Vieles ist wichtiger als Wählen zu gehen: Kaffeekränzchen, zum Beispiel. Ausschlafen. Und Seemannsträume. Aber wenn die Nazis kommen, dann wird es doch ernst. Eindrücke vom Wahltag in Mecklenburg-Vorpommern
Von Franziska Günther
Eine Landtagswahl ist eigentlich kein großes Ereignis - das Leben des einzelnen Wählers betrifft sie nur ein paar Minuten. An einem Wahltag hat man zehn Stunden lang die Möglichkeit, zwei Kreuze zu machen. So ist das auch heute, am Sonntag den 17. September 2006, dem Tag der Landtagswahl in Mecklenburg-Vorpommern. Dem Tag, an dem die NPD in den Landtag einziehen wird.
Am liebsten würde ich trotzig sein und im Bett bleiben - die Pappfronten grinsender Politiker lenken mich seit Wochen vom Straßenverkehr ab. Ich habe mich immer noch nicht gewöhnt an all die Big Brothers und ihre Versprechen. Ihre Phrasen verfolgen mich sogar im Traum. Ich weiß nicht, was ich glauben soll.
Bisher hat die Wahlwerbung wenig Gutes gebracht. In meinem Heimatort Gral-Müritz stürzte ein Urlauber vom Fahrrad, als er in voller Fahrt versuchte, das Kleingedruckte eines PDS-Plakats zu lesen. Ein Kumpel verbrannte sich die Finger an einem SPD-Streichholz. Und als ich letzte Woche nichts ahnend unsere kleinstädtische Hafenpromenade entlang spazierte fuhr ich vor Schreck zusammen: "Asylbetrüger raus" stand plötzlich in riesigen Lettern vor mir und "Arbeit statt Einwanderung" - NPD-Plakate.
In dem Moment kam mir die irakische Familie aus unserem Asylbewerberheim entgegen. Die Mutter trug Kopftuch, der Vater hielt ein Baby mit riesengroßen dunklen Augen im Arm. Auch sie sahen das Plakat. Ich schäme mich, dass ich ihnen nicht hinterhergelaufen bin. "Hier sind nicht alle so, das sind nur dumme Sprüche", hätte ich ihnen beteuert - und hätte mir selbst nicht geglaubt. Ich kenne hier keine Nazis. Aber ich weiß, dass es sie gibt.
Natürlich habe ich den Wahlsonntag nach diesem Erlebnis nicht im Bett verbracht. Kreuzchen machen dauert ein paar Minuten. Wahlprogramme lesen ein paar Stunden. So viel Investition in die Demokratie dürfte noch möglich sein.
Aus dem Fenster meines Wahllokals, der Löwenapotheke am Marktplatz, hängt eine Deutschlandfahne. Der Marktplatz ist leer. Hier und da flanieren Touristen durch die Straßen, ab und zu trudeln Wähler ein. Auf dem Treppenabsatz stehen zwei ältere Damen. Die eine tupft behutsam über ihre frische Dauerwelle, die andere zupft sich den lindgrünen Pullover zurecht. Jetzt kann's losgehen. Irgendetwas hängt in der Luft, es ist ein bisschen wie die Geburtstagsfeier einer entfernten Verwandten. Man muss da hin, aber man weiß nicht genau, was man da soll. "Sag mal Du, was wähl' ich denn jetzt eigentlich? Ist ja nicht mehr so einfach wie früher." - "Weißt Du, bleib einfach in der ersten Zeile, da machste nichts verkehrt und rutschst auch nicht ab zu den Gefährlichen." - "Gut, gut. Hast Du schon den Schürzkuchen für heute Nachmittag gebacken?" - Bürgerpflicht ist Bürgerpflicht.
Während die Seniorinnen zu ihrem Kaffeekränzchen aufbrechen, treffe ich "El Kapitan", einen kauzigen Berliner, der seit drei Jahren im Müritzer Hafen vor Anker liegt. Er erzählt aus seinem Leben. "Warst Du jemals verheiratet, El Kapitan?", frage ich ihn. Er deutet auf den Klumpen an seiner Kette: "Ja, drei Mal. Willst Du meine Ringe sehn? Hier, ich habe sie alle zusammengegossen." In Berlin sind Wahlen, in Müritz sind Wahlen, doch ihn geht das nichts an. Er hat Wichtigeres zu tun: "Ein Seemann lebt seinen Traum, Mädchen."
