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Sonntagstext

Post Rock

Einmal Rausch bitte, mit allem - Schmerzen, Glück, Sex und dem Wunsch das alles zu vergessen. Der Sonntagstext

Du bist zu nichts mehr zu gebrauchen. Du findest sich wieder auf Station, in irgendeiner Stadt, Du erwachst fixiert auf einem Krankenbett. Wenn du einigermaßen fit bist, orientierst du dich langsam, wahrscheinlicher aber fängst du an zu schreien und die Riemen um Arme und Füße lösen zu wollen, indem du wild um dich strampelst. Für gewöhnlich kommen dann zwei Pfleger und checken dich ab. An ihrer Art, mit dir umzugehen, kannst du ablesen, wie du dich bei deiner Ankunft betragen hast. Erinnern kannst du dich jedenfalls nicht.

Jeder hier hat die gleichen Probleme. Partner weg, Job weg, Wohnung weg, vor allem: Geld weg. Im Arsch das Leben, sich die Kugel geben? Nein. Du triffst hier einen Jazzmusiker, einen ehemaligen KGB-Agenten, einen Busfahrer, eine Rechtsanwältin mit Berufsverbot, zwei Betriebswirte und den Drummer einer lokalen Death Metal Band. Dazu Stammpublikum, die Szene, manche entgiften im Wochenendturnus, merke: Jeder einzelne, womitauchimmer vollzogene Rausch kann hierher führen. Manche erscheinen nur, wenn sie dem Tod mal wieder knapp von der Schippe gesprungen sind. Zurück auf Los, Neugeburt, ein wunderbares Hochgefühl. Krankheitseinsicht ist relativ.

Es ist noch nicht lange her, da stand ich am Fenster meines Appartements und schaute hinab auf den Notarztwagen und die Polizei, der Raum von Blaulicht erfüllt, die Klingel geht Sturm, regelmäßig springt der Anrufbeantworter an, flehendes und drohendes Bitten meiner Chefin, doch ranzugehen. Ich zittere am ganzen Körper, stehe im Bad und schaue in den Spiegel. Die stummen Zwiegespräche können Stunden dauern. Im Waschbecken Blut, Spritzen und eine Rasierklinge, ich habe mir auf LSD bis auf den Knochen in den Arm geschnitten und dann Gin darüber gegossen. Seit fast einer Woche habe ich die Wohnung nicht mehr verlassen. Ich klaubere mir im Vorbeigehen eine Handvoll Nasi Goreng, das vor Tagen auf den Küchenboden gefallen ist, zwischen den Scherben heraus und stecke es mir in den Mund. Letzte Woche konnte ich noch Arbeiten gehen, kotzte jeden Morgen nach 2 Stunden Ruhezustand, bis ich in zweitägigen Schlaf fiel. Als ich wieder erwachte, brach unaushaltbare Angst über mir zusammen. Um sie zu bekämpfen, quälte ich mich noch einmal zum Einkaufen auf die Strasse hinunter, meldete mich krank und verschanzte mich dann. Seitdem habe ich, Speed sei dank, nicht mehr geschlafen. Jetzt wird die Tür aufgebrochen. Ich stehe da, mit nichts als einem blutbefleckten Hemd bekleidet, zwischen Müll, Dosen, Flaschen, Kotze, schmutziger Kleidung, CD- und Bücherbergen und lasse die Sanitäter machen. Kalt entziehen ist unmöglich geworden, die eigene höchstpersönliche Hölle tut sich dann auf, ein Grauen aus Schmerz und Wahn, Halluzinationen von kleinen Lebewesen unter der Haut, Gespenster, Gestalten, Heimsuchungen, die dich quälen, beschimpfen, auslachen. Der Amtsarzt vermerkt "Freiwillige Internierung" und ich lege mich dankbar auf die Bahre. Eine Woche später werde ich wieder unterwegs sein.

