LÄRM
Seid doch mal still!
Das Berliner "Projekt Dudelstopp" engagiert sich für die Ruhe. Die Maximalforderung: Schmerzensgeld für Musik an öffentlichen Orten
Von Oskar Piegsa
Im Schatten des altehrwürdigen
KaDeWe
verkauft eine resolute Imbissmutti überteuerte Pommes. Das Bratfett brutzelt, Autos rauschen vorbei. Regentropfen hämmern penetrant auf das Dach des Büdchens. Man hört alles, nur keine Musik. Der Imbiss Essen und Trinken ist ein kleines Paradies. Nicht unbedingt für Gourmets, aber für Leute mit Hang zur Stille. In Ruhe essen zu können, ist selten geworden, seit an den meisten Imbissbuden passend zum kulinarischen Programm Schlager, Sirtaki oder Tarkan dröhnt.
Gegenüber der Pommesbude haben sich Katharina Gebhardt und Hartmut Lühr unter das Vordach des repräsentativen GEMA-Gebäudes an der Bayreuther Straße zurückgezogen. "Wir waren hier um die Ecke Mittagessen", sagt Hartmut Lühr. "Wenn ich ehrlich bin, war die Musik ganz gut, aber darum geht es uns nicht." Der Soziologe und die Schauspielerin haben eine Mission. Während andere Aktivisten mit großem Tamtam, Megaphonen und Lautsprecherwagen gegen die Ungerechtigkeiten in der Welt ankämpfen, engagieren sich Katharina Gebhardt und Hartmut Lühr ganz heimlich, still und leise – für ein bisschen mehr öffentliche Ruhe. Sie haben zusammen mit einer Handvoll Mitstreitern das
"Projekt Dudelstopp"
ins Leben gerufen. Ihr Anliegen: "Musik ohne Zwang", das Ende der musikalischen Dauerbeschallung in Supermärkten und Fitnesscentern, an Imbissbuden und in Szene-Kneipen.
"Ich bin überhaupt nicht musikfeindlich", sagt Katharina Gebhardt. "Im Auto höre ich gern Klassikradio. Und ich mag auch die Hits der Sechziger, Siebziger und Achtziger Jahre – zu Hause." Hartmut Lühr hört privat gern Independent, Alternative und slowenischen Kunstrock. "Aber es ist dieses Moment der Unfreiwilligkeit, das mich stört", sagt er. Und Gebhardt ergänzt: "Im Supermarkt ist die Musik ein einziger Brei, ich höre da keine Lieder raus, die mir etwas bedeuten".
Nicht nur in Berliner Supermärkten hat man keine Ruhe mehr. In Hamburg wird seit einigen Jahren der Hauptbahnhof und eine zunehmende Anzahl von S- und U-Bahn-Haltestellen mit klassischer Musik beschallt. Die Verantwortlichen glauben, dass so das Sicherheitsgefühl der Passagiere erhöht werde, Kritiker behaupten, mit der Musik sollen vor allem Obdachlose vertrieben werden. Auch in München gibt es seit 2001 beschallte U-Bahn-Haltestellen. "Es gibt immer mehr Musik im öffentlichen Raum ", sagt Lühr. "Aber wo ist die Gegenbewegung?" Weil es sie nicht gab, hat er sie kurzerhand selbst gegründet. Deshalb stehen er und Katharina Gebhardt hier, im gelben "Projekt Dudelstopp"-T-Shirt, vor der Bezirksverwaltung der GEMA.
Die
Gesellschaft für musikalische Aufführungs- und mechanische Vervielfältigungsrechte
verdient gut daran, dass Musik zunehmend in den öffentlichen Raum drängt. Im Jahr 2005 verzeichnete die GEMA einen Umsatzzuwachs von 5,2 Prozent. Immer wenn Musik öffentlich aufgeführt wird, egal ob auf einer Abiparty, dem Oktoberfest, Groß-Raum-Rave oder in der Eckkneipe, kassiert die GEMA dafür Geld. Dieses verteilt sie dann an ihre Mitglieder: Musiker, Texter, Musikverlage, kurz: die Urheber der Musik, als deren Interessenvertreterin sie auftritt.
