Comics
Papiertrauer aus Buenos Aires
Argentinische Comics kommen ohne Superhelden und chronische Verlierer aus. Ihre Helden sind machtlose Durchschnittsmenschen, die man genau dafür mag
Isabel Exner
Unter Argentiniern, die Freude an Absurditäten empfinden, ist der Comicstrip Macanudo des Zeichners Liniers bereits ein Geheimtipp. Die Figuren sind auf kleinem Fuß durch die Tiefschläge und Höhenflüge ihres Daseins unterwegs. Das Mädchen Madariaga schimpft seinen Teddy, den sie unter die Schaukel gelegt hat, weil er ihr beim Schaukeln unter den Rock schaut. Der schüchterne Señor mit dem Banjo ist verzweifelt, weil ihm das Talent fehlt, innerhalb von vier Bildern etwas Lustiges zu tun. Der Roboter Z-25 ist der einzige Zuschauer im Kino, der bei Charlie Chaplins "The Tramp" weint. Mit jedem gelesenen Strip wird der Humor, mit dem Liniers die Plumpheiten des Lebens kommentiert, ansteckender. Auch Europa wurde nun aufmerksam: Macanudo hat den Sprung aus seinem Heimatland in die spanischen Buchhandlungen geschafft.
Die Comic-Szene in Buenos Aires, der
Macanudo
entspringt, ist seit den Anfängen des Genres in den vierziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts sehr lebendig. Anders als in Deutschland hatten Comics aus den USA hier keine Probleme, sich als ernstzunehmende Kunstform zu etablieren. Zu den Großen, in deren Fußstapfen Macanudo tritt, gehört die Göre
Mafalda
des Zeichners Quino, die in den sechziger und siebziger Jahren mit ihrer altklug-pessimistischen Sicht auf die Welt berühmt wurde; Guillermo Mordillo wurde in Deutschland bekannt, als er seine knollnasigen Männchen im
Stern
veröffentlichte. Maitenas Karikaturen postmoderner Frauen erscheinen inzwischen in über 13 Tageszeitungen verschiedener Länder.
Obwohl viele der Streifen offenbar von den legendären "Peanuts" des Zeichners Charles M. Schulz beeinflusst sind, führen sie mittlerweile ein Eigenleben. Die Protagonisten von
Mafalda
,
Maitena
und
Macanudo
entstammen der bürgerlichen Mittelschicht, die gleichermaßen in Mexico-Stadt wie in Tübingen anzutreffen ist. Dieser Hintergrund unterscheidet die argentinischen Comics von den meisten amerikanischen und europäischen Produktionen. Statt Winner-Typen und smarten Helden wie
Superman
,
Mickey Mouse
oder
Asterix
taucht in Argentinien 1964 ein kleines dickes Mädchen namens Mafalda auf, das, Kind und Frau zugleich, voller Sorge auf die Welt blickt und sie mit rührender Hilflosigkeit zu trösten versucht. Wenn
Mafalda
nicht gerade zwischen Mitschülern und Eltern für Gerechtigkeit sorgt, wickelt sie den Globus ihres Vaters in eine Decke und wiegt ihn in ihren Armen. 40 Jahre später zeichnet eine Frau namens
Maitena
in Buenos Aires ihre post-emanzipierten Geschlechtsgenossinnen, die an den eigenen Unzulänglichkeiten verzweifeln. Ähnlich wie
Mafaldas
Zeichner Quino zielt
Maitena
auf die typische Mittelstandsfamilie. Die unermüdliche Weltverbessererin
Mafalda
würde zwar den Kopf schütteln über die Sorgen der Heldinnen
Maitenas
. Doch hier wie dort bringt die Machtlosigkeit der Hauptfiguren zum Lachen. Wo
Mafalda
einst in die Apotheke ging, um ein Mittel gegen die Ungerechtigkeit in der Welt zu erstehen, fragen
Maitenas
Frauen beim Schönheitschirurgen, wo man das Kollagen einspritzt, das die existentielle Leere füllt.
Auch die Persönlichkeiten aus
Macanudo
sind keine Helden. Sie taugen nicht mal zum Verlierer. Weder siegen noch scheitern sie, sie sind ewige Nebendarsteller, Durchschnittsmenschen, die mit ihrer Durchschnittlichkeit zu kämpfen haben. Liniers zeigt Charaktere, die immer ein wenig fremd sind in ihrer Welt. Er nimmt Anteil an ihrer Einsamkeit, und daran, dass er ihnen diese Existenz mit seinem Pinsel angetan hat. Nie stellt er seine Figuren bloß, stets wahrt er die gleiche Distanz zu ihnen, die sie zu der Welt haben. Aus dieser Distanz erwächst ein Respekt, der keinem
Garfield
,
Hägar
oder
Tom
je entgegengebracht wird. Wenn man über
Macanudos
Figuren lacht, bewahren sie eine vornehme Würde. Wenn es nötig ist, spricht Liners aus dem Off mit ihnen und erfüllt ihnen den Wunsch nach einem Freund, den er rasch in ihre Papierwelt hinzeichnet.
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