Distraneurin, um ein Delirium Tremens zu verhindern, Antistax für die zerstochenen Venen, Mirtazapin gegen Koksdepression. Diesmal war mal wieder Schore dabei. Zwei Tage zwischen Wachen und Schlafen, du kratzt dich blutig, bis das Gift den Körper verlassen hat. Wenn man in dieser Phase nachnimmt, ist man geliefert, dann hat das Opiat dich auch physisch am Arsch. Irgendwann dann wird der Kopf klarer. Wenn du auf einer gemischten Station bist, zusammen mit den Psychotikern, Manisch-Depressiven und Borderlinern, wird dir schnell klar, welches Glück du hast. Trotz diverser Parallelen: Du entgiftest, dann bist du wieder normal und kannst gehen und dein Leben führen.

"Wenn mein Geist stagniert, wird er rebellisch. Gib mir Probleme, gib mir Arbeit, lass mich die verworrenste Geheimschrift entziffern, die verzwickteste Analyse durchführen und schon lebe ich in der mir gemäßen Atmosphäre. Dann kann ich auf künstliche Reizmittel verzichten. Doch ich verabscheue das stumpfe Gleichmass des Daseins. Ich verschmachte nach geistiger Erregung." So ließ Arthur Conan Doyle einst Sherlock Holmes sprechen. Bester Arthur/Sherlock, irgendwann nach der Verselbstständigung wird der Verzicht zur hohen Kunst, verbrutzelte Toleranzgrenzen überall. Nicht aufhören können und es mit wollen verwechseln. Die, die das wahre Ausmaß nicht kennen, und das sind die meisten, da wir geniale Lügner und Fassadenbauer sind, klopfen einem auf die Schulter dafür. Pete Doherty, du kranker Held der Massen, du hast noch einen weiten Weg. Sie schauen dir gern zu, wie du dich fertig machst, natürlich. Sie kommen sich dann so gesund vor. Außerdem bist du ihr Beweis, dass man druff sein kann und trotzdem Erfolg haben, diesen schwarzen Peter haben sie dir jetzt zugeschoben.

Musik? Throbbing Gristle , The Flying Luttenbachers , Today is the Day , Whitehouse und The Country Teasers morgens um 5, bei voller Lautstärke. Zuballern mit allen Mitteln. Der Humor all dieser grandiosen Satiriker von mir missbraucht als Entgrenzungs-Soundtrack. Die Dame in der Beratungsstelle sagte, dass, wenn ich so weitermache, dies mein sicherer Tod sei. Das hatte mir ein Arzt schon vor Jahren prophezeit. Der menschliche Körper hält mehr aus, als man denkt. Dass der Wahnsinn ein Ende haben muss, wusste ich natürlich, in den wenigen nüchternen Momenten. Doch ich delirierte lieber durch einen Alltag voller Schmerzen und Betäubung, Entkörperlichung und ungeschützter sexueller Praktiken mit fremden Männern und Frauen, mal kostenfrei, mal zahlte ich, mal liess ich mich bezahlen. Reiche Alkoholikerinnen sind der Hauptgewinn, sie erleichtern das Leben des vielfältig Süchtigen ungemein. Du kannst dann sorglos hinabsteigen in die Welt unter der Welt, in der 24 Stunden am Tag hart gefeiert wird. Ob Technoclub, Wagenburg, Szenekneipe oder Trinkhalle, ob Prominenz oder Obdachlose, die Sprache des Vollrauschs ist eine universale. Man findet sich immer, wir sehen es uns an der Nasenspitze an.

Heute. Auf der Hochzeit meiner Schwester treffe ich mindestens zwei Alkoholiker, die noch nichts von ihrem Glück wissen. Noch funktionieren sie, der Lehrer und der Polizist. Doch tief greifen die Wesensveränderungen, der Lehrer ist bereits zu einem Zyniker geworden und kann einem nüchtern nicht mehr in die Augen blicken. Betrunken ist er natürlich der Größte. Alkohol ist die Droge der Demokratie, alle können dann gemeinsam "Football's coming home" grölen, oder "10 nackte Friseusen", der Chef meistens am lautesten. Hurra, es ist Weihnachtsfeierzeit. Eines von drei Kindern in Deutschland wird misshandelt oder missbraucht. Zwei von Dreien wären ohne Alkohol niemals gezeugt worden.

