//Zitate-Blog//

Zitat des Tages

Es wird viel gesagt, wenn der Tag lang ist. Und es gibt viele lange Tage »

 

//Kochblog//

Rezeptor

Unser Topf soll schöner werden? Das Zuender-Kochblog hilft »

 

//Spielen//

Wir wollen Spaß

Kommt ins Bälleparadies – alle Spiele vom Zuender gibt es hier »

 

//Newsletter//

Post von Zuenders

Was gibt es neues aus der Redaktion? Unser Newsletter informiert Dich an jedem ersten Donnerstag im Monat. Hier anmelden »

 
////

CONTAINERN

Die Mülltaucher

Wenn Till zum Supermarkt geht, nimmt er den Hintereingang. In den Mülltonnen liegen oft essbare Lebensmittel. Viele Menschen ernähren sich so – illegal, aber kostenlos und mit gutem Gewissen.

Es ist kurz vor zehn in Berlin Treptow, als ich zu meiner ersten Müllsafari aufbreche. "Samstagnacht ist die beste Zeit zum Containern", erklärt mein Tourguide Till, der eigentlich anders heißt, und tritt in die Pedale. Am Samstag sortieren Supermärkte die meisten Lebensmittel aus den Regalen – und genau danach suchen wir.

Gut eine halbe Stunde radeln Till und ich durch die kalte Oktobernacht. Schließlich fahren wir hinter einen Plus-Supermarkt und stellen unsere Räder vor der Laderampe ab. Im grellen Scheinwerferlicht der Supermarktbeleuchtung erstrahlen Biotonnen und zwei Müllcontainer: unser erstes Ziel.

Till ist ausgerüstet wie ein Profi. Aber dieses Mal braucht er seine Handschuhe und die Taschenlampe nicht. Die Mülltonnen sind gut ausgeleuchtet und scherbenfrei. Sie sehen aus, wie die Tonnen bei mir im Innenhof. Aber der Müll von Supermärkten wird öfter geleert als der von Privathaushalten. Deswegen riecht es hier ganz gut, fast als stünden wir im Laden. Die Spannung steigt, Till klappt den ersten Deckel nach hinten. Unter Schnittblumen liegen gut zehn Becher Buttermilch. Alle sind verschlossen und laut Aufdruck noch mindestens drei Tage haltbar – ein Volltreffer.

Till arbeitet sich durch die Tonne. Unter Salatblättern und Radieschen findet er noch ein paar Bananen und Fruchtquark. Aus dem Sechser-Pack ist ein Becher beschädigt, die anderen fünf sortiert er erst in eine dünne Gemüseplastiktüte und dann in seine dunkelblaue Fahrradtasche. In der nächsten Biotonne finden wir eine offene Tüte Tortillachips. "Wahrscheinlich der Mittagssnack der Angestellten", sagt Till. Auch sie wandert in die Tasche. Drei Pakete Weintrauben lässt er zurück und legt sie ganz nach oben in die Tonne, "Für den Nächsten der vorbeikommt". Containern ist beliebt in Berlin.

Die Motive, sich von Supermarktabfällen zu ernähren, können sehr unterschiedlich sein. Viele Leute haben schlicht und einfach nicht genug Geld sich Lebensmittel im Laden zu kaufen. Doch Till zählt sich zu der Gruppe der politisch containernden Menschen. Lebensmittel aus den Tonnen zu fischen, ist seine Art die Konsumgesellschaft zu kritisieren.

Der 29 Jahre alte Till, sieht einen weiteren Vorteil im Containern darin, dass er so weniger Zeit mit Lohnarbeit verschwendet. Diese Zeit nutzt er lieber für politische Aktivitäten. Sein Wissen aus dem Biologiestudium hilft ihm beim Schreiben von Aufsätzen für einen kleinen linken Verlag. Dass täglich so viele genießbare Lebensmittel sinnlos weggeschmissen werden, regt ihn auf. Sobald eine Banane ein paar braune Stelle hat, landet sie im Müll. Alle Milchprodukte im Regal müssen mindestens noch zwei Tage haltbar sein. "Die Kunden verlangen das halt so." Wer will schon Buttermilch kaufen, die am nächsten Tag abläuft?

