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Eliten statt Nieten

Die Exzellenzinitiative für deutsche Hochschulen war der Überraschungserfolg 2006: viele Verlierer, wenige Gewinner. Eine Handvoll Hochschulen hat „Exzellenzcluster“ oder inoffizielle „Elite“-Titel eingesackt und macht sich auf Richtung Weltspitze. Das fördert den Wettbewerb. Das stärkt den Standort Deutschland. Und das Beste: Das war nur der Anfang! Die Spitzenförderung geht weiter, tritt den Eilmarsch durch die Institutionen an.

Januar

Kater, Konfetti im Haar und Krabbencocktail frei Haus: Am Neujahrsmorgen präsentiert die große Koalition ihre allumfassende „Exzellenzinitiative für Deutschland“ im Bundestag. Der Overhead-Projektor schnurrt, schillernde Folien und Phrasen schwirren durch den Raum: „Spitzen-Förderung trägt maßgeblich zur Verbesserung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit bei und stärkt den Standort Deutschland!“ Applaus. „Für die breite Masse wurde schon genug getan: Hartz IV, 1-Euro-Jobs, Riester-Rente… Jetzt reicht ’s! Jetzt fördern wir Eliten, keine Nieten!“ Tosender Applaus. „Soll doch, was ineffizient ist, verludern!“ Gejohle. „Mehr Wettbewerb! Mehr oben! Mehr unten!“ Stehende Ovationen. Vereinzelte „Stoppt die Ungleichmacherei“-Rufe gehen unter im Xylophon-Solo der Berliner Philharmonie, die hier vor Ort ihr Neujahrskonzert gibt. Mit einem Tusch wird die „Exzellenzinitiative für Deutschland“ verabschiedet.

Februar

Aber wie weiter? Das Drei-Säulen-Förderprogramm mit langwierigem Ausschreibungsverfahren, wie bei den Hochschulen praktiziert, ist kompliziert und schwer vermittelbar. Exzellenzcluster und Elite-Titel sollen schnell und medienwirksam unters Volk gebracht werden. Die Fördertöpfe stehen bereit. Aber wer darf sich daraus bedienen? Wer ist spitze? Der, der die beste Lobby hat? Das größte Maul? Die meisten Google-Treffer? Und wer darf darüber entscheiden? Eine Expertenkommission wird aus dem Boden gestampft, randvoll mit Repräsentanten der Gesellschaft, von der Ex-Talkmasterin Sabine Christiansen über Hellmuth Karasek bis zum Soziologen Michael Hartmann, Autor von Topmanager, die Rekrutierung einer Elite .

März

Die Kultur ist als Erste dran. Museen, Theater, Opern – vor allem die Opern, damit Deutschland auf dem Opernmarkt führend bleibt. Wozu hunderte Opernhäuser und Theater in öffentlicher Hand, wenn im Ausland eh nur das Bayreuther Festspielhaus und die Semperoper Ansehen genießen? Ein paar expandierende Elite-Opern bringen mehr als sämtliche Provinztempel von Chemnitz bis Bremen zusammen. Der Elite-Titel geht, neben Festspielhaus und Semperoper, an die Bayerische und Stuttgarter Staatsoper. Unter den Museen machen das Bayerische Nationalmuseum, das Bayerische Polizeimuseum und das Mercedes-Benz-Museum Stuttgart das Rennen sowie, dank der zähen Bauern-Lobby, das Eiermuseum in Schwabach. Prämierte Literaturhäuser und Kunstmuseen gibt es natürlich auch, aber das interessiert keinen.

April

Krankenhäuser, Altenheime und andere Entsorgungsbetriebe werden selektiert. Auch Elite-Friedhöfe werden gekürt, allen voran der Waldfriedhof München, der Stars wie Leni Riefenstahl bettet und es mit dem Westwood Village Memorial Park Cemetery in Los Angeles durchaus aufnehmen kann. Horst Köhler provoziert in seiner Frühjahrsansprache mit eigenwilligen Statements: „Deutschland – das sind wir alle“, und: „Das Volk zuerst“. „Der Mann ist unbequem! Sägt ihn ab!“, tönt es aus Regierungskreisen. Was dann auch geschieht.