Zurück im Wahllokal, da werden bereits die Stimmen ausgezählt. Die Auszählung ist öffentlich, auch drei Nazis sind gekommen, um zu zuschauen. Sie tun genau das, wozu sie auf der NPD-Homepage aufgerufen werden. Dort heißt es, redliche Bürger sollten als "Wahlhelfer" aufpassen, dass genug NPD-Stimmen mit ausgezählt werden. Wahlen seien in Deutschland schließlich undemokratischer als Wahlen im Kongo. Die drei Glatzköpfe verhalten sich entsprechend. Wie muskulöse Securities vor einer Szenedisko und schauen mit Adleraugen auf die gelben Stimmzettel.
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"So, jetzt müssen wir noch über die ungültigen Stimmzettel abstimmen. Der hier ist auf jeden Fall ungültig, ein durchgestrichenes Kreuz ist unzulässig", sagt der Wahlleiter in ruhigem Ton, gänzlich unbeeindruckt vom nationalistischen Publikum. Doch die Nazis fangen an zu murren. Der Wähler ist scheinbar eine Zeile nach unten gerutscht zu den Grauen Pantern, einer Rentnerpartei. Dann hat er das Kreuz wieder durchgestrichen, um es doch bei der NPD zu setzen. Der Stimmzettel ist ungültig, Diskussion ist zwecklos: "Es ist eine Mehrheitsentscheidung des Wahlvorstands". Die Nazis müssen sich den Demokraten fügen. Zu Hause werden sie sich trotzdem freuen - über 7,3 Prozent.
Auf der CDU-Party trinken alle Sekt. Selbst die Grünen feiern ausgelassen, auch wenn der Grund fehlt. Es ist, als seien alle froh, dass es vorbei ist. So wie nach einer Prüfung: Egal ob bestanden, oder nicht, Hauptsache vorbei.
Eine Landtagswahl ist eigentlich kein großes Ereignis - das Leben des einzelnen Wählers betrifft sie nur ein paar Minuten. An einem Wahltag hat man zehn Stunden lang die Möglichkeit, zwei Kreuze zu machen. So ist das auch heute, am Sonntag den 17. September 2006, dem Tag der Landtagswahl in Mecklenburg-Vorpommern. Dem Tag, an dem die NPD in den Landtag einziehen wird.
Am liebsten würde ich trotzig sein und im Bett bleiben - die Pappfronten grinsender Politiker lenken mich seit Wochen vom Straßenverkehr ab. Ich habe mich immer noch nicht gewöhnt an all die Big Brothers und ihre Versprechen. Ihre Phrasen verfolgen mich sogar im Traum. Ich weiß nicht, was ich glauben soll.
Am liebsten würde ich trotzig sein und im Bett bleiben - die Pappfronten grinsender Politiker lenken mich seit Wochen vom Straßenverkehr ab. Ich habe mich immer noch nicht gewöhnt an all die Big Brothers und ihre Versprechen. Ihre Phrasen verfolgen mich sogar im Traum. Ich weiß nicht, was ich glauben soll.
Bisher hat die Wahlwerbung wenig Gutes gebracht. In meinem Heimatort Gral-Müritz stürzte ein Urlauber vom Fahrrad, als er in voller Fahrt versuchte, das Kleingedruckte eines PDS-Plakats zu lesen. Ein Kumpel verbrannte sich die Finger an einem SPD-Streichholz. Und als ich letzte Woche nichts ahnend unsere kleinstädtische Hafenpromenade entlang spazierte fuhr ich vor Schreck zusammen: "Asylbetrüger raus" stand plötzlich in riesigen Lettern vor mir und "Arbeit statt Einwanderung" - NPD-Plakate.
In dem Moment kam mir die irakische Familie aus unserem Asylbewerberheim entgegen. Die Mutter trug Kopftuch, der Vater hielt ein Baby mit riesengroßen dunklen Augen im Arm. Auch sie sahen das Plakat. Ich schäme mich, dass ich ihnen nicht hinterhergelaufen bin. "Hier sind nicht alle so, das sind nur dumme Sprüche", hätte ich ihnen beteuert - und hätte mir selbst nicht geglaubt. Ich kenne hier keine Nazis. Aber ich weiß, dass es sie gibt.
