RELIGION
Christ im Selbstversuch
TEIL 2
Ich verbrachte den Sonntagnachmittag ungefähr so, wie ein
Städtereisender, wenn es draußen in Strömen regnet: Ich las in der Bibel nochmals die
Briefe des Paulus, als ob ich im Reiseführer nachlesen würde, was ich
alles im Regenwetter nicht hatte sehen können. Ich wollte eigentlich
bereits die Rückreise in mein unchristliches Alltagsleben antreten,
als plötzlich der Regen nachließ und befahl: "Versuch's nochmals!"
Wenn es sein muss, nun doch
in einem verkitschten Touristenparadies.
Im Dom war das Interieur
glänzender, der Sitzplatz komfortabler, die Robe der Prediger
eleganter als in meiner Backsteinkirche. Hier konnte man sich auch als
nichtsahnender Tourist einfach vom vielen Gold blenden lassen und in die prächtige Kuppel hinaufblicken, um dabei vielleicht die eine oder andere Bildergeschichte wiederzuerkennen.
Zwar wurde ich bereits am Eingang gefragt: "Gottesdienst oder
Dombesichtigung?" Die diensthabende Theologin
schien sich keine Illusionen darüber zu machen, dass wir Touristen im
christlichen Glauben waren und unser Rückflug bereits gebucht war.
Sie redete auch von Paulus, führte uns aber eher
wie eine Reiseleiterin durch das griechische Thessaloniki, beschwor
nicht den Zusammenhalt der Gemeinde, sondern pries das Wunder, das uns alle hier zusammengeführt habe, einzig um Gottes Wort
erklingen zu lassen.
Ein kleines Wunder war es
allemal: Ich habe zum ersten Mal dem Wort Gottes gelauscht.
Verstanden habe ich nicht viel, weder vom Wort Gottes, noch von den
singenden und betenden Christen. Doch wer versteht schon die Griechen
nach seinem ersten Wochenende auf Rhodos, noch dazu einem
unvorbereiteten und reichlich verregneten? Auf dem Rückweg fasste ich
die Reise auf einer Postkarte an meine Eltern zusammen: "Herzliche
Grüsse aus dem Christenland! Wetter war mies, aber Einheimische ganz freundlich. Werde beim
nächsten Mal wohl eine Bildungsreise unter fachkundiger Begleitung
buchen, mit anschließendem Badeurlaub am Strand der leichten
Bibelsprüche. Wenn’s dann gefällt, vielleicht ein Ferienhaus kaufen.
Aber keine Sorge, einbürgern lassen werde ich mich hier nicht so
bald."
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