Mai

Der Mai steht ganz im Zeichen der Landtagswahlen in Bremen. Vier Wochen erbitterter Wahlkampf, neben Plakaten und Flyern werden verstärkt Rund-SMS und Handy-Spots als Propagandaforen genutzt. „Kräfte bündeln“, „Prioritäten setzen“ lauten die Slogans, oder: „Keine Streuverluste“, „Verclustern, nicht verkrusten“. Die FDP präsentiert sich als die Partei der neuen Spitze und tönt: „Mut zur Vertikale“, und: „Die Guten ins Töpfchen, für den Rest kein Tröpfchen“. „Stoppt die Ungleichmacherei!“ fordert allein die LINKE, die DVU setzt während dessen auf „Selektion statt Integration“. Die beste Werbekampagne haben diesmal die GRÜNEN: Mit volksnahen Slogans wie „Auch Du bist Elite“ und „Spitzenförderung für alle“ gewinnen sie die Wahlen haushoch.

Juni

Die Kirchen werden selektiert: Je ein Cluster geht an das Erzbistum München und Freising, die Kathedrale St. Peter in Regensburg, den Kaiser- und Mariendom Speyer, die Domkirche St. Eberhard Stuttgart sowie den Kölner Dom. Der evangelische Kirchenverband mault und bekommt ein Trostcluster.

Juli

Sommerloch. Sonst nichts. Die Oberen Hunderttausend weilen auf dem Elite-Eiland Sylt, der Rest gibt sich mit Amrum, Norderney und Rügen zufrieden.

August

Nörgler gibt es überall, und so hat auch die Exzellenzinitiative ihre Feinde: Anti-Elite-Bewegungen, die behaupten, das ganze Konzept sei verfassungsfeindlich, ließe sich mit dem „Kulturauftrag“ der Länder und der „Daseinsvorsorge“ nicht vereinbaren. Neunmalkluge aus dem Dunstkreis um Kursbuch und konkret geißeln die Exzellenzinitiative als „elitistisch“. Die meisten Gegenrufe kommen aber aus dem Norden, gefolgt von einem Aufruf der Zeitungen: „Kein Mord an Deutschland-Nord“, unterzeichnet von namhaften norddeutschen Intellektuellen wie Günter Grass, Gerhard Delling, Theodor Storm und Otto Waalkes, bleibt aber ohne Folgen.

September

Warum nicht auch Elite-Kriege, wo der Begriff sowieso aus dem Militärischen stammt! Aber welche Auslandseinsätze fördern? Da fällt die Wahl schwer. Nicht nur in Afghanistan feiert die Bundeswehr Bombenerfolge, auch im Kongo, im Kosovo, in Bosnien, im Libanon und jetzt auch im Iran. Deshalb kriegt jedes Einsatzkommando ein Cluster. Müssen Kindergärten und Müllabfuhr eben leer ausgehen. Das ZDF wittert einen Themen-Trend und kürt in Johannes B. Kerners Rankingshow Unsere Besten die zehn beliebtesten Kriege der Deutschen. Auf dem 1. Platz landet der Dreißigjährige, dich gefolgt vom 2. Weltkrieg. Im Sonntag-Abend-Polit-Talk Günters Jauche entbrennt eine Debatte darüber, ob man die zu fördernden Eliten nur noch über Rankingshows bestimmen sollte. „Aber was versteht die Masse schon von Elite?“, fragt Habermas in die Runde, und damit ist das Thema auch wieder vom Tisch.

Oktober

Braucht Deutschland wirklich so viele Städte? Lieber aufs Kerngeschäft konzentrieren! Als Elite-Städte vorgeschlagen werden Baden-Baden, Heidelberg, Bad Homburg, München und Weimar. „Weimar?!“, murren manche. „Wegen der Ost-Quote.“ „Seit wann machen wir auf Quote und Mitleid?“ Weimar fliegt raus, Passau rutscht nach.

November

Was ist noch nicht selektiert? Verkehrsbetriebe. Arbeitsämter. Schulen. Rundfunkanstalten. Geschieht alles in einem Rutsch.

Dezember

„Exzellenzkrieg“ wird das Wort des Jahres. Eine Bilanz wird gezogen und lässt sich sehen: München produziert Nobelpreisverdächtige am laufenden Meter. Die Glitzerwelt von Bad Homburg steht der von Hollywood in nichts nach. Baden-Baden schafft es als mondänes Zockerparadies ins Lonely Planet Europe . Die mageren Jahre sind vorbei! Wir sind wieder wer, zwischen Alpen und Meer und vom Rhein bis zur Oder! Außer im Fußball. Denn, fast vergessen, Deutschland verpasst die EM-Qualifikation knapp.

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