Dreijährige Popstars und schnauzbärtige Verführer – Rumäniens Musiklandschaft lebt von seinen Kuriositäten.
Von Arne Semsrott
Kürzlich hielt ich eine Vertretungsstunde in der sechsten Klasse des Gymnasium „Stefan cel Mare“ in Suceava ab. Ich fragte die Kinder, welche Deutschen sie kannten und schrieb die Ergebnisse an die Tafel. Letztlich standen unter der Überschrift „Deutschland“ drei Namen: Hitler, Mozart und Tokio Hotel.
Besonders die letzte Nennung erschreckte mich. War ich doch unter anderem aus Deutschland geflohen, weil ich hoffte, damit dieser Teenie-Band zu entkommen. Pustekuchen: Tokio Hotel sind in Rumänien Megastars. Verübeln kann man das den jungen Rumäninnen nicht – angesichts der Alternativen, sie ihnen im eigenen Land geboten werden.
Neben House und Techno – der billigen Variante –, hören Rumänen drei Arten von Musik: Folklore, Lieder von kleinen Kindern und
Manele
. Ist ersteres noch als Kulturgut zu tolerieren, fällt das bei der zweiten und vor allem dritten Kategorie schon schwerer.
Cleopatra Stratan
zum Beispiel, inzwischen fünfjährige Hitsängerin aus dem benachbarten Moldawien. Die kleine Göre nahm im Alter von drei Jahren ihr erstes Album auf, das sich schnell über 150.000 Mal in Rumänien verkaufte. Das ist Doppel-Platin. Ihre Lieder handeln vom Warten, Schlafen und von Überraschungen. Die Texte hat sie natürlich nicht selbst geschrieben – aber Zweifel daran, dass sie den Musikterz freiwillig mitmacht, wollen bei den begeisterten Hörern nicht aufkommen.
Kann
Cleopatra
noch als putzig gelten, trifft diese Bezeichnung auf einen weiteren funkelnden Stern am Musikhimmel Rumäniens nicht zu:
Nicolae Guţă
ist der König des Manele, des erfolgreichsten Musikstils in Rumänien. Und auch Nicolae Guţă ist erfolgreich, so sehr, dass er mittlerweile mit seiner Musik zum Multimillionär geworden ist.
Manele ist streng genommen eine Mischung aus Elektro-Pop, Romamusik und türkischen Klängen. Auf die Musik selbst kommt bei Nicolae Guţă allerdings gar nicht so sehr an. In seinen
Videos
besticht der 40-Jährige eher durch seine Markenzeichen: einen dicken Schnauzer, ein stets offenes Hemd, das die behaarte Brust entblößt und eine Menge Bling-Bling. Das Konzept geht auf: Mehr als ein Drittel der 10 bis 14-Jährigen Rumänen gibt Manele als ihre Lieblingsmusik an. Mittlerweile hat Nicolae auch noch seine Kinder Gigi und Nicoleta ins Geschäft geschleust.
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Manele ist auch unabhängig von der Geschmacksfrage umstritten: Diskussionen, die Musik aufgrund der flachen Texte, die meist von Liebschaften, Sex oder Gott handeln, zu verbieten, gibt es immer wieder. Der ehemalige rumänische Ministerpräsident Adrian Nastase war sogar Mitglied einer Anti-Manele-Initiative. Seltsam ist nur, dass die Rumänen Anstoß an den Texten, und nicht etwa den Klamotten der Sänger nehmen: Seine karierten Hemden und Strickpullis vor quietschgrünem Hintergrund sind die wahre Sünde.
Aber Modesünden werden von Gott ja nicht bestraft.