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Liebe

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Wer mit 30 noch nicht Karriere gemacht hat, kann einpacken? Ist mir egal. Ich ziehe lieber meinem Herzen hinterher und vergeude wichtige Jahre meines Lebens

Paris ist kein einfaches Pflaster, wenn man die Codes dieser Stadt nicht kennt. Ich bin erst kürzlich hier hergezogen und habe nicht viel mehr vorzuweisen als ein rostiges Schulfranzösisch, und einen eher verwinkelt-verwurzelten Lebenslauf ohne erkennbare Affinität zu Frankreich. Ich lebe jetzt hier, weil ich keine Lust mehr auf die Distanzbeziehung zu meiner Freundin hatte. Ein ausgelaufener Vertrag für einen doofen Job in einer öden Stadt in Deutschland machte mir die Entscheidung einfach, und wir leben jetzt zusammen.

Mit dieser Entscheidung bin ich nicht allein. In Paris trifft  man viele Leute, die das Gleiche gewagt haben – oder wagen wollen. Auf einer Party habe ich kürzlich Baptiste getroffen, er will demnächst zu seiner Freundin nach Deutschland ziehen. Sie ist schwanger, er wird bald junger Vater. Wir tauschen also das Land - ein Franzose kommt nach Frankfurt und ein Deutscher zieht nach Paris. Unsere Gründe dafür sind altmodisch: die Liebe und die Gründung einer Familie. Dafür muss bei uns die Selbstverwirklichung im Traumjob erst mal warten.

Baptiste ist auf der Suche nach Arbeit in Deutschland. Noch arbeitet er in Paris für die Air France und hofft auf eine Übernahme durch die Filiale in Frankfurt. Doch ob das funktionieren wird, weiß er nicht. Sein Deutsch ist jedenfalls sehr gut, die Chancen sind also nicht so schlecht. Auf seine zahlreichen Bewerbungen hat er allerdings meistens überhaupt keine Antwort, nicht einmal eine Absage erhalten. Sie wurden einfach ignoriert. Ich kenne diese Erfahrung. Die miesen Arbeitgeber in Paris und Frankfurt scheinen sich in Sachen Ignoranz nicht viel zu schenken. Wir teilen die gleiche Wut, denn es ist demütigend, so kalt abgewiesen zu werden.

Ich arbeite in Paris jetzt erst mal halbtags in einem etwas zwielichtigen Callcenter, das bei Zahnärzten aus aller Welt Altgold aufkauft und dessen Mutterkonzern alle paar Jahre den Namen wechselt. Der Laden ist die erste Anlaufstelle für Deutsche, Spanier und Italiener, die nur leidlich oder gar nicht Französisch sprechen. Die meisten, die hier arbeiten, sind zum Studieren oder wie ich wegen der Beziehung hergezogen. Ich nenne unsere Arbeitsstelle das "Callcenter of Death", denn es kostet mich große Überwindung, jeden Morgen in die triste Metro zu steigen, hierher zu kommen und am Telefon Menschen irgend etwas aufzuschwatzen. Baptiste überlegt sich derweil, erstmal als Spieletester für Nintendo zu arbeiten – ob man nach acht Stunden Videospielen wohl durchdreht?

Eigentlich ist Baptiste Musiker und ich bin Journalist. Obwohl wir von unseren eigentlichen Berufen vorerst nicht leben können, sind wir zumindest in der Lage, unsere Frustrationen kreativ umzusetzen – Baptiste schreibt Songs , ich schreibe Texte. Das Leben bietet eine Menge intensiver Erfahrungen, die verarbeitet werden müssen, wenn alte Strukturen aufbrechen und neue nur langsam entstehen.

Während Baptiste und ich unsere Erfahrungen austauschen, merken wir beide, dass wir mit unseren Entscheidungen Brüder im Geiste sind. Wir schwimmen gegen den Strom, fangen irgendwie noch mal bei null an, vergeuden wertvolle Berufseinstiegsjahre. Denn die Uhr tickt: Wer mit 30 noch nicht auf der richtigen Spur ist, hat den Schnellzug des Erfolgs verpasst. Oder? Das ist zumindest die Angst, die lange Zeit in meinem Kopf herum spukte, die manchmal drohte, mein Leben zu vergiften. Es fühlt sich gut an, sich davon zu befreien und trotz aller Widrigkeiten zu versuchen, hier mit dem Menschen, den man liebt, etwas aufzubauen.

Aber manchmal, wenn es gar nicht läuft und Paris nur ein anonymes Monster ist, das mich aufzufressen droht, dann hilft es auch nichts, auf der Gitarre herumzuklimpern oder Gedanken zu Papier zu bringen. Dann wird es essentiell: Was mache ich hier eigentlich, fernab von meiner Familie und meinen Freunden? Warum bleiben wir nicht einfach alle in unseren Dörfern und Städten und heiraten dort und haben Kinder? Warum so kompliziert und alles so weit weg von zuhause? Und warum wechseln wir Beruf und Stadt alle zwei Jahre und führen ein Nomadenleben? Zwingt uns jemand dazu? Kommen wir auch irgendwann, irgendwo einmal an?

Ich habe jemanden gefunden, mit dem ich zusammen leben will. Ob wir lange Zeit in Paris bleiben, ist noch unklar. Aber selbst wenn wir dann weiter ein Nomadenleben führen, tun wir es wenigsten gemeinsam. Und der Gedanke, irgendwann tatsächlich anzukommen und der inneren Getriebenheit Frieden zu verschaffen, macht die Mühe für Menschen wie Baptiste und mich sinnvoll. Es ist etwas, an das man glauben kann, das sehr konkret ist im Gegensatz zum Mythos einer Karriere. Auch wenn man dafür erstmal in der Metro, im Callcenter und an Spielekonsolen Federn lassen muss. Und manchmal das Gefühl hat, ziemlich fehl am Platze zu sein.

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