Wir fahren weiter zum nächsten Plus-Markt und finden Diätjoghurtdrinks und Vollmilch. Eigentlich ernährt sich Till vegan: keine Eier, Milch, nichts, was von Tieren stammt. Bei Produkten aus dem Container macht er allerdings eine Ausnahme. Container-vegan nennt er das. Container-Veganer dürfen alles essen, was sie aus dem Mülleimer retten – auch Tierprodukte. Denn wer nichts kauft, steigert auch nicht die Nachfrage nach Milch und Käse. Und die Produkte aus der Tonne würden ja sowieso weggeworfen.

Beim dritten Supermarkt trennt uns schließlich ein zwei Meter hoher Gitterzaun von den Mülltonnen. Für Till kein Problem, seine Wanderschuhe zwischen die Metallstreben klemmend, klettert er drüber. Warum zäunen Supermärkte ihre Abfälle eigentlich ein, frage ich mich.

Später erklärt es mir Andreas Krämer, der stellvertretende Pressesprecher der Rewe Group. Produkte, die zwar kurz vorm Ablaufen sind, aber trotzdem problemlos gegessen werden können, gibt Rewe an soziale Einrichtungen weiter. Der Verein Berliner Tafel holt zum Beispiel monatlich 250 Tonnen Lebensmittel von Supermärkten ab und gibt sie an Suppenküchen, Frauenhäuser und Beratungsstellen weiter. In den Container wandern also nur Lebensmittel, die schnell verderben. Dass jemand durch den Verzehr dieser Produkte möglicherweise erkranke, könne der Markt laut Krämer weder moralisch noch juristisch verantworten. Deswegen ist Containern illegal. Alle Produkte die Till in dieser Nacht aus den Mülleimern fischt sind Diebesgut. Wenn er über einen Zaun klettert, ist das sogar Hausfriedensbruch.

In dieser Nacht begeht Till bei drei von zehn Supermärkten Hausfriedensbruch. Doch es lohnt sich. Da in Berlin so viele Leute nachts hinter den Supermärkten im Müll wühlen, warten die besten Funde hinter Zäunen. In einem der eingezäunten Container findet er eine Wassermelone, drei Tuben Salatcreme und ein Paket Eier – von sechs Eiern ist nur eins beschädigt.

Die Tour ist mittlerweile von einer Safari zur Schatzsuche geworden. Till hat die Taschenlampe mit einem Riemen an der Stirn befestigt. Damit sieht er aus wie ein Minenarbeiter. Und auch in mir kommt Abenteuerlust hoch. Ich schiebe Wache bei den Zaunaktionen und freue mich über jeden Fund. Ekelig ist unsere Müllsuche nicht. Till hört immer auf zu graben, bevor er zu den kompostartigen unteren Schichten vordringt. Er sortiert nur die frischen Produkte in die mitgebrachten kleinen Tüten in den Fahrradtaschen.

Unser Highlight des Abends finden wir kurz vor Mitternacht, gegen Ende der Tour: Eine Packung Bio-Kartoffelsalat, den kauft Till sich manchmal sogar im Laden. Containern ist für Till nämlich nur ein Standbein der Lebensmittelbeschaffung. Er möchte nicht davon abhängig sein, dass die Supermärkte Ware wegschmeißen. Das ist das größte Dilemma eines politisch containernden Menschen: Was wäre, wenn er eines Tages mit leeren Händen von so einer Tour heimkehrte? Till würde sich freuen: "Das hieße, dass die Gesellschaft eine bessere wäre, weil keine essbaren Lebensmittel mehr wegschmissen würden." Bisher war das noch nie der Fall.

Und während wir darüber nachdenken, radeln wir zurück zu unserem Treffpunkt, dem McDonalds in Treptow. Jetzt mit zwei prall gefüllten Fahrradtaschen und einem vollem Wanderrucksack. Auch in meinen  Taschen liegt ein kleiner Schatz: Brot, Obst und Buttermilch. Das hat mir Till geschenkt. "Für dein Frühstück".

Auch wichtig:

Die Möhre ist das Medium - Ein Bauernmarkt in Beirut will die Libanesen einen

Milch ist doof - Sechs gute Gründe, warum wir Milch noch nie leiden konnten

Drüber reden? - Dieser Artikel wird hier im Forum diskutiert

Nach Hause - Zuender. Das Netzmagazin


 
 



 

//  Startseite //  // Politik // Kultur // Leben // Schwerpunkte // Bildergalerien //  // Adam Green // Redaktionsblog // Rezeptor // Markus Kavka // Selim Oezdogan // Sonntagstexte //  // Zitat des Tages // Spiele //  //
//  IMPRESSUM //

 

ZUM SEITENANFANG