Leben
Winter
TEIL 2
19:46
Abends erhielt ich einen Anruf von einem alten Bekannten - er wohnte
auch in Berlin. Sollte ich wieder die alten Fehler begehen? Ich nahm
ab. Tags darauf verfluchte ich die Entscheidung, ihn in meinem Bett
schlafen zu lassen - es war nur 90 Zentimeter breit. Aber gut - ich
ließ ihn weiter schlafen, eilte zu meinem Termin und nahm mir fest vor
das Bettzeug zu wechseln - und zwar noch heute. Leider stellte sich
das vorabendliche Erlebnis als kaum brauchbar dar - hatte ich doch den
ganzen folgenden Tag keinen dieser Momente in der U-Bahn. Mit etwas
Anstrengung gelang es mir zwar wenigstens so zu tun, als ob ein
kleines, schmutziges Geheimnis meiner Unterhaltung diene, jedoch gab
ich diesen Versuch von schnöder Selbsttäuschung bald auf, um genau zu
sein, als ich die Bettwäsche entsorgte.
18:17
Zu Hause angekommen war ich stolz ob meiner leeren Wohnung, besser
gesagt, dankte ich mir im Stillen, dass er weg war. Allein schon der
seltsame Geruch eines Bettes, in dem ein Mann geschlafen hat. Ich
widmete mich also erfreulicheren Dingen - dem Studium und meinen zwei
Mitbewohnern. Ich als Frau konnte ja schon gar kein Klischee erfüllen,
aber zu dritt waren wir nicht schlecht im Bedienen solcher. Der
süßliche Geruch, der vom Flur in mein Zimmer drang, lockte mich heraus
aus meinem Schlamassel und hinein in die Welt der Jungs. Was ich seit
jeher an Freundschaften mit Männern so schätze, ist vor allem ihre
(scheinbare) Verschwiegenheit - sie würden nie auf die Idee kommen
mich auf nächtliche Besucher oder ähnliches anzusprechen. Und wenn,
wäre ich sehr schockiert, muss ich gestehen.
06:51
Der nächste Tag verhieß nichts Gutes - graue, wenig einladende Wolken
frühmorgendlichen Lichtes fluteten mein schönes Zimmer und tauchten es
in eine schreckliche realistische Atmosphäre. Zu allem Überfluss lagen
draußen mehrere (!) Zentimeter Schnee und dicke Flocken tanzten im
Schein der Straßenlaterne direkt vor meinem Fenster. Das gab mir den
Rest. Umso schlimmer war dann auch das morgendliche Prozedere. Während
ich noch den Schnee verfluchte, dachte ich an Sommer und den Strand
und meine braune Haut und wie wunderbar das alles werden würde - das
ich zeitgleich Uni haben würde und arbeiten müsste, blendete ich
vorsichtshalber aus, um meine Aufmunterung nicht zu beeinträchtigen.
Trotz schlimmer Schneewehen und Unmengen von zerschmolzenen Flocken in
Haaren und Gesicht ging ich motiviert in die Uni. Beseelt von dem
Gedanken mich zu bilden, betrat ich dann auch mit einem Lächeln das
alternde Gebäude.