Kultur-Clash
Fremdkörper am Tresen
TEIL 2
Die Stammgäste meiner Stammkneipe: Meist Männer, meist einzeln, die meisten vom Leben und Bier gebrandmarkt. Aber keine Matrosen. Früher war das hier deren Anlaufpunkt, davon erzählt der norddeutsche Nippes, der hier hängt, all die Anker und Leuchttürme, die Seemannssentimentalitäten, die Schaustücke aus Übersee. Aber Matrosen heißen heute Schiffsmechaniker, sind Filipinos oder Russen, die die Reeperbahn höchstens vom Hörensagen kennen. Ihre Schiffe halten viele Kilometer von hier entfernt, und Liebe kaufen kann man sich auch an Bord. In den meisten Kiezkneipen wurden die Seeleute durch Touristen ersetzt; hier nicht, woran auch das "Bier 1 Euro"-Schild am Eingang nichts ändert. Zu hell, um spelunkenhaft zu sein, zu karg, um urig zu sein, zu ausgestorben, um Kult zu sein. Meine Stammkneipe ist kein Insider-Tipp, kein Ausgeh-Tipp, nicht im
Lonely Planet
, nicht im Baedeker
Neulich setzte sich ein Mann zu mir, ein PR-Berater der SPD, der nach Erbrochenem roch. Um die vierzig, weißer Lodenmantel, im Knopfloch ein Kunststoffkrokus. Selbst geschossen, auf dem Hamburger Dom, sagt er und ordert zwei Sekt. Er erhält zwei lauwarme Piccolo-Flaschen, weil es Sekt hier nur lauwarm gibt, verlangt gekühlten, wedelt mit einem Geldschein, "gekühlt gibt’s nicht", knurrt die Bardame, "und für Biertischpolitiker schon gar nicht." Ich stecke meinen Schreibblock weg. Der Mann grinst mich an. "Zeig mal her, was wird das – eine Elendselegie? Ein Betroffenheitsaquarell? Lass mich raten, du bist Künstlerin, steckst in einem Inspirationsdilemma. Der Laden wirkt stimulierend auf dich, bewusstseinserweiternd. Das finde ich süß!" Er schaut mich an und dann die vielen Löcher im Stoff, "mehr Brandloch als Tischtuch", grinst er. "Elendstourismus ein Euro, da kann man nicht meckern", sagt er und prostet mir zu, "da kann man nur lachen. Dieser doppelte Hamburger Hafenschick: dort die
Hafencity
-Scheiße, hier die abgewrackten Kaschemmen, die Sozialromantik verströmen, Hafenschick à la Heroin chic, dunkle Augenränder, finstere Straßenränder."
Er trinkt den Sekt auf Ex, haut eine Handvoll Euros auf den Tisch, steht auf, geht zur Jukebox, platziert zwischen Billardtisch und Spielautomat. Musik gibt es hier nur gegen Bargeld. Er drückt auf den Knöpfen herum, "I’d Do Anything For Love" von
Meat Loaf
erklingt, ein Stammgast simuliert Würgegeräusche. "Komm, wir tanzen Klammerblues", ruft der PR-Berater mir zu, und wir tanzen. "Mädchen! Du träumst von Cowboy Coffee, mit deinem Latte-Lächeln", flüstert er mir ins Ohr, und vieles mehr. Als das Lied zu Ende ist, kommt vom Tresen ein Klatschen, langsam, schleppend, aber mit Wucht, die Bardame haut die Hände gegeneinander wie zwei Becken.
Vor ein paar Wochen bin ich weggezogen. Nach Frankfurt am Main. "Dahin, wo du hingehörst", hat die Bardame meine Abschiedsbekundung quittiert. Und: "Manchmal wirst du mir fehlen", hinter ihrer Kanzel gemurmelt. "Als Zielscheibe und Zeitvertreib warst du gar nicht so schlecht." Bei meinem letzten Besuch bekam ich sogar eine angebissene Gurke und einen Nasenstüber aufs Haus.