Gegen 17.30 Uhr eröffnet Jean Ziegler in der völlig überfüllten Rostocker Nikolaikirche den Alternativgipfel. Seine Fans beglückt er mit Seitenhieben auf eine korrupte Schweiz, einen rückständigen Papst und die „Menschenfreunde“, die in den Konzernen und Regierungen sitzen würden. Er zitiert Willy Brandt und Karl Marx. Ziegler wollte einst Che Guevara in den Befreiungskampf folgen, was dieser allerdings ablehnte.
Er ist ein Entertainer und doch gelingt es ihm, seine Kritik mit Hilfe von zahlreichen Fakten und Beispielen glaubwürdig zu machen. Das UNO-Amt verleiht ihm zusätzliche moralische Autorität. Er selbst sagt aber: „Ich hasse Moral.“ Es gehe um die analytische Vernunft.
Doch ein überzeugendes Alternativkonzept zur neoliberalen Globalisierung kann auch er nicht bieten: „Wir wissen nur, was wir nicht wollen.“ Die Linke sei auch gar nicht in der Bringschuld. Ziegler führt als Begründung die französische Revolution an: Wäre das ZDF damals beim Ansturm auf die Bastille dabei gewesen und hätte einen Revolutionär gefragt, wie er sich die Verfassung der Ersten Republik vorgestellte, hätte dieser auch nicht antworten können. Das Publikum lacht erleichtert. Er gibt Mut, macht Hoffnung, dass die Ohnmacht der Globalisierungskritiker nur ein Tal auf dem Weg zu einer gerechteren Weltordnung sein möge. Man möchte ihm glauben.
Doch dass die richtige Abzweigung auf diesem Weg nur sehr schwer auszumachen ist, zeigen die Wortmeldungen einige Minuten später. Aus dem Publikum kommen Beschwerden: Man hätte doch bitteschön auch alternative Stromerzeugung, Kriege und AIDS ansprechen sollen. Und nicht nur Hunger, Konzernpolitik und Subventionen. Außerdem solle man über konkreten Widerstand nachdenken: Ein EU-weiter Generalstreik wird angeregt, eine Zusammenarbeit mit dem venezolanischen Präsidenten Chavez, genauso wie die Unterstützung der geplanten Straßenblockaden im benachbarten Bad Doberan.
Wolang jetzt? Jean Ziegler antwortet mit einem Zitat des US-Amerikanischen Dichters Walt Whitman: „Er erwachte in der Morgendämmerung und ging der Sonne entgegen ... hinkend.“ Er fügt hinzu: „Die Menschenrechte sind der Horizont.“