Er war einer der bekanntesten deutschen Musikjournalisten, bevor seine Karriere in der Psychiatrie endete. Heute ist er Nachtportier und schreibt Bücher. Wie geht es Ihnen, Wolfgang Welt?
Fragen von Simone Deckner
Zuender: Herr Welt, bereits als junger Mann wollten sie Suhrkamp-Autor werden. Kommt die Veröffentlichung ihres Gesamtwerks nicht etwas spät?
Wolfgang Welt: Sie kommt spät, aber nicht zu spät. Wer weiß, was passiert wäre, wenn sie meine Sachen schon damals veröffentlicht hätten.
In den achtziger Jahren haben sie als Musikjournalist gearbeitet. Ihr erster Roman
Peggy Sue
erzählt von rastlosen Nächten, Tourneen mit Motörhead und der Jagd nach Frauen. Heute sind sie Nachtportier am Bochumer Schauspielhaus. Welches Leben gefällt Ihnen besser?
Eindeutig das langsame, das ich heute führe.
Warum?
Weil die Hektik mich verrückt gemacht hat. Im wahrsten Sinne des Wortes. Krankenhausreif. Wenn ich heute so ruhig vor mich hin dümpele, gefällt mir das.
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Stimmt es, dass Sie sich eingebildet haben, Sie seien der TV-Ölbaron J.R. Ewing?
Ja, ich dachte, die letzte
Dallas
-Folge würde gedreht, natürlich mit mir als J.R. in der Hauptrolle. Darum musste ich schnell nach London, zum British Forces Broadcasting Service (britischer Radiosender, d. Red.). Zum Glück habe ich das Ganze dann doch sein lassen, weil ich das Klavier, das ich unbedingt mitnehmen wollte, nicht beschaffen konnte.
Kurze Zeit danach kamen sie in die Psychiatrie, wo die Ärzte manische Depression und Schizophrenie feststellten – seither müssen sie Medikamente nehmen. Haben sie die eigentlich schon mal abgesetzt?
Das Lithium gegen die Depressionen nicht. Ich habe mal ein Neuroleptikum gegen die Schizophrenie abgesetzt. Da habe ich dann sofort einen Rückfall bekommen.
Keine gute Idee?
Ich fühlte mich auf einmal wieder so befreit. Zu befreit. Deshalb experimentiere ich nicht mehr rum. Ich nehme mein Zeugs, schon allein aus Rücksicht auf meine Familie.
Haben Sie damals geahnt, dass mit ihnen etwas nicht stimmen könnte?
Es gab da einen Zwischenfall, meine provozierte Kündigung im Plattenladen. Ich bin morgens aufgewacht und habe mir gedacht: Jetzt muss ich mal was schreiben.
Sie haben einen offenen Brief an den Chef der Firmenkette und alle Filialleiter aufgesetzt, in dem sie sich über das miese Management beschweren und mehr Geld fordern.
Da muss schon irgendwas los gewesen sein mit mir. Das macht ja kein normaler Mensch. Obwohl: Zum Inhalt stehe ich nach wie vor.
Sie hätten auch einfach kündigen können.
Das wollte ich aber nicht. Mir war klar, dass die mich nach dem Brief rausschmeißen. Das war Harakiri. Aber damals habe ich das als normal empfunden.
Sie waren insgesamt drei Mal in stationärer Behandlung. Danach war das Rock 'n' Roll-Leben vorbei.
Ja. Der
Musikexpress
und
Sounds
(deutsche Musikzeitschriften, d. Red.) sind zu dieser Zeit aus Hamburg weggegangen. Die wollten mich nicht mehr haben. Warum, weiß ich nicht.
Weil andere Leute am Ruder waren?
Nein, das waren dieselben. Zum Beispiel Bernhard Gockel, der heute Chefredakteur des
Rolling Stone
ist. Vielleicht steckten ja auch die Plattenfirmen dahinter. Die mochten mich seit meiner Geschichte über Heinz-Rudolf Kunze nicht mehr.
Sie haben ihn als „singender
Erhard Eppler
“ verhöhnt. Ist Ihnen das beim ersten Hören der Platte eingefallen?
Ich habe die Platte gar nicht gehört. Ich habe nur die Texte gelesen. Das mit dem Eppler fiel mir einfach beim Schreiben ein. Ich habe ja alle meine Artikel in einer halben Stunde geschrieben, spontan und schnell.
Peggy Sue
ist auch an 20 Nachmittagen entstanden.
Lesen Sie heute eigentlich noch Musikmagazine?
Ich kaufe mir den
Rolling Stone
. Aber ich lese da höchstens die Kritiken aus dem Backkatalog, die anderen Geschichten interessieren mich nicht.
Wie wichtig ist Ihnen Musik heute?
Ich höre abends auf der Arbeit zwei Stunden „Musik zum Träumen“ im Radio, langsame Instrumentalmusik. CDs kaufe ich mir nicht.
Und die letzte Platte, die sie gekauft haben?
Eine neue Compilation von Buddy Holly.
Mit moderner Musik haben sie gar nichts am Hut?
Das letzte war Nirvana und REM, aber das ist ja auch schon asbach.
Fehlt Ihnen die Musik nicht?
Nein. Wenn ich aufstehe, dann mache ich schon mal WDR 2 an. Aber die Neue von Xavier Naidoo brauche ich nicht.
In
Peggy Sue
laufen Sie ständig irgendwelchen Frauen hinterher. War das auch ein Antrieb, Musikjournalist zu werden – die Groupies?
Ja. Das war der Grund, berühmt werden zu wollen. Weil man damit Frauen beeindrucken kann. Ein paar Mal ist es mir dann ja auch gelungen.
Sie haben
Peggy Sue
einer Frau gewidmet. Hat Sie schon darauf reagiert?
Ja, sie hat mir geschrieben. Wir haben uns heute, nach 20 Jahren, das erste Mal wieder gesehen. Das war Magie!