Kolumne

Auseinander halten

In letzter Zeit vermute ich immer öfter, dass es zwei Arten von Sehnsüchten gibt

Von Selim Özdogan

Die einen wird man einfach nicht los, egal, was man tut. Man könnte ins Kloster gehen, sie zeitweilig befriedigen, jahrelang überhaupt nicht an sie denken, bei der Gelegenheit einer Erfüllung ganz exzessiv vorgehen, völlig einerlei, sie kommen wieder. Selbst wenn du schon glaubst, du hättest sie vergessen, tauchen sie unverhofft aus irgendwelchen Tiefen auf, vielleicht eines morgens, noch ehe du richtig wach bist.

Und die andere Art von Sehnsüchten wächst, je mehr Nahrung man ihr gibt. Jedes Mal, wenn du an sie denkst, wird die Sehnsucht noch ein bißchen größer, jedes Mal, wenn du dir bewußt machst, was dir eigentlich fehlt, freut sich die Sehnsucht, weil sie noch einen größeren Platz in deinem Herzen einnehmen kann, jedes mal, wenn du wieder träumst, feiert die Sehnsucht Gelage, frißt sich rund und dick. Und dabei läge es in deiner Hand sie verhungern und absterben zu lassen, ohne daß eine Leere bleibt. Ohne daß sie je wiederkommt.

Wie gesagt, es ist eine Vermutung, ich weiß auch nicht, wie ich genau darauf komme. Ich bin weit davon entfernt, die beiden Arten auseinanderhalten zu können.

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