Attac wendet sich gegen die Globalisierung. Doch wo anfangen? Chris Methmann, Mitglied des Attac-Koordinierungskreises, im Interview.
Fragen von Franziska Guenther und Oskar Piegsa
Nach dem Hype im Jahr 2000 ist es in den letzten Jahren sehr still um Attac geworden. Was ist los?
Attac ist in eine neue Phase gekommen. Die Hektik der Anfangsjahre ist einer kontinuierlichen thematischen Arbeit gewichen. Das soll aber nicht heißen, dass nichts Spektakuläres mehr passiert. Mit unserer Lidl-Kampagne haben wir ein Unternehmen in die Knie gezwungen, das jährlich 30 Milliarden Euro Umsatz macht. Lidl verkauft jetzt ökologische, fair gehandelte Produkte. Wir bewegen schon was, auch wenn die Öffentlichkeit vielleicht gerade woanders hinschaut.
Wahrscheinlich wird sich die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit nächstes Jahr wieder auf euch konzentrieren, wenn der G8-Gipfel in Heiligendamm stattfindet.
Es war schon immer so, dass sich die globalisierungskritische Bewegung an den Gipfeln kristallisiert. Da der nächste in Deutschland sein wird, ist er das zentrale Ereignis für uns. Wir drucken grade Bildungsmaterialien und es ist eine breite Palette an Protesten geplant.
Was konkret?
Heiligendamm ist ein sehr abgeschotteter Ort und hat nur ein paar Zufahrtsstraßen. Es wird sicherlich eine ganze Reihe von Blockadeaktionen geben, dazu normale Demos im benachbarten Rostock. Wir planen einen großen Gegenkongress zu Klima- und Energiefragen, gemeinsam mit der Umweltbewegung. Wir wollen die Bundesregierung zwingen, ihre Rolle als vermeintlich umweltfreundliche Regierung auch wahrzunehmen.
Ihr habt euch thematisch verbreitert und viele Koalitionspartner gefunden: Sowohl in Umweltfragen, als auch im Protest gegen den Sozialabbau. Warum?
Viele Phänomene, die vorher im nationalen Rahmen diskutiert wurden, sind auf Prozesse der Globalisierung zurück zu führen. Die Umweltverbände haben gemerkt, dass es nicht reicht, den Schmetterling im Naturschutzgebiet zu beobachten. Es gibt größere Zusammenhänge. Unsere Erfahrung mit der Globalisierung und deren Expertise im Bereich Umwelt hat eine Kooperation nahe gelegt: Gemeinsam sind wir stark.
Aber wie könnt ihr zu konkreten Forderungen kommen, wenn ihr mit so vielen Gruppen zusammenarbeitet – und mit allen einen Konsens finden müsst?
Konsens ist die große Stärke von Attac! Schau dir die Geschichte der linken Bewegung in Europa an und du wirst sehen, dass es immer Aufsplitterungen gegeben hat. Attac dagegen versucht, verschiedenste Leute zueinander zu bringen: Solche, die den Kapitalismus grundsätzlich ablehnen und moderate kritische Christen zum Beispiel. Natürlich hat die thematische Verbreiterung es manchmal schwer gemacht, Schwerpunkte zu setzen. Aber die Lidl-Kampagne war ein gutes Beispiel, dass es geht.
Ist das ein Erfolg, den ihr euch als politische Bewegung auf die Fahne schreibt: Dass man bei Lidl jetzt Ökofood kaufen kann?
Auf jeden Fall! Dadurch wird vielen überhaupt erst deutlich, wo das Problem liegt. Natürlich ist das auch eine Ausweichreaktion von Lidl. Und unser Ziel ist natürlich, dass nicht mehr die gute neben der schlechten Banane liegt, sondern dass es dort gar keine schlechten Bananen mehr gibt.
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Das Ökoregal bei Lidl ist also die "andere Welt", die ihr fordert?
Nein, überhaupt nicht. Aber ich glaube, man muss sich von der Vorstellung verabschieden, dass wir die Welt von heute auf morgen durch eine Revolution verändern. Der Ansatz von Attac ist es, durch kleine konkrete Schritte die "andere Welt" zu erreichen.
Das heißt, ihr hüpft von Thema zu Thema und versucht, im Kleinen etwas zu erreichen. Die "andere Welt" als Puzzlespiel?
Jein. Es ist nicht so beliebig.
Vor den WTO-Verhandlungen in diesem Jahr ging es um Agrarsubventionen, beim G8-Gipfel im nächsten geht es um das Klima. Im Fall Lidl habt ihr für Ökologie gekämpft, für faire Arbeitsbedingungen und gerechten Welthandel. Gerade habt ihr gegen die Privatisierung der Bahn demonstriert...
Aber wir bearbeiten alle Themen kontinuierlich. Du hast insofern Recht, als dass sich Attac in seiner thematischen Breite von anderen NGO’s unterscheidet. Unsere Rolle ist zu zeigen, dass all diese Phänomene der neoliberalen Globalisierung zusammenhängen. Überall werden die gleichen Sachzwänge herbeigeredet.
Ist die komplexe, langsame Arbeit von Attac nicht frustrierend?
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Ganz im Gegenteil. Attac verbindet fundierte theoretische Arbeit mit Aktionen. Das ist erfrischend. In vielen linken Gruppen ist es anders: Man trifft sich jede Woche und empört sich über die Ungerechtigkeiten in der Welt. Aber daraus resultiert nichts...
...außer einem Flugblatt?
Außer einem bleiwüstigen Flugblatt, das niemand lesen will. Anderswo gibt es eine starke Betonung auf Aktionismus, aber keine inhaltliche Tiefe.
Gibt es bei euch Konsens-Utopien, oder reicht der Konsens immer nur bis zum nächsten Schritt?
Das kommt darauf an, wie du "Utopie" verstehst. Wenn du damit meinst, dass wir alle eine gemeinsame, konkrete Vorstellung davon haben, wie die Welt eines Tages aussieht, dann würde ich sagen: Nein. Aber es gibt Forderungen, die ein bisschen utopisch sind. Die internationale Steuer auf Unternehmensgewinne und Devisentransaktionen. Oder globale soziale Rechte, die jedem Menschen auf der Welt zustehen.
Ein Ort an dem ihr solche Utopien besprecht, ist die Sommerakademie in Karlsruhe. Was erwartet die Teilnehmer?
Die Sommerakademie ist eine Bildungsveranstaltung, die in dieser Form beispiellos ist. Menschen mit völlig unterschiedlichen Hintergründen - solche aus bildungsfernen Schichten bis hin zu Akademikern - kommen dort zusammen und erlangen alternatives Wissen, das anderswo nicht thematisiert wird. Und gleichzeitig wird auf der Sommerakademie tatsächlich die "andere Welt" gelebt: Jeder Teilnehmer hilft in der Küche, räumt mit auf, das ganze wird solidarisch finanziert.
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Euer Kritiker Jörg Bergstedt würde das jetzt "Protestainment" nennen: Leute kommen für eine Woche zusammen, konsumieren die "andere Welt" und fahren dann wieder nach Hause.
Diese Einschätzung teile ich nicht. Ich habe in meiner eigenen Arbeit viele Leute erlebt, die sich dort zum ersten Mal mit solchen Themen beschäftigt haben. Für die war die Akademie der Startpunkt, bevor sie selbst aktiv wurden. Das Erlebnis ist intensiver und motivierender, als mal bei einer Ortsgruppe vorbeizuschauen.
Das heißt, der "Lifestyle Attac" führt zu einer Politisierung?