"Da ist mir wirklich der Kragen geplatzt", erinnert sich Lena. "Seit vier Monaten hatten wir uns nicht gesehen – und dann schon wieder so ein Rückschlag. Das war unglaublich zermürbend." Weil sie ihrem Ärger irgendwie Luft machen musste, formulierte sie einen Brief an Außenminister Frank-Walter Steinmeier und den Deutschen Botschafter in Nigeria.
Sie schrieb, dass die Visums-Vergabepraxis eine Verletzung der Menschenrechte sei. Dass sie alles nach Vorschrift gemacht habe – ein Einladungsschreiben verfasst, eine Krankenversicherung für Taiwo abgeschlossen, ein Konto verpfändet. Dass ihr Freund einen Universitätsabschluss habe und einen Job als Manager einer Gärtnerei, seine "Rückkehrbereitschaft" also beweisen könne. Und, dass sie sich an die Öffentlichkeit wenden würde, sollten ihre Bitten, den Fall zu überprüfen, folgenlos bleiben.
Später, als Taiwos Touristenvisum schon ausgestellt war, schickte der Botschafter eine Antwort. Es tue ihm leid, das Terminvergabesystem werde gerade geändert, da sei es zu Komplikationen gekommen – und ihre Beschwerden über das Verhalten der Sachbearbeiterin nehme er ernst. Sie müsse aber auch verstehen, dass seine Mitarbeiter stark unter Druck stünden und die Antragssteller häufig unfreundlich seien.
Als Lena Ende Mai schließlich in Berlin am Flughafen stand, war das alles vergessen: Drei Monate lang würde Taiwo bei ihr sein – ihr Freund, der noch nie in Europa und noch nie in einem Flugzeug gewesen war, den sie das letzte mal vor mehr als acht Monaten gesehen hatte. Er machte einen Deutschkurs an der Volkshochschule, lernte ihre Familie kennen, ließ sich von ihren Leipziger Mitbewohnerinnen deutsche Sprichwörter beibringen. Und als sie sich am Flughafen zum Abschied in den Armen lagen, war klar, dass beide es ernst meinten. Im November sollte Taiwo wiederkommen, mit einem Visum für einen weiteren Sprachkurs.
Das Visum hat er nie bekommen. In der Absage hieß es, für einen Deutschkurs brauche er nicht nach Deutschland reisen, zudem sei seine Rückkehrbereitschaft anzuzweifeln: Die Behörden befürchteten, er könne seine Freundin heiraten. Erst in einem halben Jahr hätte Taiwo erneut einen Antrag stellen können – mit den gleichen Erfolgsaussichten. "Das war ein Schlag ins Gesicht", sagt Lena. "Taiwo ist der Mann, mit dem ich mein Leben verbringen möchte – aber mit dem Heiraten hätte ich gerne noch ein paar Jahre gewartet."
Dass sein Visum abgelehnt wurde, habe sie dann zur Eile gedrängt. Eine Hochzeit war die einzige Chance, zusammen zu sein. "Ich habe mich nicht gefühlt, als würde ich zur Ehe gezwungen, aber ich war wahnsinnig sauer auf die Behörden, dass sie uns so viele Steine in den Weg gelegt haben." Die Deutsche Botschaft hat also genau das bewirkt, was sie eigentlich verhindern wollte:
Am 20. September werden Taiwo und Lena in Nigeria heiraten, in traditionellen weißen Gewändern, mit lokalen Spezialitäten und lauter Musik. Für die Nachbarschaft wird es ein ungewöhnlicher Anblick: Sie, die große Deutsche mit heller Haut und braunen, glatten Haaren, neben ihm, etwas größer, mit dunkler Haut und tiefschwarzem Kraushaar. Lenas Vater, ihre beiden Brüder und ihr Cousin haben die Flüge schon gebucht. Sie haben Lenas Entscheidung unterstützt – besonders ihr ältester Bruder, der seine russische Frau aus den gleichen Gründen früher geheiratet hat als geplant.