Medien
Realitätverlust
TEIL 2
Lost
ist eine Serie über Verschwörungstheorien und der Lust daran, diese zu konstruieren. Die Serie benutzt alle Elemente, die zu einer guten Verschwörungstheorie gehören: grobkörnige 8mm-Filme, auf denen das Wesentliche nur unscharf zu erkennen ist, Wissenschaftler, die mit ernsten Gesichtern absurde Thesen erklären, wiederkehrende Symbole, vage Zahlenspiele, Andeutungen auf eine übergeordnete Organisation.
Lost
benutzt diese Fetzen und mischt sie mit den Geschichten der Hauptfiguren. Die Fetzen werden nie konkret. Der Zuschauer kann sich zu keiner Sekunde sicher sein, was er glauben darf.
Daurch wird
Lost
zu einem Turm aus Bauklötzchen, an dem jeder mitbauen darf. Die Autoren der Serie errichten das Grundgerüst, die Fans ergänzen jedes Stockwerk mit eigenen Steinen. Sie fügen Theorien hinzu, konstruieren Verbindungen zwischen den Charakteren, suchen in selbst gemachten Screenshots nach versteckten Hinweisen. Je höher Autoren und Fans den Turm gemeinsam bauen, desto beeindruckender erscheint er. Aber desto stärker gerät er auch ins Wanken.
Auch auf die Wirklichkeit hat
Lost
längst übergegriffen. In einer Folge liest einer der Überlebenden das Buch "Bad Twin" von Gary Troup. In verschiedenen Fanforen wurde daraufhin spekuliert: Der Titel sei eine Anspielung auf die Theorie, dass die Figuren auf der Insel geklonte Versionen ihrer selbst träfen. Die Autoren ließen diese These mittlerweile dementieren.
Dafür gibt es "Bad Twin" mittlerweile
bei Amazon zu kaufen
. Als Verfasser wird Gary Troup genannt, in der Autorenbeschreibung heißt es, Troup sei seit einem Flugzeugabsturz verschollen. Der besagte Flug 815 ist der Flug aus der Serie. Als das Buch erschien, wurde in der L.A. Times eine Anzeige geschaltet: "Don’t believe Bad Twin". Auftraggeber war die Hanso Foundation. Mit jedem neuen Hinweis auf eine Verschwörung wächst der Turm weiter.
Lost
wird manchmal bereits in einem Atemzug mit
Akte X
genannt. Die legendäre Sci-Fi-Serie war in den 90er Jahren so erfolgreich, dass der amerikanische Fernsehsender
FOX
sie damals über mehrere Staffeln weiterproduzierte, obwohl sich der Schöpfer Chris Carter dagegen aussprach. Darunter litt die Qualität: In den späteren Staffeln wechselten die Hauptdarsteller, der Verschwörungstheorie wurden so viele Details hinzugefügt, dass sie am Ende nicht zufrieden stellend zusammengeführt werden konnten.
Lost
könnte ein ähnliches Schicksal ereilen, wenn der Sender
ABC
, der die Serie ausstrahlt, nicht den Absprung findet. Bislang sind nur fünf Staffeln geplant, darauf haben sich die Macher festgelegt. Zwei wurden in den USA bereits gezeigt.
Auf einem Fantreffen forderte Autor Damon Lindelof die Anwesenden kürzlich auf, die fünfte und letzte Staffel von
Lost
zu boykottieren. ABC sollte keinen Grund finden, die Serie fortzusetzen. Vielleicht meinte er dies scherzhaft. Sicher ist das nicht.
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