Tommy the Clown und seine Tänzer schreien gegen Gewalt und Frust im Getto an. Hoffentlich versteht sie jemand.
Von Eva Achinger
Wie ein Donnerschlag grollt der Bass. Smurf schießt in die Luft. Sein junger, athletischer Körper rotiert um die eigene Achse, die Beats rütteln an seinem Körper wie Stromstöße. „Ooouhhh, Jesus“, kommentiert
Tommy the Clown
, der neben ihm steht. Smurf wirbelt weiter über die Bühne. Das Auge ist kaum fähig, seine rasend schnellen Bewegungen nachzuvollziehen. Überall zwischen den Köpfen sind Handy- und Kamerabildschirme zu sehen – ein sinnloser Versuch, den wilden Tänzer auf der Bühne nur für einen Moment zu bändigen.
Kurz danach kündigt Tommy den zweiten Teil des Abendprogramms an: Battlezone. Das bedeutet, dass Clowns and Krumps gegeneinander antreten. Ohne Waffen. Meist berühren sich die Gegner dabei nicht einmal. In diesem Ring zählt nur das akrobatische Können der Duellanten. Tommys DJ fährt die Regler wieder hoch, die Wände des Hamburger Grünspan-Clubs beben. „Little Miss versus Jazzzz“, zischt Tommy.
Dieser Clown war nicht immer Clown. Tommy, der mit bürgerlichem Namen Thomas Johnson heißt, war Drogenhändler in den Ghettos von South Los Angeles, bis er hinter Gittern landete. 1992, wieder in Freiheit, begann Tommy, als Hiphop-Clown kostümiert, auf Festen in den Armenvierteln von L.A. aufzutreten. Kinder und Jugendliche begannen seinen Tanzstil, das Clowning, nachzuahmen, bis Tommy eine ganze Horde Nachwuchs-Narren um sich gescharrt hatte.
Was auf den ersten Blick nach Klamauk aussieht, ist vielmehr eine Seelenreinigung. Clowning und das daraus entstandene
Krumping
sind dem
Breakdance
verwandte aggressive Freistil-Tanzarten, die vom rauen, gewaltgeprägten Ghettoleben erzählen. Für die Kinder ein Weg, ihren Frust auszudrücken – ohne körperliche oder Waffengewalt. Die Botschaft: Es gibt keinen Konflikt, den man nicht auf der Tanzfläche bereinigen kann. Tommy hat dafür eine Akademie gegründet, in der Ghettokinder das Clownen lernen, ihre Freizeit verbringen, Zuwendung erfahren.
Die winzige Little Miss streift die Kapuze vom Kopf und stürmt energisch zur Bühnenmitte. Links haben sich die Clowns versammelt und rechts die Krumps. Sie treffen auf der Bühne zusammen wie Gangs auf der Strasse. Das Mädchen bäumt sich auf und sagt ihrer Gegnerin Jazz gestikulierend den Kampf an. Ihr bunt bemaltes Gesicht ist entschlossen. Sie wirft den Kopf in den Nacken und beginnt furios zu tanzen.
Clowning ist inzwischen kein Untergrundphänomen mehr. Der Fotograf und Video-Regisseur
David LaChapelle
brachte die Bewegung in seinem Dokumentarfilm
Rize
2005 auf die Leinwand. Auf Tommys Frage, wie viele im Publikum den Film gesehen haben, hebt fast jeder Zweite im Grünspan die Hand. „Ich glaube, die Leute hier checken gar nicht, wie es in einem richtigen Ghetto zugeht“, meint Jasmin, die das Konzert mit einer Freundin besucht. „Viele sind bestimmt nur wegen dem ganzen Hip-Hop-Ding da.“ Sie selbst ist natürlich gekommen, weil sie Tommys Idee großartig findet. Nur 30 Euro Eintritt findet sie eigentlich zu teuer.
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Um dem Publikum das Desaster seiner Schützlinge ein wenig näher zu bringen, erzählt Tommy im ersten Teil der Show ihre Geschichten. Einer der jungen Clowns liegt auf dem Boden. In dieser Haltung habe der Kleine seine Großmutter gefunden, berichtet Tommy. „Sie atmete nicht mehr. Sie war die einzige, die sich um ihn gekümmert hat. Nach ihrem Tod war er allein. Heute tanzt er mit uns, er schreibt gute Noten und hat Selbstbewusstsein.“
In der Battlezone stimmt das Publikum mit Applaus über den Gewinner ab. Tommy interpretiert den Beifall und trifft dann die Entscheidung. Die Zuschauer im Grünspan sind begeistert. Andi kann sich kaum halten, stimmt kopf nickend dem Beat zu. „Ich find die Idee ganz groß“, sagt er. „Die Leute begreifen, dass das mehr ist als nur Ghetto-Getue. Der Typ hat wirklich ne Mission.“