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Ungarn

Allein mit Whitney

Elektronische Musik in Ungarn? Frag mal Dr. Alban. Hier singen die Scorpions noch immer ihr "Wind of Change". Doch seit ein paar Jahren gibt es in Budapest eine kleine Szene.

Die Halteschlaufen in der Budapester U-Bahn sind aus Rindsleder. Die Fahrkarten-Automaten fressen Münzen ohne Gegenleistung oder spucken zu wenig Wechselgeld aus. Die Einwohner dieser Zwei-Millionen-Stadt führen sich auch siebzehn Jahre nach dem Fall des Eisernen Vorhangs auf, als lebten sie in Wiesbaden. Oder Celle, einer dieser mittelmäßigen deutschen Städte. Hier zu leben heißt, im Glitzersteinchen-Look zu McDonalds zu gehen und Whitney Houston zu hören. Whitney Houston läuft überall und McDonalds gab es schon zu Ostblock-Zeiten. Die einzigen, die von diesem Standard abweichen, sind die Hardrocker – sie tragen lange Haare, Kunstlederjeans und Bierbauch und sehen damit aus wie alle anderen Hardrocker auf der Welt.

Das Land ist seit 2004 Mitglied der EU und sucht immer noch Anschluss. Während in den benachbarten ehemaligen Ostblockstaaten, etwa in Slowenien und Tschechien, die Club- und Kunstszene boomt, ist es auch in der Hauptstadt Ungarns nicht leicht, die Subkultur zu finden.

Der Plattenladen Akt.Records drückt sich gemütlich in die hinterste Ecke eines Hinterhofs in der Innenstadt. Der Besitzer István Kántor raucht Pfeife, sein Angebot besteht aus Freejazz- und Minimaltechno-Alben. Wiederveröffentlichungen des Saxophonisten Albert Ayler stehen neben der neusten Maxi des Kölner Minimal-Labels Kompakt . Ob er auch ungarische Labels führe? Kaum. Das bekannteste Label für elektronische Tanzmusik sei Ugar gewesen, erzählt er. Die hätten ihr Budapester Büro im Jahr 2004 aber geschlossen und arbeiteten auf kleiner Flamme von Deutschland aus weiter. Begeistert zeigt er mir eine Platte von DJ Bootsie, die auf Ugar erschienen ist. Der Track Horseride Towards the Abyss , eine Verballhornung der ungarischen Volkstänze von Bela Bartok, sei auf mehreren internationalen Compilatons vertreten. „Bartok ist der berühmteste ungarische Komponist. Jetzt kann man zu ihm raven.“ Statt um Plattenfirmen bilde sich die Szene eher um Webseiten wie minimalmusic.hu . Dort wird der freitägliche Mono-Club beworben, in dem auch mal deutsche DJs wie ND Baumecker oder Matthias Tanzmann auflegen.

Die elektronische Musikszene der Stadt teilt sich in drei Lager: akademische Computermusik aus dem Umfeld der Musikhochschule, Elektronika und Tanzmusik, von Goa (maximaler Zuspruch) bis Minimal (minimaler Zuspruch). Tanzmusik ist kommerziell und dekadent – das können Elektronika-Fans und die Akademie nicht leiden. Und die ersteren sind so anti-hedonistisch, dass sie keine Bar im Konzertsaal dulden – das können die Fans der Tanzmusik nicht leiden. Elektronika kann man außerdem leicht zu Hause am Computer machen – das kann die Akademie nicht leiden. Die Akademie wiederum versteift sich in spröder Konzeptualität – das kann niemand leiden. Trotz dieses ganzen Nicht-leiden-Könnens respektiert man sich gegenseitig, intensivere Zusammenarbeit ist aber ausgeschlossen.