In dem Moment kam mir die irakische Familie aus unserem Asylbewerberheim entgegen. Die Mutter trug Kopftuch, der Vater hielt ein Baby mit riesengroßen dunklen Augen im Arm. Auch sie sahen das Plakat. Ich schäme mich, dass ich ihnen nicht hinterhergelaufen bin. "Hier sind nicht alle so, das sind nur dumme Sprüche", hätte ich ihnen beteuert - und hätte mir selbst nicht geglaubt. Ich kenne hier keine Nazis. Aber ich weiß, dass es sie gibt.
Natürlich habe ich den Wahlsonntag nach diesem Erlebnis nicht im Bett verbracht. Kreuzchen machen dauert ein paar Minuten. Wahlprogramme lesen ein paar Stunden. So viel Investition in die Demokratie dürfte noch möglich sein.
Aus dem Fenster meines Wahllokals, der Löwenapotheke am Marktplatz, hängt eine Deutschlandfahne. Der Marktplatz ist leer. Hier und da flanieren Touristen durch die Straßen, ab und zu trudeln Wähler ein. Auf dem Treppenabsatz stehen zwei ältere Damen. Die eine tupft behutsam über ihre frische Dauerwelle, die andere zupft sich den lindgrünen Pullover zurecht. Jetzt kann's losgehen. Irgendetwas hängt in der Luft, es ist ein bisschen wie die Geburtstagsfeier einer entfernten Verwandten. Man muss da hin, aber man weiß nicht genau, was man da soll. "Sag mal Du, was wähl' ich denn jetzt eigentlich? Ist ja nicht mehr so einfach wie früher." - "Weißt Du, bleib einfach in der ersten Zeile, da machste nichts verkehrt und rutschst auch nicht ab zu den Gefährlichen." - "Gut, gut. Hast Du schon den Schürzkuchen für heute Nachmittag gebacken?" - Bürgerpflicht ist Bürgerpflicht.
Während die Seniorinnen zu ihrem Kaffeekränzchen aufbrechen, treffe ich "El Kapitan", einen kauzigen Berliner, der seit drei Jahren im Müritzer Hafen vor Anker liegt. Er erzählt aus seinem Leben. "Warst Du jemals verheiratet, El Kapitan?", frage ich ihn. Er deutet auf den Klumpen an seiner Kette: "Ja, drei Mal. Willst Du meine Ringe sehn? Hier, ich habe sie alle zusammengegossen." In Berlin sind Wahlen, in Müritz sind Wahlen, doch ihn geht das nichts an. Er hat Wichtigeres zu tun: "Ein Seemann lebt seinen Traum, Mädchen."
Zurück im Wahllokal, da werden bereits die Stimmen ausgezählt. Die Auszählung ist öffentlich, auch drei Nazis sind gekommen, um zu zuschauen. Sie tun genau das, wozu sie auf der NPD-Homepage aufgerufen werden. Dort heißt es, redliche Bürger sollten als "Wahlhelfer" aufpassen, dass genug NPD-Stimmen mit ausgezählt werden. Wahlen seien in Deutschland schließlich undemokratischer als Wahlen im Kongo. Die drei Glatzköpfe verhalten sich entsprechend. Wie muskulöse Securities vor einer Szenedisko und schauen mit Adleraugen auf die gelben Stimmzettel.
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"So, jetzt müssen wir noch über die ungültigen Stimmzettel abstimmen. Der hier ist auf jeden Fall ungültig, ein durchgestrichenes Kreuz ist unzulässig", sagt der Wahlleiter in ruhigem Ton, gänzlich unbeeindruckt vom nationalistischen Publikum. Doch die Nazis fangen an zu murren. Der Wähler ist scheinbar eine Zeile nach unten gerutscht zu den Grauen Pantern, einer Rentnerpartei. Dann hat er das Kreuz wieder durchgestrichen, um es doch bei der NPD zu setzen. Der Stimmzettel ist ungültig, Diskussion ist zwecklos: "Es ist eine Mehrheitsentscheidung des Wahlvorstands". Die Nazis müssen sich den Demokraten fügen. Zu Hause werden sie sich trotzdem freuen - über 7,3 Prozent.
Auf der CDU-Party trinken alle Sekt. Selbst die Grünen feiern ausgelassen, auch wenn der Grund fehlt. Es ist, als seien alle froh, dass es vorbei ist. So wie nach einer Prüfung: Egal ob bestanden, oder nicht, Hauptsache vorbei.