Rausch und Ficken ist eine wunderbare Konstellation. Du kannst dann alles machen. Sogar Geld. Manche von den Prostituierten am Hamburger Steindamm, die nur für und niemals ohne ihr Gift anschaffen, nennen ihre Freier Patienten. Es gibt da diese spezielle Sorte, die bekommen nur einen hoch, wenn sie's mit 'ner wirklich fertigen Crack-Nutte machen, die ja gar kein echter Mensch mehr ist, und selber schuld noch obendrein. Einmal, da haben wir uns den Spaß erlaubt und den Bankangestellten nach seiner Mittagspause am Schalter besucht. Er ist dann ganz unruhig geworden, als ich ihn fragte, ob er einen guten Arzt für meine Bekannte wisse, offenbar sei sie gestürzt und hätte ein Veilchen davongetragen. Wir haben uns dann außergerichtlich geeinigt. Das Geld haben wir natürlich verpulvert.

Das polytoxikomane Leben ist immer unbeständig, richtet sich danach, wo auf dem bunten Drogenkarussell man sich gerade befindet. Die ruhigen, verkifften Phasen können rapide umschlagen in exorbitante, wochenlange Dauerräusche mit ungewissem Ausgang. Schon mal den Chef angerufen, um ihm mitzuteilen, dass man heute, welchen Wochentag haben wir denn eigentlich genau, wohl nicht mehr erscheinen könne, da man eben neben einer Unbekannten in einem Dörfchen in Nordostniedersachen aufgewacht ist und man leider nicht wisse, ob man mit dem Dienstwagen und überhaupt...? Und glauben Sie nicht, dass unser Freund & Helfer, sollte er einen mal wieder wegen irgendwelcher Nichtigkeiten wie Ruhestörung oder Selbstgefährdung eingesackt haben, ruhig und nachsichtig im Umgang mit dem jetzt bemitleidenswert Entzügigen ist. "Meine Freundin ist Anwältin, ihr verliert alle euren Job!" krakeelt er in Panik, dabei war sie es, die die Polizei gerufen hat. Statt einer Überführung ins Krankenhaus, die der Arme durch geschicktes Aufritzen der Handgelenke zu forcieren gedachte, nur Jod, ein gemeiner Magenstüber und Dunkelhaft bis morgens um 7, dann pusten und feststellen, dass ein Wert weit über 2 Promille den Abgang vereitelt, dabei fühle man sich doch so nüchtern wie Sie und ich jetzt in diesem Moment. Zum Glück erscheint ein guter Geist in Gestalt einer Kollegin, die man letzte Nacht angerufen hätte und die einen dazu verdonnert, auszuschlafen und 3 Tage krank zu machen. Also vorne rein ins Haus und hinten wieder raus, nicht aber, ohne vorher festzustellen, dass die eigene Geliebte mit einem von diesen peruanischen Fu0gängerzonencombos im Bett den Rausch ausschläft, alles Zeuchs natürlich komplett verballert, noch nicht einmal eine Not-E ist übrig geblieben. Wie du mir so ich dir, also ihre Bankkarte geschnappt und's Konto leer geräumt. DM 800 gehen allein für die grandiose Idee, mit dem Taxi nach Berlin zu fahren drauf, ungefähr der gleiche Betrag wurde vorher in Rauschmittel angelegt, nun ist da natürlich das Problem, dass man ja nicht im fahrenden Taxi, vor dem Fahrer, oder vielleicht doch....? Daraus resultieren eine Vollbremsung, der drohende Griff zum Funk und eine Grundsatzdiskussion. Vorbei die schöne Landpartie, dabei waren das doch nur Poppers. Jetzt stehe ich da im Niemandsland irgendwo vor Berlin, öffne eine Flasche Wodka und lege mich in den Strassengraben.