An die GEMA haben die beiden Aktivisten von "Projekt Dudelstopp" eine ganz konkrete Forderung, die sie auf ihrer Zwei-Personen-Demo und durch ein
Video auf YouTube
stellen: "Es geht uns um die Umkehr der Vergütung. Bezahlt werden sollen nicht die Verursacher von Lärm, sondern die Opfer", so Lühr. Der Supermarkt-Filialleiter solle in Zukunft über die GEMA also nicht die Künstler bezahlen, deren Musik er in seinem Laden spielt, sondern die Kunden entschädigen, denen er diese Musik aufzwingt. Natürlich sei das satirisch überspitzt, sagt Lühr. Das Anliegen aber sei durchaus ernst: "Die Menschen werden immer egoistischer und zwingen sich gegenseitig ihre Musik auf. Dabei haben wir alle ein Recht auf Ruhe".
Das "Projekt Dudelstopp" ist nicht die einzige Initiative, die zu einem Umdenken in Sachen Musik auffordert. Aus dem Hamburger Raum kommt
"Pipe Down"
. "Lautsprecher aus!", fordert der Verein, der in Komiker Didi Hallervorden und Altkanzler Helmut Schmidt einige prominente Unterstützer gefunden hat und mit den Berliner Dudelstoppern im Kontakt steht. Gegründet wurde "Pipe Down" von Harald Fiedler, einem 76-jährigen Pensionär. "Unsere Generation hat’s aber auch gern mal leise", sagt die fünfzig Jahre jüngere Katharina Gebhardt.
Im vergangenen Jahr hat der englische Musiker und Künstler
Bill Drummond
zudem den
No Music Day
ausgerufen. Geht es nach Drummond, sollen von nun an jedes Jahr am 21. November die Lautsprecher verstummen, die iPod-Akkus ungeladen und die Tourbusse in der Garage bleiben. Beim ersten Anlauf im vergangenen November beteiligte sich immerhin der Londoner Radiosender
Resonance FM
und spielte einen Tag lang keine Musik. Etwas Ähnliches hat nun auch Hartmut Lühr vor, wenn das "Projekt Dudelstopp" in die nächste Runde geht: Berliner Supermärkte und Fitnesscenter sollen diesen Sommer eine symbolische Stunde lang auf die Beschallung ihrer Gäste verzichten.
Wellen schlägt das "Projekt Dudelstopp" bisher vor allem im Internet. Fast 4000 Besucher haben in den drei Wochen seit Projektstart das YouTube-Video angeschaut. Hartmut Lühr freut sich vor allem darüber, dass die Diskussion um "Musik ohne Zwang" in den Kommentaren und Blogs begonnen hat. Auf der MySpace-Seite von
"Projekt Dudelstopp"
haben sich sogar die offiziellen Seiten der Bands
Rosenstolz
und
Silbermond
vernetzt – Dudelmusiker par excellence, könnte man meinen. "Mir ist klar, dass das nicht die Bands selbst machen, sondern Fanclubs oder Praktikanten", sagt Lühr, "Aber das kann trotzdem nicht völlig gegen den Willen der Bands sein. Ich sehe das als Geste, dass die Dauerbeschallung mit ihrer Musik nicht immer im Sinne der Bands ist."
Im echten Leben, an der Bayreuther Straße, hält sich der Zuspruch derweil in Grenzen. Passanten verirren sich kaum auf die verregnete Straße, um von den beiden Dudelstoppern angesprochen zu werden. Der Pförtner im GEMA-Gebäude nimmt die Zwei-Personen-Demo gelangweilt zur Kenntnis. Immerhin: Ab und zu kommt ein Journalist vorbei, um der Graswurzelbewegung beim Wachsen zu zuschauen. Das "Projekt Dudelstopp" ist auch ein Medienexperiment: reichen zwei Leute, ein parodistisches YouTube-Video und eine Pressemitteilung aus, um Wahrnehmung zu erzeugen und eine öffentliche Diskussionen anzustoßen? Lühr glaubt an den Erfolg. "Wir bleiben jetzt noch ein bisschen hier stehen", sagt er. Vielleicht hilft es ja was.
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