Demografie
Speed-Dating in Pasewalk
Schluss mit Frauenmangel im Osten! Der Bürgermeister von Pasewalk und eine Paarungsberatung werden aktiv: Der Siebentage-Plan
von Ulrike Linzer
No future, no love – wer kann, haut ab aus Ostdeutschland, die jungen Frauen zuerst. Der Bürgermeister von Pasewalk (Mecklenburg/Vorpommern) will das ändern. Eine Paarungs-Beratung soll die restlichen Pasewalkerinnen zum Bleiben bewegen. Oder gar neue heranlocken.
Montag.
Tag eins:
Speed-Dating
in der Kreissporthalle. Dabei soll festgestellt werden, ob es in Pasewalk noch Single-Einwohnerinnen gibt und ob sie potentielle Bewerber bereits kennen – oder womöglich den einen oder anderen übersehen haben. 38 Frauen gehen an den Start, ebenso viele Männer, das erfordern die Regeln. Ein Kennenlerngespräch dauert sieben Minuten, nach dem Abfragen der Karrierechancen, Hobbys und eventuellen Kinderwünsche ertönt ein Gong und alle rücken einen Platz weiter. Nach 266 Minuten schweißtreibenden Flirtens haben sich Eberhard und Anneliese für einander entschieden und verlassen unter Applaus die Turnhalle.
Dienstag
. Der Verführungstechniker Robert "Magnum" Bednarek wird eingeflogen. Der 25-jährige Medizinstudent aus München verspricht
die perfekte Masche
. Nach dem Vorbild der amerikanischen Pick-Up-Artists (PUA) erklärt er in seinem Seminar das erfolgreiche Anbaggern in allen Lebenslagen. Beim Bäcker, an der Bushaltestelle oder in der Großraumdiskothek: Es kommt darauf an, der Coolste zu sein. Die Frau, die man begehrt, sei zu ignorieren oder mit kessen Sprüchen und Anti-Komplimenten zu traktieren. In einer angesagten Dart-Kneipe setzen die Teilnehmer ihre neu erlernte Theorie in die Tat um - mit einigem Erfolg. Die Wirtin spendiert für alle ein Herrengedeck, und zwei Dart-Spielerinnen lassen sich zu einem Turnier am folgenden Tag überreden.
Mittwoch
ist Praxistag: Die Karawane der Liebe trifft ein. Eine Busladung Frauen aus
Norden
, der ältesten Stadt Ostfrieslands, mit der die Pasewalker eine langjährige Städtepartnerschaft verbindet. Die von der Agentur angeworbenen Ladies sind überwiegend Singles, viele haben die Hoffnung aufgegeben, in ihrer Heimat den passenden Deckel zu finden.
Die Ostfriesinnen werden vor dem Rathaus in Empfang genommen und bekommen nach spanischem Vorbild eine rote Nelke überreicht. Dann machen sich alle auf den Weg, um die berühmte Eisengießerei zu besichtigen. Im Bistro am Markt gibt es Snacks und nach einigen Prosecci steigt die Stimmung enorm.
Am Nachmittag das Highlight des Besuchs:
Powerpoint-Karaoke
– ein Trend, der aus dem gar nicht so weit entfernten Berlin nach Pasewalk geschwappt ist. Jetzt zeigen die Männer ihr Improvisationstalent und überraschen ihre weiblichen Gäste mit Know-How.
Donnerstag.
Um zu erlernen, wie man eine Frau, wenn man sie hat, auch behalten kann, steht an diesem Tag ein Power-Seminar auf dem Programm.
Werner Tiki Küstenmacher
macht einen Abstecher von seiner Lesereise und kommt nach Pasewalk, um seinen aktuellen Selbsthilfe-Bestseller
Simplify your Love
vorzustellen. Der gelernte Pfarrer aus München spricht vom Turm, der am Beginn einer jeden Beziehung die Persönlichkeit symbolisiert. Ein Liebeszelt stehe für die Phase der Verliebtheit, in dieser leichten und improvisierten Behausung lasse sich die Welt wunderbar vergessen. Aber das Zelt sei nicht für die Dauer gemacht: Im Gutshof beginne die Phase der Konsolidierung. Hier verfestigten sich die Strukturen und die Liebenden passten sich aneinander an. Die Liebe müsse sich im Alltag bewähren. Und dann der Finsterwald: Er stehe für Krisen, Probleme und Hindernisse. Am Ende des Weges winke der Einzug ins Schloss, hier sei die Liebe durch nichts mehr zu erschüttern. Den Pasewalkern rauchen die Köpfe, aber sie sind hoch motiviert, diese Erkenntnisse in ihren künftigen Partnerschaften umzusetzen.
Am Freitag
ist Gegenbesuch in Norden angesagt. Die Männer, die am Mittwoch eine Telefonnummer oder E-Mailadresse eingeheimst haben, dürfen heute an der Fahrt nach Ostfriesland teilnehmen. Dort werden die Pasewalker zunächst von ihren Dates in das örtliche
Teemuseum
geführt, bevor sie dann zum Tanz auf dem größten baumbestandenen Marktplatz Europas aufmarschieren. Doch plötzlich ist der Winter da! 525 Quadratmeter Markt sind nun ebensoviele Quadratmeter Eisfläche. Doch die beste Paarungs-Agentur der Branche wäre nicht die beste Paarungs-Agentur der Branche wenn sie nicht improvisieren könnte. Binnen einer halben Stunde stehen für alle Schlittschuhe parat. Viele Paare kommen sich stürzend näher und der Ausflug wird zum vollen Erfolg. Zehn Männer sind unter der Haube. Allerdings wollen neun von ihnen lieber jetzt als später die Liebeszelte abreißen und in Norden direkt auf die Gutshöfe ihrer Herzensdamen ziehen. Nur mit Mühe kann der Bürgermeister sie überreden, wieder in den Bus zu steigen. Denn:
Am Samstag
haben sich die Pasewalker nach all dem Geflirte und Gerede eine Verschnaufpause verdient. Sie dürfen mit ihren Kumpels Fußball gucken, Discobowlen oder einfach nur ein paar Bierchen zischen.
Sonntag
. Am letzten Tag geht es noch einmal zur Sache. In einer Podiumsdiskussion wird zum ersten Mal öffentlich über die Einführung der Polygamie in Pasewalk nachgedacht. Wenn die Landflucht nicht aufgehalten werden kann, könnte in Zukunft eine Frau für mehrere Männer zuständig sein. Die Veranstaltung endet in einer schrecklichen Prügelei. Ausgerechnet Polygamie! rufen die einen. Wieso nur die Frauen? die anderen. Der Bürgermeister sieht die ganze schöne Verführungswoche in einem Trümmerhaufen untergehen und ruft verzweifelt nach dem smarten Manager von der besten Paarungsagentur der Branche. Doch der hat unterdessen die Gemeindekasse ausgeräumt und sitzt mit hundertzweiundachtzig Euro Gewerbesteuer schon im Regionalexpress nach Berlin. Und händchenhaltend neben ihm Robert "Magnum" Bednarek.
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