Ich weiß nicht, wie ich hierher gekommen bin, weiß zum gegenwärtigen Zeitpunkt auch nicht, wo ich mich befinde, gleichförmige Ruinen überall, ehemalige russische Kasernenbauten. Ich rauche wie blöd mein letztes Crack, trinke Schnaps, rede unentwegt mit mir selbst und ballere mir ab und zu, immer weiter durch die endlosen Ruinenreihen torkelnd, mit einer alten Spritze aus meinem Rucksack in Wodka aufgelöstes Kokain, bin aber so daneben, dass ich keine Vene treffe, die Schüsse kommen also nur subkutan, weswegen ich die Dosis gnadenlos erhöhe. Irgendwann einmal erwische ich natürlich doch eine Vene und mein Kopf explodiert. Ich breche zusammen und denke "Jetzt musst Du sterben!" und werde von einem Krampfanfall geschüttelt, der mir endlos erscheint. Die Angst, die nackte Panik krallt sich mich und ich spüre mein Herz immer schneller schlagen, in einem aberwitzigen Tempo, sonnenklar, dass es gleich platzen muss. Meine Zunge fühlt sich riesig an, geschwollen und trocken, ich spüre, wie mein Hirn zuckt, wieder und immer wieder. Ich pisse und kacke in die Hose und alles wird schwarz..

Als ich erwache, geht die Sonne auf oder unter, ihr Licht macht aus den nackten Fensterhöhlen der Baracken böse Augen. Ich kann mich nicht bewegen, und ich kann auch nicht schreien.

Ich versuche, mich zu erinnern, wann es mir das letzte Mal so richtig dreckig gegangen war. Der Messerstich? Das muss der Tag gewesen sein, an dem mich eine heftige Drogenparanoia gepackt hatte, auf einmal war mir alles und jeder verdächtig vorgekommen, ich sprang in die nächste S-Bahn und hatte den Deal Deal sein lassen. Stundenlang fuhr ich mit Bus und Bahn durch die Stadt, stellte mich auf öffentliche Plätze und beobachtete. Wer zu nahe an mich herankam, war verdächtig. Wer mich ansprach, ob ich Hilfe bräuchte, gehörte zu ihnen. Über das Handy erreichte ich niemanden, sie hatten also schon alle meine Leute gecasht. Sie zogen die Schlinge immer enger. Im Bus setzte sich ein alter Herr neben mich. Er war ihr Anführer. Ich, angstentrückt: "Was wollt ihr von mir? Ich bin doch bloß Konsument! Wieso verfolgt ihr mich mit Hundertschaften durch die ganze Stadt?" Erschrocken nahm er Reißaus. Ich schaute aus dem Bus. Eine dicke Frau im grellen Kleid winkte mir grinsend zu und entblößte ihre Brust. Ich hatte sie bereits am Morgen am anderen Ende der Stadt aus einem Auto steigen sehen, ein echtes Koksgespenst. Später ging ich in eine Polizeidienststelle und bat, das Sondereinsatzkommando abzuziehen, ich würde den Terror nicht mehr aushalten. "Wissen Sie, wir haben hier so viele Sondereinsatzkommandos unterwegs, wir wissen gar nicht, welches Sie meinen..." feixte sich der Beamte einen. Ich konnte gehen. Keine Personalien, keine Nachfragen, keine Skepsis. Diese Geschichte ist wahr. Gegen Ende ließ ich es, wieder einmal, darauf ankommen, alles oder nichts: Sie würden eingreifen, wenn ich mir etwas antäte. Ich kaufte ein Küchenmesser, ging auf die Strasse und rammte es mir in den Bauch. Ich erinnere mich noch an den Hubschrauber, dessen Rotoren tatsächlich zeitlupig wie die in "Apocalypse Now" klangen, ich erinnere mich an einen Arzt in einem orangen Gang, der mich anbrüllt, dass, wenn ich nicht kooperativ wäre, ich sterben müsse, ich erinnere mich an Schläuche, ich erinnere mich an das Gesicht meines Vaters, der weint.

Ein Berber flösst mir etwas zu Trinken ein. "Junge, Junge, Du hast es dir aber ganz schön besorgt..." sagt er, meine Antwort ein Krächzen. Später wird mir ein Freund seine Mailbox vorspielen, auf der ich gutturale Laute hinterlassen habe, was schon des Öfteren vorgekommen ist. Die wichtigsten Leute wissen, was zu tun ist, wenn ich eine bestimmte Phase erreicht habe, die Schwierigkeit ist zumeist, mich dann ausfindig zu machen. Dieses Mal war der Berber der Engel aus den Ruinen, mit meinem Handy und dem Rucksack hat er sich, nachdem er die Ambulanz gerufen hatte, verdrückt. Ein mehr als faires Geschäft, wie ich finde. Wieder einmal lege ich mich auf eine Bahre.

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