András Nun ist Initiator des fünftägigen Elektronika-Festivals Ultrahang . Hauptberuflich kümmert er sich bei der Stiftung „ Autonomia“ um Selbsthilfeprojekte für Sinti und Roma. „Über elektronische Partymusik kann ich nicht sprechen, das interessiert mich nicht“, sagt er gleich zu Anfang. Mit Ultrahang will er einerseits dem heimischen Publikum zeigen, was sich derzeit in der internationalen Szene abspielt – denn von dieser ist Ungarn nach wie vor abgeschnitten. Andererseits sollen ungarische elektronische Musiker mal vor einem größeren Publikum spielen können. In den Räumen des Theaters „Merlin“ traten dieses Jahr neben vierzig internationalen Gästen wie Patrick Pulsinger, Lance Blister oder Bong-Ra fünfzehn ungarische Musiker auf. Jemand trug ein T-Shirt von Stüssy , er war aus Deutschland angereist. Die Musik, die hier gespielt wird, soll man nicht nebenbei hören, anstrengende Sprünge im Programm sind gewollt. Warum elektronische Musik in Ungarn so zäh in Gang kommt? András Nun glaubt, vor allem die Sprache sei schuld: „In Ungarn kannte man Black Sabbath oder Pink Floyd , aber es gab nie eine selbstständige Underground-Szene wie in der DDR, die sich ja an Westdeutschland orientieren konnte. Ich glaube, Ungarn hatte einfach sprachliche Anschlussprobleme.“

Das Problem ist also, dass das Land nicht zum indo-germanischen Sprachraum gehört? Wenn man mit Kulturschaffenden spricht, klagen sie unisono über zwei Dinge: Das Land sei isoliert und die Einzigen, die etwas auf die Beine stellten, seien Ungarn, die im Ausland gelebt haben und zurückkehren. „Ende der neunziger Jahre gab es verschiedene Leute, die Technofestivals im öffentlichen Raum veranstaltet haben, aber die brachten die Idee aus Deutschland mit,“ sagt Nun. Der Rest wartet und vertreibt sich dabei die Zeit mit Whitney Houston. Woran das liegt, kann keiner so genau sagen. András Nun macht die Geschichte verantwortlich: „Die Ungarn sind in einer sozialistischen Gesellschaft aufgewachsen, in der sie von oben mit allem versorgt wurden. Das prägt bis heute. Wenn die Partys schlecht sind, kommt niemand auf die Idee, selbst bessere zu organisieren.“ Auch das Internet helfe nur wenig, kritisiert Nun. Ungarische Musikfans nutzten es lieber, um günstig MP3s zu saugen, als ihre eigene Musik hochzuladen.

Da hakt Bipolar ein, ein Projekt der deutschen „Kulturstiftung des Bundes“. Das von Flóra Tálasi geleitete Programm fördert den Austausch zwischen Ungarn und Deutschland in fast allen kulturellen Bereichen – auch Musik. Dass deutsche Musiker und DJs beim diesjährigen Ultrahang -Festival in der Überzahl waren, ist also kein Zufall. Mit dem Geld von Bipolar schickte das Berliner Festival „Club Transmediale“ seine Künstler nach Ungarn, im Austausch waren im Februar mehrere ungarische Musiker in Berlin aufgetreten. „Für ungarische Künstler sind Einladungen ins Ausland die einzige Möglichkeit, international gehört zu werden“, sagt Nun. „Westliche Künstler-Agenturen meiden uns nach wie vor. Sie schicken ihre Musiker fast nie nach Ungarn auf Tour, selbst wenn sie Österreich oder Tschechien spielen. Genauso wenig kommen sie nach Ungarn, um neue Talente zu entdecken.“

Würde Bipolar sich nach dem ungarischen Volksgeschmack richten, dann müssten die Verantwortlichen eigentlich die Scorpions nach Budapest schicken. Die Alt-Rocker aus Hannover sind immer noch einer der heißesten deutschen Kulturexporte. Beim Workshop im Jugendkultur-Hotspot „Trafó“ könnten sie sich dann von den Ungarn Tipps abholen, wie man in Kunstlederröhrenjeans steigt.

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