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Public Viewing

Ausgehen ohne reden müssen

Früher hat man sonntags den Tatort mit Mama und Papa auf dem Sofa geguckt. Heute geht man dazu in den Club. Drei Mal öffentlicher Medienkonsum in Hamburg.

Sonntag, 20.23 Uhr, Pony Bar im Hamburger Grindelviertel. Im Hinterzimmer, hinter einer schweren Gardine, wird ein Mann erschossen. Fünfzehn Menschen machen große Augen. Aber es ist kein Mord, sondern eine Folge Polizeiruf 110 . Dienstag, 21.06 Uhr. Im Indie-Club Grüner Jäger im Schanzenviertel grummelt das Publikum, weil der DVD-Player nicht funktioniert. Eigentlich wollten sie drei Folgen der Achziger Jahre-Serie Monaco Franze sehen, gerade starren sie nur auf eine leere Leinwand. Zur selben Zeit schläft in der Barbarabar in St.Pauli ein Pärchen auf einem Samtsofa, während Justus Jonas von den Drei ??? geknebelt wird.

Der Spaß nennt sich Public Viewing und ist seit der Fußball-Weltmeisterschaft ganz groß. Nachdem vergangenes Jahr Tausende Zuschauer die Spiele gemeinsam auf Großbildschirmen in der Stadt verfolgten, wanderte das öffentliche Fernsehschauen in die Clubs. Wo sonst getanzt, gesungen und geschwitzt wird, versammelt man sich jetzt zum stillsitzen und hört Hörspiele. Vor allem die Unterhaltungsklassiker aus Kindertagen stehen auf dem Programm.

In der Barbarabar streuen zwei Diskokugeln Lichtpunkte auf die roten Plüschwände. Oliver Günther und Angelika Schäfer sind zum ersten Mal beim Hörspielabend. "Zuhause hören wir Hörspiele meistens vor dem Einschlafen", sagt Angelika. "Wir wollten mal in der Gruppe hören".

Barfrau Julia legt am DJ-Pult eine Folge Drei ??? ein. Die Stimmen von Justus, Peter und Bob dringen durch die kleine Bar bis auf die Straße. Dreißig Meter entfernt blinken auf der Reeperbahn die Leuchtreklamen, Strip-Lokale und Sexkinos. In der Barbarabar ist es kuschelig. Knapp dreißig Hörspielfans lümmeln in der Bar, darunter viele Mädchen-Cliquen und Pärchen. Sie sitzen auf dem Kicker, trinken Bionade oder Cola. Und sie schweigen.. "Die Leute kommen wegen der Gesellschaft her", sagt Barfrau Julia, "und es ist ja auch angenehm, nicht immer Musik hören zu müssen".

Das findet auch Christian Wüllner. Der 26-jährige Student sitzt in der Pony Bar und guckt Polizeiruf 110 . "Public Viewing ist wie Ausgehen, ohne reden zu müssen," sagt er und gähnt. "Das ist gut, wenn man noch völlig geschrottet ist von Samstagnacht." Natürlich könnte er mit seinem Kumpel auch zu Hause die ARD einschalten. So würden es seine Eltern machen. Er will aber auch Sonntagabend unterwegs sein. Kay, der Chef der Pony Bar , lässt am Kickertisch den Plastikball klackern, während seine Gäste fernsehen. "Ich verstehe gar nicht, welchen Reiz es hat, den Polizeiruf 110 in der Kneipe zu gucken," sagt er und zieht die Schultern hoch. "Aber es kommt gut an. Vielleicht ist es wie Weggehen mit Fernsehen."

Stefanie Bierbaum, Marktforscherin vom Hamburger Trendbüro , glaubt im Public Viewing eine Sehnsucht nach Gemeinschaft zu erkennen: "Früher haben alle Leute die gleichen Sendungen im Fernsehen gesehen und konnten am nächsten Tag darüber reden. Das Verbindende, das das Fernsehen verloren hat, schafft man sich nun künstlich in einem TV-Ereignis wie dem gemeinsamen Tatort -Abend." Dass die Public Viewer ausschließlich Serien von gestern schauen, ist für sie nicht verwunderlich: "Das sind Dinge, die sie an ihre Kindheit, Geborgenheit und Wärme erinnern". Früher fand der Fernsehabend samstags im Kreis der Familie statt. Heute treffe man sich eben mit seiner Ersatzfamilie im Club.

Im Grünen Jäger sitzt Franziska Domeier und knabbert an einer Salzstange. Gleich soll die zweite Folge von Monaco Franze starten, aber die Fernbedienung funktioniert nicht. Die 23-Jährige macht in Hamburg gerade ein Praktikum. In ihrer Einzimmerwohnung wartet niemand auf sie. Im Grünen Jäger hat sie Menschen um sich. Die DVD startet, die Titelmelodie setzt ein. Franziska setzt ihre Brille wieder auf. "Ist doch toll hier", sagt sie. "Vielleicht lerne ich hier Leute kennen. Ganz ohne Zwang." Dann lehnt sie sich auf dem großen Sofa zurück. Neben ihr sitzen zwei Jungs in ihrem Alter. Sie wird mit ihnen den ganzen Abend kein Wort wechseln.

Auch die Werbung hat die Sehnsucht nach Gemeinschaft in der Großstadt erkannt. Eine Tabakmarke lud dieses Jahr in Berlin und Hamburg zu öffentlichen Picknicks im Treptower Park und auf den Alsterwiesen ein. Mit Guerillareklame lockte sie jedes Mal bis zu 300 Szeneleute. Einander fremde Grafikdesigner, Schauspieler und Musiker teilten sich Picknick-Körbe, in denen Bionade, hausgemachte Wurst in Gläschen und Biobrot steckten – und kamen darüber ins Gespräch. "Bei einem gemütlichen Picknick sollen unsere Großstadtkunden sich unterhalten", sagt ein Sprecher der Firma. "Auf subtile Weise kommunizieren wir so unsere Markenwerte." Die Kundenbindung lässt sich der Konzern eine fast sechsstellige Summe kosten.

In der Barbarabar hat die dritte Hörspielstunde begonnen. Angelika ist auf dem Sofa eingeschlafen – um 22:37 Uhr in einer Bar auf dem Kiez. Oliver sitzt neben ihr und versucht zuzuhören, aber immer öfter zwängt sich ein Gähnen in sein Gesicht. Schließlich nimmt er Angelikas Hand und zieht sie aus den Tiefen des Sofas. Sie gehen nach Hause, zu ihrer eigenen Hörspiel-Sammlung.

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