Auf Youtube wurden in dieser Woche mehr als 2000 Filme über die Tibet-Krise hochgeladen. Eine Video-Schlacht um die Meinungshoheit. Wer will da wen beeinflussen?
Allein in dieser Woche haben Nutzer mehr als 2000 Videos mit dem Schlagwort Tibet eingestellt. Die wenigsten dieser Filme stützen die Behauptung der staatlichen chinesischen Medien, dass die Revolte von kriminellen Elementen angezettelt worden sei. Manche zeigen grausame Bilder erschossener und misshandelter Menschen.
Als Beweis für brutale Übergriffe der chinesischen Polizeieinheiten taugen diese Bilder nur bedingt, dafür bieten sie zu wenig zusätzliche Informationen.
Weil die chinesische Regierung Beobachter und Journalisten aus Tibet ausweist
und eine unabhängige Berichterstattung nicht zulässt, gibt es keine verlässlichen Bilder aus der Region. Und diejenigen, die über die Grenzen geschmuggelt wurden, können von allen Seiten genutzt werden, um ihre jeweiligen Thesen zu stützen.
Der folgende Film wurde in dieser oder ähnlicher Form von vielen Medien weltweit gezeigt.
Anzeige
Doch was beweisen die Bilder marschierender Sicherheitskräfte? Sie überbringen eine Nachricht (Polizisten sind in Tibet). Zur Information (Polizisten in Tibet misshandeln Aufständische) werden sie aber erst, wenn sie in einen Kontext gestellt werden. Dieser Kontext ist nur zu oft Verhandlungssache,
wie dieser Bericht der BBC über die Aufstände zeigt
.
Das Internet wartet nicht auf neue Nachrichten, Bilder, Berichte. Es ist eine Diskussionsmaschine. Jeder Nutzer kann hier seine Meinung vertreten, den Austausch mit anderen suchen, sich am Ende eine Meinung bilden wenn alles gut geht.
Denn jeder Nutzer kann auch Behauptungen verbreiten, Details ausblenden, Tatsachen verdrehen.
Bei Youtube sind in diesen Tagen regelrechte Kampagnen im Gang: Die einen vertreten eine pro-chinesische Position, andere setzen sich für die Freiheit Tibets ein. Videos, welche die jeweilige Perspektive beweisen sollen, werden immer wieder neu hochgeladen damit sie auf der Startseite ganz oben stehen.
Daraus hat sich (nicht erst seit der Tibet-Krise) eine ganz eigene Diskussionskultur entwickelt. Stilmittel und Darstellungsformen werden eingesetzt, die es in dieser Form wohl nur auf Videowebsites gibt. Auch in den Kommentarbereichen geht es eher deftig zu. Und selten neutral in der Sache.
User Generated Propaganda also? Schauen wir uns die Entwicklung der vergangenen Tage an.
Kampagne 1: Tibet war schon immer Teil Chinas
Nichts als die Wahrheit, die historische Wahrheit! User NZKOF will mit einer animierten Diaschau den Beweis führen, dass Tibet seit Jahrtausenden Teil der chinesischen Einflusssphäre sei. Ihr Trittbrettfahrer, die ihr nichts über die chinesische Geschichte wisst, sind die ersten Worte seines Filmes. Wird zum Ende hin pathetisch.
User zouazouazou, dessen Avatar-Bild die chinesische Flagge ist, greift einen Aspekt des vorhergehenden Videos auf: Vor dem Einmarsch der chinesischen Truppen im Jahr 1950 sei Tibet ein rückständiges Land gewesen, regiert von einer Kaste privilegierter Priester.
Erst mit dem chinesischen Sozialismus sei die Moderne auch nach Tibet gekommen. Ebenfalls eine animierte Diaschau, der Soundtrack ist ausgerechnet
Don't Look Back in Anger
von Oasis.
Was in der einen Richtung funktioniert, geht natürlich auch anders herum. Auf die eben gesehenen Beiträge (von denen es in leicht variierter Form noch einige mehr gibt) sind eine Reihe von Video-Antworten, wie es bei Youtube heißt, eingegangen.
Kampagne 2: Tibet war noch niemals ein Teil Chinas
Ein Nutzer namens FreeT1bet legt hier seine Sicht der Dinge dar: Tibet IS not, SHOULD not, and will NEVER be a part of China:
Und noch einmal die historische Wahrheit: User AI009 führt den Beweis zuerst mit Hilfe von Jahreszahlen, später kommt ein Ausflug in die Geschichte des Begriffes China. Und am Ende ein etwas schiefer Vergleich mit anderen Regionen der Welt.
Sind das organisierte Kampagnen? Unwahrscheinlich. Ganz klar aber streiten sich hier zwei Lager um die Deutungshoheit im Video-Web. Und das mittels Masse.
User Paragraf129a glaubt, dass der Kampf gewonnen ist: Hello chinese propaganda fags ... welcome to the internet ... you have just lost the game schreibt er oder sie am Ende dieses Filmes:
Viele Tibeter leben im ausländischen Exil: in den USA, Canada, Europa, den Nachbarstaaten Chinas. Dazu kommen Menschen, die sich in diesen Ländern für die Unabhängigkeit Tibets einsetzen.
In den vergangenen Tagen haben sie sich in Städten überall auf der Welt getroffen, um gegen die Gewalt in Tibet zu demonstrieren. Und auch diese Aktivisten nutzen Youtube und das Internet, um für ihr Anliegen zu werben.
Es gibt Filme von Demostrationen in New York (oben),
Berlin
,
Chicago
,
Nepal
,
Dharamsala
,
Minsk
. Es sind auch häßliche Szenen darunter, eskalierte Gewalt, eine einstürzende Mauer vor der chinesischen Botschaft Den Haag. Von wem diese Gewalt ausging, ist auf den Bildern nicht zu erkennen.
Auch im tschechischen Brno wurde demonstriert dort malten Kinder mit Straßenkreide für die Freiheit Tibets.
Die Tibet-Aktivisten haben zudem ein Mittel in der Hand, mit dem sie den chinesischen Staat öffentlich unter Druck setzen können.
Kampagne 4: Der Olympiaboykott
Im Sommer sollen die Olympischen Spiele in Peking ausgetragen werden. Bislang ein Glücksfall für die chinesische Regierung der aber zum Albtraum werden könnte, falls die Krise eskaliert.
Die Frage, ob die Spiele wirklich in einem offensichtlich repressiven Staat wie China durchgeführt werden sollen, lässt sich herrlich plakativ stellen:
Was bedeutet das alles für uns, die Konsumenten, die sich ein Bild der Lage machen wollen? Dass man keiner Information trauen kann? Oder nur der Tagesschau? Ja und nein.
Prinzipiell ist das Netz und in diesem Fall Youtube besonders ein Medium, mit dessen Hilfe man sich über die Blickweisen der verschiedenen Interessengruppen informieren kann. Was wissen wir schon über die Motive und Argumente der Chinesen? Dazu hat bisher auch die Tagesschau nicht viel gesagt.
Wenn historische Fakten ins Spiel kommen, ist Vorsicht angebracht. Wer sich aber die Mühe macht, und die verschiedenen Positionen zusammensucht, kann durchaus ein differenziertes Bild zeichnen. Das allerdings ist aktiver Medienkonsum. Muss man wirklich wollen.