und wir fuhren kurz darauf zu fünft in einem Kleinwagen Richtung Bahnhof, ich schlug mein Buch auf und las die kurze Geschichte, über einen Mann, der mehr will, als nur mit jemandem ans Meer fahren. Aber zu wenig will, um es ernst zu meinen. Oder so ähnlich. Vielleicht geht es auch um etwas Anderes, woher soll ich das wissen?
Es war schön, gefahren zu werden und zu lesen. Für kurze Zeit verbunden zu sein, wie es während einer Lesung kaum möglich ist.
Die Fahrerin fragte mich irgendwann hinterher nach meinem Lieblingssong.
- Fatty Boo von Faithless höre ich gerade ziemlich oft, sagte ich.
- Nein, sagte sie, deinen Lieblingssong.
- Das neue Richie Spice-Album lasse ich auch oft laufen.
- Nein, sagte sie.
Und mir dämmerte es:
- Du meinst den einen Song, in dem mein ganzes Leben drin steckt?
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- Ja, genau den.
Sie war Anfang zwanzig und ich erinnerte mich gut daran.
- Ich glaube, ich bin zu alt für so etwas, sagte ich, es gibt nicht mehr das eine Stück, in dem ich alles wiedererkennen kann.
- Oh, sagte sie ohne ihre Enttäuschung zu verbergen.
- Ach, sagte ich, das ist gar nicht schlimm.
Sie drehte sich zu mir um:
- Versprochen?
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Ich habe mich gut gefühlt, das schmeichelte mir, aber wer bin ich schon, daß ich Versprechungen machen könnte für das Leben fremder Menschen?