Comics und Politik? Spätestens seit den siebziger Jahren geht das gut zusammen. Der Zuender stellt die wichtigsten Klassiker vor. Den Anfang machen heute Alfred von Meysenbugs Comics aus der heißen Phase der Studentenrevolte
Von Jan-Frederik Bandel
Robin
hat’s erwischt, ein Splitter hat seine Schädeldecke durchschlagen, schlaff liegt der Körper in Batmans Armen. Auch der Osterhase kann sich nicht mehr aus eigener Kraft bewegen, mühsam muss er in sein Nest zurückgezerrt werden. Im Hintergrund rennt Goofy schreiend durch die Trümmer der Katastrophe, unter jedem Arm eine enthauptete Leiche: Micky und Minni. Mit dieser drastischen Szene endet der Debütroman der Literatur-Nobelpreis-Trägerin Elfriede Jelinek. Natürlich ist das lange her: 1970 ist das Buch mit dem schönen Titel
wir sind lockvögel baby!
erschienen.
Pop – kurz für Populärkultur – war Ende der sechziger, Anfang der siebziger Jahre ein wichtiges Schlagwort unter jungen Autoren. Und Comics waren – schon ob ihres notorisch schlechten Rufs – der Inbegriff von Pop: Sie galten als Schund, gewaltverherrlichend, obszön, stumpfsinnig, wertlos. Kein schlechter Anfang. Außerdem waren Comics unter Künstlern und Theoretikern angesagt. Amerikanische Maler wie Andy Warhol und Mel Ramos hatten schon Anfang der sechziger Jahre Batman-Bilder ausgestellt, die US-Kritiker
Marshall McLuhan
und
Leslie Fiedler
hatten
Essays
über das populäre Medium geschrieben.
Aber deutsche Schriftsteller waren nicht mit Comics aufgewachsen und kannten oft kaum mehr als die Namen populärer Striphelden. Auch die amerikanischen
Alternative Comics
, Produkte einer boomenden Gegenkultur, kamen erst Mitte der siebziger Jahre nach Deutschland. Kein Wunder, dass auf absehbare Zeit keine eigene Comictradition entstand.
Eine frühe Ausnahme war Alfred von Meysenbug. Er studierte Ende der sechziger Jahre am Frankfurter
Institut für Sozialforschung
, einer der Keimzellen der Studentenrevolte. Und er zeichnete Comics. Seine Illustrationen für die APO-Aufklärungsfibel
Sexfront
von Günter Amendt waren und sind weithin bekannt. Aber auch die Bände
Supermädchen
und
Glamour Girl
, beide 1968 erschienen, haben unter Kennern Kultstatus. Seine Bücher sind besonders bei Liebhabern der sechziger Jahre begehrt. Das ist nicht erstaunlich: Meysenbugs Comics sind im Grunde
Pop Art
.
Meysenbugs Grafiken zeichnen sich durch kräftige Schwarzweiß-Kontraste aus. Für fast alle Bilder verwendet er Fotovorlagen und das sieht man auch. Oft schauen seine Figuren direkt in die Kamera und durchbrechen damit jede szenische Illusion. Auch eine herkömmliche Comicerzählung erwartet man vergeblich: Die
Panelstruktur
ist weitgehend aufgelöst, Bilder erstrecken sich über ganze Seiten oder stapeln sich wild übereinander. Flugblätter und Schlagzeilen werden auf die Seiten montiert. Lange Dialoge gibt es nicht. Die Handlung ist zersplittert und wird nur von den ausführlichen Kommentaren des Erzählers zusammengehalten. Alles in allem sind diese Bücher also das exakte Gegenteil dessen, was einen klassischen Superheldencomic ausmacht.
Meysenbugs Comic
Supermädchen
erzählt die Geschichte der Verkäuferin Jolly Boom. Sie lebt, wie es das Handbuch ihres Arbeitgebers vorschreibt: Sie gibt alles im Verkaufsgespräch, bricht den Streik, die Firma ist ihr ein und alles. Zum Schluss verkauft sich Jolly selbst – das konsequente Ende. Und eine klare Pointe im Geist der sechziger Jahre: Die Konsumgesellschaft richtet ihre Bürger so weit zu, dass sie alles, sich selbst eingeschlossen, als Ware begreifen. Punkt.
Der Band
Glamour Girl
macht es dem Leser nicht mehr so einfach. Heldin ist diesmal die Stripperin und Prostituierte Carla Lilly alias Carla Aulaulu, die davon träumt Künstlerin zu werden. Auf ihrem Weg landet sie erst bei einem Yogi, dann in einer Art LSD-Kommune, um schließlich durch das Flugblatt eines studentischen "Aktionsrats zur Befreiung der Frau" ihre wahre Emanzipation zu erleben. Sozusagen. Denn tatsächlich jongliert Meysenbug in diesem Comic so lange mit Klischees und Zitaten, bis die Parolen der
APO
-Frauen nicht mehr bedeuten als ein Werbespruch. Es ist ein wüstes Buch, das sich fröhlich durch die Fantasien, Ressentiments und Illusionen der Zeit zappt.
Auf der Suche nach anspruchsvollen Stoffen für ihre neue Show trifft Carla einige Prominente der Zeit, unter anderem auch Peter Handke. Und der freundliche Herr mit dem gigantischen Afro, der den ganzen Tag "stockhigh" Carlas Wohnung putzt, ist niemand anderes als Bernd Malzahn alias Brummbär, eine Frankfurter Szenegröße. Brummbär propagierte nicht nur alles, was high macht, er war auch der erste, der in Deutschland die amerikanischen Alternativ-Comics bekannt machte.
Der dritte große Band von Meysenbug sollte im legendären
März-Verlag
erscheinen:
Lucys Lustbuch
. Darin gibt es wenig Handlung, dafür große pastellfarbene Porno-Grafiken. Sie zeigen bekannte Zeitgenossen wie Mick Jagger, Willy Brandt, Freddy Quinn und Franz Josef Strauß ("Gibt’s hier wos z’ficken?"). In den Handel gekommen ist das Buch freilich nie. Zwar schickten die Verleger Hunderte von Exemplaren an alle einschlägigen Sexshops, aber die winkten ab. Verständlich, wie März-Verleger Jörg Schröder heute findet: "Aus heutiger Sicht haben die Blätter natürlich den Pop-Charme der sechziger Jahre. Aber unter Schüttlergesichtspunkten war es nichts. Wer sich auf
Lucy
einen runterholen kann, kann sich auf alles einen runterholen."
Da kam ihm ein Deal mit der Staatsanwaltschaft ganz recht: Die hatte Sorge, dass das Buch als Kunst durchgehen könnte, Schröder hatte noch zwanzig andere Verfahren am Laufen. Man wurde sich einig. So wurde das Buch eingestampft, ehe irgend jemand es gelesen hatte. Die wenigen Exemplare, die noch zirkulieren, gehen in Antiquariaten gut und gerne für 500 Euro über den Tisch. Seit einiger Zeit kann man auch im Netz Auszüge aus Meysenbugs
Lustbuch
betrachten: Jörg Schröder, der gemeinsam mit Barbara Kalender einen
Blog
auf den Seiten der
tageszeitung
betreibt, dokumentiert dort dieses Zeugnis einer Revolte im Namen von Pop, Porno, Politik.