Ric Graf hat ein Buch geschrieben - ein so genanntes Generationenbuch. Das sagt zumindest die Presseabteilung seines Verlages. Was heißt das eigentlich? Fragt Mathias Richel. Nichts, sagt Ric Graf.
"Ric ehrlich, Charlottenburg ist nicht mein Bezirk. Ich bin hier auf so einer Brücke, mitten in einem Neubaugebiet. Ich wusste gar nicht, dass es so etwas hier gibt. Die Jungs im BMW gucken genauso böse, wie in Neukölln!" - "Keine Angst, ich hole dich da raus. Such dir so schnell wie möglich eine S-Bahnstation und fahre bis zum Zoo. Dann rein in den Tiergarten und geradeaus. Wir treffen uns im
Schleusenkrug
!" - "Nie wieder BVG-Auskunft!"
Ein Sommernachmittag in Berlin. Das letzte Mal, dass ich Ric Graf getroffen habe, gab es nur flüchtiges "Hallo, wie geht’s?" in Berlin-Mitte. Kein Wort über sein Buch namens "iCool", was kurz danach bei Rowohlt erschien. Alle anderen haben geschrieben, es sei ein Generationenbuch. Angelehnt an Stuckrad-Barre oder Illies. Dadurch erklärt sich vielleicht auch die Überschrift: Stuckrad-Barre hat sich Ende der Neunziger an einer dezidierten Zeitendefinition versucht - anhand des Konsumverhaltens seiner Altersgruppe. Illies benannte sein Machwerk nach einem Auto. Jetzt soll es also "iCool" sein. Das passt irgendwie schon. Weiße Ohrstöpsel rechts und links an jedes Ohr, Beats in den Kopf gedrückt und dann allein durch die Welt.
Fast Forward
.
Sind wir so, Ric?
Wir trinken ein großes Bier und Ric versucht sich am Begriff
Generation
. Er will nicht der Klassensprecher seines Geburtsjahrganges sein. Aber er ist jung und kann darüber erzählen und schreiben, ganz subjektiv. Ric will gar nicht stellvertretend für alle stehen. Sein Buch ist kein Spiegelbild der Jugend und schon gar nicht allgemeingültig. Es geht vor allem um ihn.
Trotzdem entwickelt er ein Bild. Seine Umgebung, seine Freunde, die Partys, die Höhen und Tiefen – irgendwann ist man als Leser mittendrin. Inmitten einer Zeit voller
unentschiedener
, junger Menschen. Ric leistet sich einen stillen Außenblick. Er ist 21 Jahre alt, schreibt ein Buch und erdreistet sich, ein Urteil abzugeben. In einer Zeit, in der Haltung zu bewahren als egoistisch gilt und eine Meinung zu haben als kompliziert.
Ric, damit bist du schon elitär!
Er schüttelt den Kopf.
Elite
ist ein ökonomischer Kampfbegriff. Universitäten fordern die Elite. Die Wirtschaft wünscht sich eine Elite. Aber im Café sitzen und an einem Buch schreiben, das ist nicht elitär – das ist
Status!
Darüber muss man sich bewusst sein, es zu schätzen wissen. Von außen mutet das vielleicht arrogant an, das weiß er. Latte Machiatto und viel zu viel Zeit. Der Eindruck täuscht.
Ric meint, dass Kreativität Freiraum braucht. Und Schreiben ist nun mal sein Beruf. Sein tabellarischer Lebenslauf beweist das: Er war Autor für zwei Lifestyle-Magazine, war ein halbes Jahr Assistent von Christoph Schlingensief und jetzt veröffentlicht er eben ein Buch bei Rowohlt. Das nennt man wohl Stringenz. Ric nimmt man das ab. Aber berechtigt das schon dazu, eine Autobiografie vorzulegen? Mit Anspruch auf
Relevanz
? Und vor allem: Für wen?
Wir kommen darum nicht herum. Unser Gespräch dreht sich immer mehr um Anspruch und Wirklichkeit – diese ominöse
Generation
Praktikum, die dem "Spiegel" sogar eine Titelgeschichte wert war.
Generation Praktikum – wir rollen beide genervt mit den Augen
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Ich habe einen festen Job. Das unterscheidet mich und Ric von den meisten in unserer jeweiligen Altersklasse. Mir fällt es extrem schwer, mich in die Erlebniswelten der heute 20-jährigen hineinzuversetzen, gestehe ich ihm und mir ein. Ich bin Jahrgang 1981 und mir fehlt jeglicher Zugang. Das Buch hilft mir dabei nicht.
Alles ist viel schneller, konsumierbarer geworden,
Szenen
kommen und verschwinden wieder, man hangelt sich
von Projekt zu Projekt
– es herrscht eine
perspektivlose
Euphorie, ohne sichtbares Ziel und Inhalt. Vor allem austauschbar.
Ric pflichtet mir bei. Es geht ihm ganz ähnlich, mit den noch Jüngeren. Er erzählt mir von einem Treffen mit einer Schulklasse seiner alten Schule. Achte, neunte Klasse. Als sie zusammen saßen, fingen die Kids an, ganz ernsthaft und ohne jede pubertierende Affektiertheit von durchgefeierten Nächten, Koks und Sex zu reden.
Ein neuer, noch jüngerer
Hedonismus
? Ric zuckt mit den Schultern. Für ihn ist das nicht wichtig. Irgendwann erkennt man, dass Haltepunkte wichtiger werden, sagt er. Freunde, Job, Geld, Verlässlichkeiten.
Wir sind alle auf dem besten Weg, Spießer zu werden, Ric!
Ja, auch du. Ich verwechsele da etwas, erwidert er. Erstens ist Spießer ein Unwort. Und zweitens beschreibt dieser Begriff, mit dem die Feuilletons versuchen, eine
popkulturelle Diskursblase
mit Inhalt zu füllen, nur die Sehnsucht nach Konsistenz. Denn genau an der fehlt es. Vielleicht ist das der Sinn – vielleicht auch das Ende dieser unsteten Generation.
Seine Altersgenossen seien umgeben
von Belanglosigkeiten
, die
zu Wichtigkeiten
erhoben werden. Marken, Gästelisten, Drinks und MP3-Player mit weißen Ohrstöpseln. Es braucht eine Revolution. Nicht im marxistischen Sinne, sondern eine kulturelle. Glaubt Ric, dass sein Buch diesen Anspruch erfüllt?