Afghanistan
Wie Blumen im Haus
TEIL 2
Und abends? Trifft man sich zum Kino oder geht gemeinsam essen?
Schäfer: Abends hält man sich in der Familie auf. Wenn überhaupt, besucht man sich zum Abendessen. Aber man geht nicht in die Stadt oder ins Kino, wie wir das kennen. Kinos sind ohnehin selten und gelten als verruchte Orte, in denen sich höchstens Männer treffen.
Karimi: Frauen treffen sich in den Häusern. Wenn eine Frau abends weggeht, muss ein Mann aus ihrer Familie dabei sein.
Hat sich die Situation der Frauen seit dem Fall der Taliban insgesamt verbessert?
Schäfer: Das ist schwer zu sagen. Einerseits können Frauen heute wieder studieren und arbeiten, und sie können ihr Recht darauf in den Familien durchsetzen. Gleichzeitig hat sich die Sicherheitslage seit dem Fall der Taliban extrem verschlechtert. In Kabul werden fast täglich Selbstmordattentate verübt. Das wirkt sich wiederum auf die Lage der Frauen und Kinder aus. Viele Väter lassen die Frauen und Kinder nicht zur Schule oder zur Arbeit gehen. Sie sagen: Lieber Analphabetin als tot.
Die afghanische Regierung unter Präsident Karsai scheint in Bezug auf Frauenrechte einen Spagat zu machen: Zwar ist die Gleichberechtigung der Frauen in der Verfassung festgeschrieben, doch gibt es seit einiger Zeit auch wieder eine Sittenpolizei wie unter den Taliban, die bereits einige Mädchenschulen geschlossen hat.
Schäfer: Die afghanische Verfassung ist in Bezug auf die Frauenrechte fortschrittlicher als die deutsche. In den Gemeinderäten sind Frauenquoten festgeschrieben. Auf der Gesetzesebene sind viele Frauenrechte durchgesetzt worden. Das heißt aber nicht, dass sie im Alltag auch respektiert werden.
Hat der Status, den Frauen in Afghanistan haben, etwas mit dem Islam zu tun?
Schäfer: Der Islam wird immer wieder herangezogen, um die Stellung der Frauen zu begründen. Ich glaube aber, dass das weniger mit dem Islam zu tun hat als mit sozialen Gewohnheiten. Die Verfassung legt die Rechte der Frauen zwar fest, aber das ungeschriebene Gewohnheitsrecht ist stärker. Die Mullahs sind auf den Dörfern die größte Autorität. Die meisten können aber nicht mal lesen und schreiben. Sie berufen sich auf den Koran, ohne zu wissen, was dort eigentlich steht.
Karimi: Dass Frauen in Afghanistan die Burka tragen, hat eher etwas mit kulturellen Konventionen zu tun als mit dem Islam. Die Verschleierung, die die Fundamentalisten fordern, hat nichts mit dem Islam zu tun, das ist eine politische Strategie. Die westlichen Länder sagen: Frauen haben unter den Fundamentalisten keine Rechte. Die Fundamentalisten sagen: Frauen haben in westlichen Ländern keine Rechte, weil sie zu Sexobjekten degradiert werden. Wir halten die Frauen wie Blumen in unserem Haus.
Wie kann sich die Situation der Frauen verbessern?
Karimi: Man muss die Mullahs besser ausbilden, damit sie die Rechte der Frauen – und Männer – im Islam kennen und den Menschen erklären können. Sie sagen: Es ist das Recht der Frau, zu Hause sein zu müssen. Dabei steht das nirgendwo im Koran.
Schäfer: So lange in Afghanistan Krieg herrscht, wird es den Frauen nicht besser gehen. Aber auch wenn die Sicherheitslage besser wird, gilt: Man kann Frauenrechte nicht von oben verordnen. Die sozialen Strukturen in der Gesellschaft müssen sich ändern. Das wird sehr lange dauern.
Wie ist es mit der jungen Generation?
Karimi: Viele der jungen Menschen haben Angst und trauen der Lage nicht. Sie hören von den Selbstmordattentaten und sehen, dass die Taliban wieder mächtiger werden. Und sie fragen sich: Was, wenn die Taliban morgen wieder an die Macht kommen? Besonders junge Frauen trauen sich deswegen nicht, den Schleier abzulegen oder zur Universität zu gehen.
Schäfer: Die Jugendlichen in Kabul bekommen einerseits sehr viel von außen mit, sie fahren zum Schüleraustausch nach Dubai oder Iran, sie sprechen gut Englisch. Auf der anderen Seite sind viele der jungen Männer nach wie vor sehr konservativ. Ein Beispiel: Unsere Übersetzerin in Kabul hatte von ihrem Vater die Erlaubnis bekommen, für uns zu arbeiten. Als ihr Vater im Ausland war, hat ihr jüngerer Bruder ihr verboten, weiterzuarbeiten. Er war eifersüchtig, weil sie mehr verdiente als er.
In Afghanistan ist die Familie die wichtigste soziale Einheit. Die Frauen repräsentieren die Ehre. Der soziale Druck ist sehr hoch: Wenn eine Frau sich unanständig verhält, wird über sie geredet. Das ist für alle Beteiligten – die Väter, die Brüder und die Frauen – sehr anstrengend und führt zu einer viel subtileren Art von Repression als die Gesetze der Taliban.
Den größten Druck üben die Brüder aus. Die Väter haben noch die Phase vor der sowjetischen Besatzung und dem
Bürgerkrieg der Mudschaheddin
miterlebt, als Afghanistan liberaler war. Sie sind deswegen häufig aufgeschlossener.
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