Einen Monat reiste die 19-jährige Hannah Mai durch die USA – mit Freunden, die sie nur aus dem Internet kannte. Verrückt? Nö, sagt sie.
Fragen von Eva Schulz
Zuender: Hannah, du bist über einen Monat lang mit zwei Menschen, die du nie zuvor getroffen hast, durch die USA gereist. Wie fühlt sich das an?
Hannah Mai: Erstaunlich gut! Es ist ja nicht so, dass wir uns überhaupt nicht kannten. Victoria und ich haben uns vorher lange Briefe geschrieben. Eigentlich war es komisch, weil es überhaupt nicht komisch war – es fühlte sich tatsächlich an, als hätten wir uns schon ewig gekannt. Man schaut sich zwei, drei Videos von jemandem an und ist ihm gleich unheimlich nah.
Zuender: Wie habt ihr euch kennengelernt?
Hannah Mai: Über die Video-Community Vimeo. Das ist so etwas ähnliches wie YouTube, mit dem Unterschied, dass man dort nur selbstgemachte Filme hochladen darf. Jedenfalls trafen Victoria, die aus Kalifornien kommt, und ich uns zusammen mit anderen Vimeo-Usern in einem Chat. Wir haben uns sofort wunderbar verstanden. Wenige Wochen später erzählte ich ihr von meinem Plan, in die Staaten zu reisen. Da war ich nämlich noch nie. Sie war sofort Feuer und Flamme – und am nächsten Tag habe ich ein Ticket nach New York gekauft.
Zuender: Ihr beiden seid von New York aus einmal quer durchs Land gereist und habt dabei eure Freunde aus der Community besucht.
Hannah Mai: Wir haben uns eine Route von etwa zwanzig Städten überlegt. Darunter Metropolen wie Las Vegas, aber auch kleine Orte, in die sonst kein Tourist fahren würde. In jeder Stadt brauchten wir eine Unterkunft. Die waren ganz verschieden: Mal haben wir bei Vimeo-Bekanntschaften übernachtet, dann wieder in einem Motel oder auf einem Campingplatz. Die Frage, wie wir von A nach B kommen, hat sich ziemlich schnell geklärt, denn Victorias Freund Jed wollte ebenfalls unbedingt mitmachen. In seinem Auto haben wir den größten Teil der Strecke zurückgelegt.
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Zuender: Was ist das für ein Gefühl, diese Internetbekanntschaften im echten Leben zu treffen?
Hannah Mai: Ein ganz tolles! Es ist schon ein bisschen seltsam, wenn ich so darüber nachdenke, weil es auf der einen Seite eben bloß Internet ist. Aber wenn man sich dann trifft, merkt man, dass es doch mehr ist und man sich schon sehr vertraut ist.
Zuender: Wie lange habt ihr im Auto gesessen?
Hannah Mai: Eigentlich immer den ganzen Tag. Das klingt jetzt vielleicht anstrengend oder langweilig – war es aber überhaupt nicht. Wir haben viele Zwischenstopps eingelegt. Wann immer wir etwas Interessantes am Straßenrand sahen, hielten wir an. Um diese Stopps sind mitunter Streits entstanden, weil der Eine anhalten wollte und der Andere weiterfahren.
Zuender: Bist du überhaupt gut mit den beiden klargekommen? Schließlich kanntest du sie bisher nur aus Briefen oder Chats.
Hannah Mai: Wir haben uns super verstanden. Es gab zwar auch mal dicke Luft, oft wegen ganz banaler Dinge. Aber das ist doch ganz klar, wenn man so lange Zeit auf engem Raum verbringt. Und eng war es wirklich! Als ich Jeds Auto zum ersten Mal sah, habe ich mich ziemlich erschreckt und nicht geglaubt, dass der Wagen so lange durchhalten würde.
Zuender: Und, gab es Pannen?
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Hannah Mai: An einem Tag fiel die Klimaanlage aus – ausgerechnet in Oklahoma, wo es richtig heiß war. Viel schlimmer fand ich es aber, als uns in der tiefsten Provinz in New Mexico das Benzin ausging. Wir fuhren über eine hügelige Straße in der Wüste, um uns herum nur ein paar heruntergekommene Hütten. Da wollte ich auf keinen Fall liegen bleiben! Aber es gab weit und breit keine Tankstelle. Mit letzter Kraft hat sich das Auto einen Berg hochgekämpft und wie durch ein Wunder sahen wir am Fuß dieses Berges eine Tankstelle. Ich glaube, wir sind da hinuntergerollt, wir hatten keinen Tropfen Benzin mehr im Tank. Von da an habe ich den Literstand immer im Auge behalten.
Zuender: Hoffentlich habt auch schöne Dinge erlebt!
Hannah Mai: Ohja! In Los Angeles hat uns unser Bekannter Erick bei sich aufgenommen. Als wir uns abends von ihm verabschiedet hatten und aus LA raus fuhren, schalteten wir die Radioshow ein, die er moderiert. Die Sonne ging gerade unter, es war wunderschön, und auf einmal hörten wir Erick, der uns einen Song widmete und eine gute Reise wünschte! Dann fuhren wir an der Küste entlang, im Radio liefen die Beach Boys – das war perfekt.
Zuender: Wie hast du die Reise eigentlich finanziert?
Hannah Mai: Ich hatte ein bisschen Geld angespart, das allerdings noch nicht für so eine Tour reichte. Meine Mutter hat mir einen großzügigen Zuschuss gegeben...
Zuender: ...es gab auch Projekte von anderen Usern, die euch helfen wollten, Geld zu sammeln.
Hannah Mai: Ja, die Userin Karen Abad hat eine Art Spendenseite gestaltet. Wir hätten wirklich nicht gedacht, dass Leute bereit sind, jeweils ein paar Dollar zu unserer Reisekasse beizusteuern! Ich glaube, sie waren fasziniert davon, dass so etwas bloß durch eine Internetseite entstehen kann.
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Zuender: Hast du dich durch die Reise verändert?
Hannah Mai: Ich habe schon früher große Reisen unternommen, durch Europa und einmal nach Japan. Da war ich allerdings immer allein unterwegs. Dadurch, dass ich dieses Mal ständig unter Leuten war, habe ich gelernt, geduldig zu sein und mich auf andere zu verlassen. Das war eine wichtige Erfahrung. Und ich habe Amerika kennengelernt. Sicher nicht komplett, dafür ist das Land zu groß - aber ich weiß, wo ich hinwill, wenn ich zurückkehre.